Jahresrückblick 2021: Jan-Severin
28.12.2021 | Jan-Severin Irsch
Album des Jahres: Blackout Problems - "DARK"
Es gibt viele gute Gründe, weshalb ich dieses Album gewählt habe. Der simpelste wäre, es einfach anzuhören damit verstanden werden kann was ich meine.
Neben einem tollen Interview mit Schlagzeuger Michael Dreilich zum neuen Album der Band war auch ein tolles Livekonzert in Köln möglich. Ein phänomenaler Abend mit viel Energie, trotz bestuhltem Publikum. Was allerdings überzeugt ist nicht nur der unheimlich gute Eröffnungstrack, sondern auch die Tatsache, dass zu diesem Album noch ein Soundtrack geschrieben wurde. Dieser bedient sich Elementen aus dem Album und kann auch als eigenstehendes Album gewertet werden. Textliche Tiefen, dynamische Spannungskurven in den Kompositionen und die großartige Symbiose aus gitarrenlastiger Punk/Alt-Rock Musik und Elementen elektronischer Musik. Mit diesem Album sind die Blackout Problems sicherlich als Band gewachsen. Bleibt eigentlich nur noch die Hoffnung, das Münchener Quartett live und in Farbe zu erleben, sobald es die Umstände erlauben. Wer weiß, vielleicht haben sie ja gerade die Zeit und tüfteln wieder an einem Album mit vier Buchstaben.
Konzert des Jahres: Kummer
Kummer - allein das Wort beschreibt dieses Jahr in Teilen ganz gut. Umso mehr Freude hat es bereitet, den Rapper gleich zwei Mal sehen zu dürfen. Eine Wahnsinns-Atmosphäre, ein wahnsinnig tolles Album und jeder Song live ein Hit. Nicht zuletzt mit dem neusten Song „Der letzte Song“ dürfen wir darauf hoffen, dass alles gut wird. 2021 einen Moshpit zu erleben hätte ich auch nicht für möglich gehalten, doch bei Felix klappt sowas. Neben ein paar Kraftklub-Remixen hat Kummer bewiesen, dass er musikalisch auch alleine eine Masse zum Bewegen bekommt und, zumindest theoretisch, auch alleine bestehen kann. Allerdings sind Kraftklub und Kummer zwei paar Schuhe - so ist besagter Moshpit irgendwo stärker, wenn Gitarren, Bass und Schlagzeug diesen befeuern. Außer bei "500K", immer noch einer der geilsten Tracks überhaupt! Man mag es kaum glauben, aber Kummer hat echt gut getan. Sich mal wieder in einer Masse zu verlieren, den Kopf abzuschalten weil man gerade einfach nur tanzen will und am Ende des Konzerts seine Gruppe irgendwann wieder findet - das sind die besten Abende. Weinen tut gut und Kummer noch mehr.
Hoffentlich gibt es im neuen Jahr alle möglichen Konzerte wieder live und in Farbe zu sehen. Nä watt wär dat schön!
Song des Jahres: "Lyla" von Big Red Machine
Auch wenn der Song nicht aus 2021 ist, ist es doch der Song den ich am meisten in diesem Jahr gehört habe. Denn: Ein 7/8 Takt kann richtig krass sei. Das musikalische Genius von Justin Vernon und der Band Big Red Machine schaffen es, einen einlullenden Song zu komponieren, in dem man aber erst nach sehr viel Anhören ankommt. Genau das Ungerade macht diesen Song gerade so spannend. Man findet sich nicht direkt zurecht und sagt „Lyla“ doch direkt zu. Es ist ein fortwährendes Erlebnis diesen Song zu hören. Je öfter, desto besser, sonst erschließt sich der Song einem nicht. Diesen Song seinen Freunden zu zeigen ist immer wieder lustig, vor allem wenn diese nicht all zu viel mit Musik am Hut haben. Man sieht förmlich, wie die Zahnräder rattern. Viele wissen gar nicht, ob sie den Song nun gerne mögen oder warum der Song sich ihnen nicht erschließt. Doch für die Handvoll Leute, die sich verleiten lassen, lohnt es sich. Mit vielen Bon Iver Elementen verliert man sich im Sog der Klangfarben und bleibt trotzdem wach - die Magie des 7/8 Takts.
Neuentdeckung des Jahres: Ocean Alley
Australian Surf Rock ist DAS Geheimtippgenre. Egal ob WG-Party, chillige Runde mit den Freunden oder ein langer Roadtrip; dieses Genre passt immer. Es verlangt dem Hörer/der Hörerin nicht viel ab, kann als White Noise im Hintergrund laufen oder bei aktivem Zuhören neue Welten eröffnen. Ein All-Round Genre aus dem dieses Jahr besonders die Band „Ocean Alley“ hervorgestochen ist. Vermutlich neben den Sticky Fingers die einzige Band, bei der ich wirklich gern aktiv aus diesem Genre zugehört hab. „Confidence“, „Tombstone“ oder „Happy Sad“ sind nur drei von vielen wahnsinnig tollen Stücken. Eine wahre Inspiration für die eigene Musik und ein toller Geheimtipp für alle. Gechillt, laid-back, aber nie langweilig. Die perfekte Gratwanderung zwischen Entspannung und Ekstase, Hut ab.
Podcast des Jahres: "Konfettikanone im Jammertal" von Smile and Burn
Ein totaler Nischenpodcast unter den Nischenpodcasts; aber für Fans der Berliner Punkband eine wahre Wonne zum reinhören. Wenn man ein bisschen in der SAB-Materie steckt macht auch das wiederholte reinhören großen Spaß. Einblicke in die Arbeitsweise der spannenden Band, Demo-Tracks hören und Phillip auch mal reden und nicht schreien zu hören, wie scheiße deutsche Texte doch sind machen Lust auf das neue, kommende Album der Band. Es sind zwar nur sieben Episoden, aber eine tolle Art die Band mal anders kennen zu lernen. Hoffentlich bald wieder auf Bühnen im heiß-ersehnten Mosch mit Pfeffi und jeder Menge feinstem Punkrock. Trotzdem; ein paar weitere Folgen wären sicher nicht fehl am Platz!
EPs des Jahres: „Speaking Into Existence“ von Michael Dreilich und Calvin Stone...
Aus dem Hause des Munich Warehouse sind dieses Jahr gleich zwei nennenswerte EPs erschienen. Zuerst erschien die großartige HipHop EP von Calvin Stone und Michael Dreilich, die sich trotz der Distanz zwischen den USA und Deutschland als der Beweis für internationale Zusammenarbeit durchgesetzt hat, auch in Zeiten von Pandemie. Die gesamte EP ist poetisch großartig geschrieben und beweist ein weiteres Mal, dass Hip-Hop aus einem Struggle sozialer und politischer Ungerechtigkeiten entstanden ist. Dreilich’s Drums und Stones großartiger Flow machen diese EP unheimlich spannend, da man sehr schnell raushört in welchen Genres beide unterwegs sind und doch einen gemeinsamen Nenner gefunden haben.
...und Emmerich mit „UFO EMO"
Später in diesem Jahr kam dann mit der EP „UFO EMO“ Moritz Hammrich’s Soloprojekt auf die Welt. Der Gitarrist der Blackout Problems hat nicht nur auf der Single „AMILYA“ seine Vocals und Gitarrenkünste als „Emmerich“ spielen lassen, sondern auch gezeigt, was als Solokünstler an Potenzial in ihm steckt. Mir persönlich fallen Bands wie Knuckle Puck oder Boston Manor als Vergleiche ein. Ob "Ufo Emo" auch die Bezeichnung für ein gänzlich neues Genre ist bleibt offen, doch die Härte und rohe Energie in den drei Songs lässt auf mehr von Emmerich hoffen.
Straight Up Banger des Jahres: Zeal & Ardor mit Golden Liar
Kurz vor Weihnachten sprengt dieser Song die Ohren der Fans. Unglaubliche Energien werden bei diesem Song freigesetzt, eine fantastische Spannungskurve und starke Lyrics. Vom Grundprinzip relativ einfach und doch so mächtig in seiner Gestaltung. Pure Ekstase. Selten reißt mich ein Track direkt von Anfang an so mit (ok doch, bei „MURDERER“ war das auch so, aber die Blackout Problems würden mir da sicher beipflichten). An die schiere Bandbreite an musikalischem Können von Zeal & Ardor kommen nur ganz wenige ran und auch wenn manche Songs mir persönlich zu heftig sind, ist „Golden Liar“ die perfekte Mitte und hört mit dem Höhepunkt auf. Untermalt von einem ebenso ausdrucksstarken Video ist dieses Gesamtpaket ein wahres Kunstwerk. Was für ein Song.
Überraschung des Jahres: Jacob Collier und seine Features.
Oh man, ich hab ihn leider erst jetzt entdeckt.
Als Solokünstler unübertroffen in musikalischer Diversität und Talent sind die Features dieses jungen Künstlers ebenso erwähnenswert wie seine Solowerke. Zum einen hat er mit Coldplay zusammen ein wunderschönes Chorstück komponiert, dass sowohl musikalisch wie textlich direkt ins Herz geht. Ja, die Chormusik ist ein vielerorts unterschätzen Genre. Wahnsinn, was nur die menschlichen stimmen an Emotionen auslösen können.
Neben dieser hochkarätigen Popband hat er auch mit der vermutlich besten Instrumentalband der Welt zusammengearbeitet und bereits 2016 auf dem Song „Don’t You Know“ ein wahres Klangerlebnis erzeugt. Schade, dass ich ihn erst dieses Jahr entdeckt habe! Für Menschen, die keinen Bock mehr auf die immer gleichen dreiminütigen Songs haben und einfach mal wirkliche, ausgearbeitete und durchkomponierte Musik mit hohem Anspruch hören wollen, denen sei nicht nur Collier und Snarky Puppy, sondern auch der gemeinsame Song ans Herz gelegt. This Song is a straight up banger!
Guilty Pleasure des Jahres: „Unten kommt die Gurke rein“ - Die Sacknähte und Ikke Hüftgold
Deutschland’s erfolgreichster Podcast ist hier wohl allen bekannt. Aber dass die beiden Podcaster von „Gemischtes Hack“ in der Musik aus Scheiße Gold machen können, da wär selbst Dieter Bohlen nicht drauf gekommen. Zusammen mit Ikke Hüftgold haben sie einen Schlagerhit der eigenen Art veröffentlicht, der bestimmt nicht nur auf Malle, sonder auch auf dem Kölner Karneval oder dem Oktoberfest seine Fans finden wird. Einen so post-ironischen Song in die deutschen Charts zu katapultieren ist irgendwo auch eine Meisterleistung, egal ob man ihn mag oder nicht.Textlich höchst Anspruchsvoll, so wie jeder Schlagerhit, stellt er Helene, den Kaiser und Co in den Schatten.Ob da noch mehr kommen wird? Die Fanbase hätten die beiden jedenfalls, ausverkaufte Hallen sicherlich auch. Kleiner Denkanstoß.
If it’s stupid and it works, it’s not stupid.
Empfehlung für das kommende Jahr: Weak Daze
Weak Daze aus Kalifornien ist eine erfrischende Emo-Indie-Rock Band mit unter anderem sehr spannenden Songnamen, wie zum Beispiel „My Wife’s’s Boyfriend Bought Me a Nintendo Switch“. Sänger Tanner Kane überzeugt mit seiner leicht melancholischen Stimme sofort, die Drums untermalen die großartige Dynamik des Songs mit dem eigenartigen Titel. Ihr Song „Get Up“ hat es sogar auf die offizielle Playlist von Borderlands 3 geschafft und nicht nur die Musik sondern auch die Persönlichkeit des Quartetts lässt auf eine tolle Newcomerband mit viel Potenzial schließen.
Jan-Severin Irsch
Jan-Severin macht seit er denken kann Musik. Durch verschiedene Chöre, Bands und Lehrer ist er mittlerweile Lehramtsstudent für Musik mit Hauptfach Gesang, ist Sänger seiner eigenen Alternative/Punkrock-Band und Teil eines Barbershop-Chores in Köln. Von Klassik bis Jazz, von Chor- bis Punkrockmusik hört und spielt er alles gern. Ohne Musik geht nicht.