Folk Punk mit Steffen #2: Against Me!
03.08.2022 | Steffen Schindler
Against Me! waren eine der ersten Punk-Bands, die ich für mich entdeckte. In die Zeit, in der ich begann, mich für Punk zu interessieren, veröffentlichten sie das Album „Transgender Dysphoria Blues“ und erhielten durchweg positive Reaktionen darauf. Plötzlich waren Against Me! wieder cool, der Major-Ausflug und der Stadion-Sound, die massive Kritik der Szene, all das schien vergessen. Über die Alben davor hüllte man sich weiter in Schweigen, aber in der ganzen Zeit gab es einen Fixstern in ihrer Diskographie, der über jede Radio-Single und jeden Green-Day-Supportslot erhaben war: „Reinventing Axl Rose“, das Debütalbum der damals in Florida beheimateten Band.
Als das Album 2002 veröffentlicht wurde, waren Against Me! bereits mehrfach durch das „Underground America“ der alternativen Buchläden, besetzten Häuser und DIY-Venues getourt, hatten zwei EPs veröffentlicht und einen schweren Auffahrunfall mit einem LKW überstanden. Aus einem Zwei-Personen-Projekt, bestehend aus Laura Jane Grace und wer auch immer gerade da war, um mitzuspielen, war eine ganze Band geworden. Die ursprünglich akustischen Songs wurden für das Album zunehmend mehr mit elektrischen Instrumenten arrangiert, blieben in ihrem Kern aber immer Folk-Songs.
Schon im ersten Song wird das deutlich: „Pints Of Guinness Make You Strong“ basiert auf einer Gitarrenfigur, bei der abwechselnd nur der Grundton und dann der ganze Akkord angeschlagen werden - eine Technik, die gerade im Folk häufig genutzt wird, um die Liedbegleitung auf der Akustikgitarre lebendiger zu machen. Auch inhaltlich passt der Opener ins Bild: Laura erzählt die Geschichte ihrer Großmutter und wie sie mit dem vorzeitigen Tod ihres Mannes umging.
Dieser Kampf gegen widrige Umstände ist das zentrale Thema in der Folk-Musik und von „Reinventing Axl Rose“: In einem eher persönlichen Kontext, aber auch auf der systemischen Ebene. Miteinander zu singen ist keine Lösung für all das, aber es macht alles ein wenig erträglicher. Nur folgerichtig also, sich Freund:innen auch ins Studio einzuladen und sich dort an Songs heiser zu brüllen, die genau diesen gemeinsamen Ausbruch feiern.
Niemals aufgeben und sich immer wieder am Stolz auf das eigene Underdog-Dasein aufrichten, diese Haltung vermittelt das ganze Album und ganz besonders „Walking Is Still Honest“, den Laura mit ihrer alleinerziehenden Mutter im Hinterkopf geschrieben hat. Scheiß auf Stadien, wir haben Keller und selbstverwaltete Clubs, schreit einem der Titeltrack „Reinventing Axl Rose“ entgegen. „We Laugh At Danger (And Break All The Rules)“ ist bis heute ein häufiger Set-Closer und einer meiner liebsten Motivations-Songs, der einen auffordert, nie stehen zu bleiben.
Und stehen geblieben zu sein, können sich Against Me! nicht vorwerfen: Nach „Reinventing Axl Rose“ wechselten sie von No Idea Records zu Fat Wreck, was in der Punk-Szene eher kritisch zur Kenntnis genommen wurde. Spätestens mit dem erneuten Wechsel zum Warner-Imprint Sire wurden die Sellout-Rufe endgültig lauter als die Gangshouts. Die Wirkung von einer Zeile wie „Our arenas are just basements and bookstores across an underground America“ verpufft nun mal in tatsächlichen Stadien, die Against Me! nur wenige Jahre später bespielten. Auch ein Bekenntnis wie „Baby, I’m an Anarchist“ wirkt nach einem Major-Vertrag eher unehrlich.
Doch dann kam Lauras Coming-Out als trans und die Erkenntnis vieler, dass kaum etwas mehr Punk ist, als man selbst zu sein. Das Quasi-Konzeptalbum „Transgender Dysphoria Blues“ erschien auf dem bandeigenen Label Total Tremble Records und machte auch Kritik an der Geschäftspraxis der Band unnötig. Höchstens noch der melodische, glattproduzierte Sound des Albums bot eine Angriffsfläche.
Dennoch bleiben Against Me! ihre Wurzeln. Als sie 2016 beim The Fest in ihrer alten Heimatstadt Gainesville auftraten und gemeinsam mit ihrem ersten Bassisten Dustin Fridkin „Reinventing Axl Rose“ einmal komplett zu spielen, erklärt Laura zu Beginn, dass die alten Songs nun einmal die sind, die sie alle am besten kennen würden. Dass es ihren Fans genauso geht, beweist das Publikum durch frenetischen Jubel und absolute Textsicherheit. Die Show fand definitiv nicht im „Underground America“ statt, aber das Gefühl war dasselbe.
Steffen Schindler
Steffen dankt Nirvana dafür, dass sie die Jugend auf dem Dorf erträglich gemacht haben. Seitdem ist er dem Klang der elektrischen Gitarre verfallen. Mittlerweile studiert er in Berlin Geschichte und Kulturwissenschaft.