Jahresrückblick 2023: Dave
26.12.2023 | Dave Mante
Viele Leute bezeichnen die aktuelle Zeit ja immer als „die schönste Zeit des Jahres“, geben aber ganz gern mal Weihnachten als Grund dafür an. Was ist eigentlich mit euch? Ende des Jahres ist beim AdW immer die Zeit des Rückblicks und während andere da auf persönliche Erfolge schauen, nerden wir noch mal so ordentlich über Musik ab, dass wir die Zeit kompensieren, die wir am Essenstisch sitzen und irgendwelche halbgaren Weihnachtscover ertragen müssen, obwohl wir doch eigentlich lieber diese Unterground-Post-Punk-Platte hören wollen, die eigentlich nur aus Rauschen und verzerrten Gitarren bestehen. Aber jetzt mal im ernst (ha lustig, als wenn ich im ersten Teil der Einführung nicht ernst gewesen wäre, schließlich läuft im Hintergrund gerade ein Album von Karies), dieses Jahr war super anstrengend und zwar in sämtlichen Belangen. Bei mir waren das ein ziemlich gezwungener Umzug, familiäre Angelegenheiten und auch kopflich war es alles nicht schön, deswegen habe ich mich hier auch etwas rausgenommen, also in den letzten Monaten. Dazu kam mehr Arbeit, mehr Unistress und vor allem auch mehr Konzerte, was natürlich weniger schlimm ist, aber als Fotograf genug Zeit frisst. Aber natürlich habe ich auch dieses Jahr äußerst viel Musik gehört, gesehen, darüber geredet und mich aufgeregt und hier habt ihr alles in einem Paket.
Single des Jahres
Und direkt eine Kategorie, welche schwerer nicht sein könnte. Dieses Jahr kamen ganz hervorragende Singles als Vorgeschmack auf neue Alben auf den Markt. Während Songs wie „Virtuell“ von Van Holzen und Mia Morgan oder auch „The Summoning“ von Sleep Token mich absolut weggehauen haben, muss ich hier ganz klar „Die Kleine Angst“ von Sperling und Blackout Problems nennen. Während ich mich eh schon sehr auf das neue Sperling-Album mit dem Titel (kurz Luft holen) „Menschen wie mir verzeiht man die Welt oder hasst sie“ freue, sorgt diese brachial gute Single Auskopplung mit perfekter Feature-Besetzung durch Mario von den BoPros dafür, dass sich der Hype in Ekstase verwandelt. Warum? Hört doch einfach selbst rein!
EP des Jahres
Während ich EPs immer eher skeptisch gegenüberstehe (viele EPs könnten auch Alben sein, sind wir doch mal ehrlich), hat mich die EP „Upon Loss Singles“ von Knocked Loose innerhalb von knapp 8 Minuten komplett aus dem Sessel kippen lassen. Nicht nur zeigt es, dass die Band nach ihrer letzten EP „A Tear in the Fabric of Life“ den dort eingeschlagenen Weg weitergehen, sondern auch, dass ich noch nicht müde von dieser Musik bin. In den beiden enthaltenen Songs steckt das pure Böse und „Deep in the Willow“ hat dazu noch den hirnlosesten (nett gemeint) und fiesesten Breakdown des Jahres. Ich meine, der Callout ist einfach nur „Knocked Loose, Motherfucker“ und danach wird weitergeballert. Was will man als Hardcore-Liebhaber noch hören? Nicht viel!
Breakdown des Jahres
Wer jetzt erwartet, dass ich meine psychischen Ausfälle des Jahres gerankt habe, den muss ich leider enttäuschen. Es geht mir um das, was das Core-Genre mehr auszeichnet als die mannigfaltigen Handys, die bei Showbeginn in die Luft steigen und die sehr einheitliche Garderobe auf dem Impericon-Festival, die Breakdowns in den Songs. Und naja, davon gab es einige, aber ein Song ist absolut voll davon, und wenn ihr Lorna Shore die letzten Jahre krass fandet, solltet ihr mal „The Poetic Edda“ von Synestia, Disembodied Tyrant und Ben Duerr anhören! Auf euch wartet ein 6-minütiges Epos voller Wut, Brutalität, Überraschung und fiesesten Vocalswitches. Und das Beste, es wurde durch TikTok und Co. noch nicht totgetreten und ein Personenkult ist auch nicht entstanden.
Enttäuschung des Jahres
Wo ich hier schon in alle Richtungen anfange, Fanboys aufzuregen, warum genau hören so viele Menschen immer noch moralisch schwierigen Bands zu? Wie jedes Jahr nenne ich hier keine Namen, keine Lust drauf, noch mehr als eh schon über gesunden Menschenverstand diskutieren zu müssen. Aber ganz ehrlich, dieses Jahr hat das durch einige Vorfälle einen Zenit erreicht, sowohl in den Vorfällen als auch den dämlichen Rechtfertigungen. Und wenn ich mir überlege, dass nächstes Jahr mehrere Konzerte hintereinander stattfinden, die genau diese Menschen anziehen, zuckt mein Urlaubsantrag schon ganz nervös. Aber um auch noch mal ein schlechtes Album zu nennen. Das neue Fake Names Album „Expandables“ war mehr von dem, was auf dem letzten hätte weniger sein können!
Konzertmoment des Jahres
Bevor ich hier die Superlative des generell besten Konzertes des Jahre betitele, möchte ich einmal auf einen gar großartigen Moment hinweisen. Nämlich den Moment, als die Dresdener Punkband Dosenstolz ihren Smash-Hit „Nie wieder Arbeit“ ganze dreimal als Zugabe des Kotzreiz-Konzertes gespielt haben, weil diese eben keine Zugaben geben. Die Energie des Abends mit Kotzreiz, Ersatzkopf, Erection und Dosenstolz war eh schon die ganze Zeit auf einem unübetreffbaren Hoch, aber hier haben alle noch mal ihre Socken hochgezogen und den Rest rausgelassen. Ich sage es mal so, es dampfte danach aus den Türen der Chemiefabrik und die Hälfte der Menschen des ausverkauften Konzertes konnte einen positiven Coronatest nachweisen, ein Qualitätsmerkmal.
Konzert des Jahres
Ich war dieses Jahr auf über sechzig Konzerten und habe jedes einzelne davon fotografiert. Musikalisch überzeugt haben ziemlich viele, jedoch waren es vor allem die persönlichen Momente, die diese Konzerte, welche ich hier erwähnen will, so groß gemacht haben. Dabei werde ich nicht direkt auf viel eingehen, da es dann teilweise doch sehr persönlich wäre, aber anschneiden ist drin!
Da wäre zum Beispiel das Pabst-Konzert in der GrooveStation, nach welchem ich mit ein paar meiner liebsten Menschen zusammen saß und sich der Bassist der DZ Deathrays, also des Co-Headliners zu uns setze und ein langes Gespräch über warmen Jägermeister, Türsteher und Venues uns dazu führte, dass er ziemlich viele Bands aus Australien kennt (woher er kommt) und unter anderem das Cover des aktuellen The Chats Albums „Get Fucked“ gemacht hat. Da wäre eben das erwähnte Kotzreiz-Konzert, bei dem man die Hälfte des Publikums, der Mitarbeiter*innen und der Bands kennt und abklatscht oder das Be Well Konzert im Conne Island, zu welchem es einen ganzen Artikel gibt, weswegen es so großartig war.
Meine liebsten Konzertfotos des Jahres
Ich halte mich kurz, keine Ahnung, wie viele Fotos ich dieses Jahr gemacht habe, Dropbox sagt, ich habe 21000 hochgeladen, aber ich wollte euch mal eben 5 zeigen, die ich sehr gern mag.
Out of the Bubble
Erneut der Award, welcher an ein Album geht, das eigentlich außerhalb der Musik liegt, die ich so am meisten höre. Das Debüt von Nina Chuba heißt „Glas“ und hat mich durch viele nächtliche Spaziergänge getragen. Dieses Album strotzt nur so vor Abwechslung, passender Features und lyrischer Feinheiten. Keine Spur mehr von dem TikTok-Hype, welchen Wildberry Lillet versprüht hat. Kein schlechter Song, aber zu wenig Tiefe, um mir auf Dauer zu gefallen. Denn sind wir mal ehrlich, Songs, die durch TikTok berühmt werden, sind für kurze Aufmerksamkeitsspannen da, also eine Kategorie der One-Hit-Wonder. Nina Chuba beweist nun, dass sie eben das nicht ist und bringt mit „Glas“ ein teilweise sehr anderes Album heraus, ganz stark!
AdW Moment des Jahres
Es war dieses Jahr leider schwierig, wirklich viel an Teamdingen teilzunehmen, traurig, aber manchmal sind andere Dinge leider wichtiger. Jedoch habe ich es trotzdem geschafft, zwei Menschen aus diesem Kosmos zu treffen. So habe ich mit Lucio ganze drei Konzerte besucht und vor allem bei Captain Planet führte das zu einem fantastischen Abend mit Geschichten über ein Nazi WLAN und dem darauf folgenden Polizeieinsatz. Und dann habe ich sehr spontan noch Jakob in meiner neuen Wohnung schlafen lassen. Das lustigste daran, er hat hier geschlafen, bevor ich es getan habe. Nächstes Jahr wird hier dann hoffentlich wieder mehr stehen!
Album des Jahres, endlich geliebt UND Überraschung des Jahres
Ähnlich wie Baldurs Gate 3 habe auch ich mehrere Preise in die gleiche Richtung zu schieben. Nachdem Sleep Token mit „Chokehold“ an mir abprallten, weil ich den Hype um einen Song, welchen ich so schon mehr als oft gehört hatte, einfach nicht verstand, flatterte irgendwann das Muster zu „Take Me Back to Eden“ rein. Es hatte nur zwei Songs gedauert, um die Skepsis komplett zu eliminieren. Seitdem begleitet mich die Band und ihre drei Alben „Sundowning“, „This Place Will Become Your Tomb“ und eben auch „Take Me Back to Eden“ in sämtlichen Alltagssituationen. Und was für ein mächtiges Gesamtwerk einen da überrollt, ist wahnsinnig. Während mich keines der Alben komplett zu 100 Prozent überzeugen kann, schafft es der Großteil der Songs so sehr, dass es mir schon ziemlich leidtut, das Ganze so abgetan zu haben, denn mittlerweile mag ich selbst „Chokehold“ sehr gern und „Sundowning“ wurde der Tune für meinen letzten Urlaub in Amsterdam und ein Album, welches mir in schlechten Momenten beisteht und sehr hilft. Ich hänge hier noch einmal meine Rezension an, welche ich zu „Take Me Back to Eden“ geschrieben habe. Aber ganz ehrlich hört das für euch selbst, ohne einen Satz darüber zu lesen!
2024 calling
Hier kommt ja immer das gewöhnliche Gerede darüber, dass man sich auf Konzerte und so weiter freut. Ich hab unfassbar Bock auf das neue Sperling-Album und auch Casey bringen endlich wieder eines raus, nachdem sie ja lange wenig dazu gesagt haben, ob sie jetzt wieder komplett dabei sind. Ich sag es mal so, eventuell lag das Album schon im Postfach und eventuell war das alles sehr emotional. Mehr dazu dann im Januar!
Bis bald, wir sehen uns bestimmt mal in einem Moshpit! Ich bin der mit der Kamera.
-dave
Dave Mante
Aufgewachsen zwischen Rosenstolz und den Beatles hört sich Dave mittlerweile durch die halbe Musikwelt, egal ob brettharter Hardcore, rotziger Deutschpunk, emotionaler Indie oder ungewöhnlicher Hip Hop, irgendwas findet sich immer in seinen Playlisten. Nebenbei studiert er Kunstgeschichte, schlägt sich die Nächte als Barkeeper um die Ohren oder verflucht Lightroom, wenn er das gerade fotografierte Konzert aufarbeitet.