Jahresrückblick Felix 2021
20.12.2021 | Felix ten Thoren
Song des Jahres
Dementsprechend ist auch mein Song des Jahres nicht einmal aus diesem Jahr. Genauer gesagt ist er bereits drei Jahre alt, und doch hat kein anderer Track mein derzeitiges Lebensgefühl so akkurat getroffen wie „Serotonin“ von Isolation Berlin. Ob beim Mitklimpern im 10m²-Zimmer, vor dem Pfandautomaten, beim exzessiven Spazierengehen oder dem Abgeben meiner Bachelorarbeit – „Serotonin“ war immer. Es hätte schlimmer sein können.
Album des Jahres
Tatsächlich: Es gab so einiges Gutes dieses Jahr, vor allem an neuen Platten. Dementsprechend fiel mir die Wahl in dieser Kategorie auch besonders schwer. Entschieden habe ich mich letzten Endes für Arlo Parks "Collapsed In Sunbeams". Kennengelernt auf dem Reeperbahn-Festival 2019, wurde die Musik der britischen Singer-Songwriterin für mich zum Soundtrack des Jahres. Und selten gab es einen gelungeneren Titel für ein Debütalbum, denn "Collapsed In Sunbeams" ist tatsächlich genau so fragil, melancholisch und hoffnungsvoll zugleich, wie es die Überschrift vermuten lässt. Kostprobe gefällig?: "Wouldn’t it be lovely to feel something for once? Wouldn’t it be lovely to feel worth something?“ heißt etwa eine Textzeile von "Hurt". Das klingt erst einmal nicht besonders aufbauend, aber schließlich dann doch - denn man ist nicht mehr allein. Ein reduziertes Arrangement tut sein übriges, sodass "Collapsed in Sunbeams" zur musikalischen Kuscheldecke wird.
Lovesong des Jahres
Bei all diesem Kuschelpop habe ich natürlich nicht jene Band vergessen, die letztes Jahr mein Album des Jahres stellte. Die machen nämlich auch noch gute Sachen. So war das Pabst-Cover des Käsepopklassikers „Kiss Me“, welches ganz stilecht zum Valentinstag veröffentlicht wurde, ebenso ein Jahreshighlight. Für cheesige End-90er-Radiomucke habe ich ja eh eine Schwäche, und wenn die dann auch noch von meiner Lieblings-Fuzzrockband zum richtigen Zeitpunkt kommt… Ich hab’s gefühlt.
Überraschung des Jahres
Viel Pink gibt es auch bei Lil Nas X. Dass der Old-Town-Road-Typ von 2020 sich dieses Jahr zu einem meiner meistgehörten Künstler mausern sollte, ist dabei wohl die für mich größte Überraschung des Musikjahrs. Persönlicher Lieblingssong: „Industry Baby“.
Video des Jahres
Dementsprechend kann auch das Video des Jahres nur von dem Phänomen aus Georgia kommen. "Industry Baby" ist schon nicht schlecht, aber natürlich ist hier die Rede von "Montero" (Call Me By Your Name). Ich meine – ein offen schwuler Rapper, der an einer Poledance-Stange in die Hölle gleitet, um dem Teufel einen Lapdance zu geben? – wie sollte das zu toppen sein? Eben, gar nicht. Ganz großes Kino.
Neuentdeckung des Jahres
Die Neuentdeckung des Jahres geht hingegen an eine Band aus einer ganz anderen Stilrichtung: The Armed machen Noise-Pop der allerfeinsten Art und lieferten mit „Ultrapop“ das wohl lauteste und spaßigste Album dieses Jahres. Seit Songs wie „Average Death“ und „All Futures“ hat sich inzwischen „An Iteration“ zu meinem absoluten Liebling entwickelt. Das Konzept: Catchy Hooks, überlagert von totaler Reizüberflutung. Gewöhnungsbedürftig, aber lohnend.
Die besten 10 Sekunden des Jahres
…finden sich in dem Moment, wenn sich „Science Fair“ von Black Country, New Road in einen mörderischen Klimax steigert und das Post-Punk-Gerüst von erbarmungslosen E-Gitarren und einem wild-wütenden Saxophon in Stücke gerissen wird. Etwa bei 5:20min findet sich die Stelle, man sollte aber unbedingt den ganzen Song hören.
Radiosender des Jahres
Zum Schluss muss noch ein Shoutout an das kleine pinke Radio in unserer Küche rausgehen, dass sich für die gesamte WG zum treuesten Begleiter über schwere und gute Zeiten entwickelt hat. Ein brauner Strich weist dabei zielsicher auf die 104.00, die UkW-Frequenz von FluxFM Hamburg hin – jener Sender, der uns so ikonische Hymnen wie „Tuk Tuk“ (Refrain: „I’m the Boss / I’m gonna ride my Tuk Tuk“) beschert hat, dessen Auswahl aber auch sonst immer stilsicher und frisch war. Arlo Parks, Celeste, Noga Erez, Bakar, Fatoni, Celeste, BLVTH – solche Künstler:innen hört man bei ByteFM, aber nicht auf den viel gescholtenen terrestrischen Radiowellen. Danke dafür, FluxFM. Wir werden euch vermissen.
Felix ten Thoren
Felix widmet sein Studium der historischen und systematischen Musikwissenschaft in Hamburg. Er wurde mit HipHop sozialisiert, findet aber auch Gefallen an diversen Stilrichtungen von Blues bis Hardcore.