Kommentar: Trettmanns Bekenntnis zu Gzuz ist ein Schlag in die Magengrube für alle Hoffnungen auf Veränderung im Deutschrap
03.09.2019 | Julius Krämer
April 2018: Die Rapwelt und der aufgeklärte Feuilleton haben sich wieder voneinander entfernt, das zeigt die Antisemitismus-Debatte um Kollegah und Farid Bang. Zwei Seiten, die zwar oberflächlich über das gleiche Thema reden, dabei aber eine komplett unterschiedliche Sprache benutzen. Vorwürfe der Judenfeindlichkeit auf der einen Seite, Legitimierungsansätze durch die Battlerap-Tradition auf der anderen. Die fragliche Line stammte zwar von Farid Bang – dass ein Künstler wie Kollegah aber anscheinend großen Wert auf das Bedienen von antisemitischen Klischees, beispielsweise in seinen Musikvideos legt, sollte mittlerweile außer Frage stehen. Deutschland diskutiert um die Grenzen der Kunstfreiheit, die Fronten zwischen Rap-Verteidigern und der linksintellektuellen Kulturwelt verhärten sich. Aufgeklärte HipHop-Fans kämpfen mit einem Gewissenskonflikt. Der Musikpreis Echo wird aufgrund der Vorwürfe ob des Versagens seines Ethikrates eingestellt.
4 Monate später: In Chemnitz kommt es zu Übergriffen gegen Migranten, es werden rechtsextreme Parolen gerufen und von faschistischen Gesten Gebrauch gemacht. Nur eine knappe Woche später findet vor dem Karl-Marx-Denkmal als Gegenbewegung das #wirsindmehr-Konzert mit über 50.000 Besucher*innen statt. Das Line-Up: die linkspolitische deutsche HipHop-Elite, darunter Künstler wie Kraftklub, K.I.Z., Nura. Und Trettmann, seines Zeichens gebürtiger Ostdeutscher und mit einem Meilenstein wie "#DIY" im Gepäck, Liebling bei Fans und Kritikern.
Mai 2019. Dem Rapper Gzuz von der Hamburger HipHop-Crew 187 Straßenbande wird von seiner Ex-Freundin in einer Instagram-Story vorgeworfen, sie mehrfach geschlagen zu haben. Ob die Vorwürfe stimmen, bleibt unklar – fest steht jedoch, dass die Polizei ein paar Tage später auf Anfrage von Vice eine sexuellen Belästigung des Rappers auf dem Splash Festival 2018 gegen eine 19-jährige Besucherin bestätigt. HipHop-Medien berichten erst über die Vorfälle, sind dann aufgrund der Drohung von Klagen seitens Gzuz rechtlicher Vertretung gezwungen, die Berichterstattung einzustellen und die Artikel zu löschen. Die kleinen Verlage hätten nicht die finanziellen Mittel, in einen Rechtsstreit zu gehen, heißt es. Gzuz bleibt einer der erfolgreichsten Rapper des Landes.
Dass nun, nach der Veröffentlichung der Single „Du weißt“ von Trettmanns kommendem Album Anfang des Monats Vorwürfe gegen die Zusammenarbeit aufkamen, war abzusehen. Es war nach einigen Songs, besonders aber dem Überhit „Knöcheltief“, nicht die erste Kooperation der beiden Künstler, jedoch schien Trettmann die Vorwürfe gegen seinen Weggefährten weitesgehend zu ignorieren – der Musiker war ohnehin nie bekannt für die hitzigen, spontanen Äußerungen seiner Hamburger Freunde. Lange wartete man auf ein Statement des 45-jährigen, bis er in der aktuellen Juice-Coverstory zu dem Feature Stellung bezog.
„Gzuz ist über die Jahre zu einem engen Freund geworden. Ich habe mich entschieden, weiter mit ihm Musik zu machen und ihn trotz der Anschuldigungen und des öffentlichen Drucks nicht fallen zu lassen.“ Was weniger wie ein Skype-Interview und eher wie eine sorgfältig ausgearbeitete Pressemitteilung klingt, ist ein Schlag ins Gesicht für jeden Rap-Fan, der sich in Zeiten von #metoo und weitflächiger gesellschaftlicher Sensibilisierung auch im deutschen HipHop einen Wandel gewünscht hätte. Nicht, weil auf einmal zu erwarten wäre, dass ein fragwürdiger Künstler wie Gzuz nicht mehr erfolgreich ist. Sondern, weil gerade Trettmann in einer absolut einzigartigen Position ein Zeichen setzen könnte, ab welchem Punkt eine Grenze überschritten wurde.
Der Wahl-Leipziger vereint in seiner Musik Autotune-Ästhetik mit Consciousness, Trap-Sounds mit kritisch-politischen Inhalten, Minimalismus und große künstlerische Ambition. Er könnte der Vater der zahllosen New-School-Rapper heutiger Tage sein, schlägt die Brücke zwischen Jung und Alt, Ost und West, ist bei den Ravern, Gangstern, Studierenden und dem Feuilleton gleichermaßen populär. Trettmann ist wohl zweifellos einer der wichtigsten deutschsprachigen Künstler der letzten Jahre. Und gerade deshalb wiegt seine Nicht-Handlung so schwer. „Gewalt ist scheiße und ein Problem, nicht nur im Rap. Gerade deswegen muss man offen darüber sprechen und sich nicht plötzlich scheinheilig abwenden, weil sich der Wind gedreht hat“ fügt er weiter an und lässt die Frage offen, wie denn so ein offenes Gespräch auszusehen hat.
Ein Künstler von der Größe und dem Standing eines Trettmann könnte wirklich etwas verändern, auch wenn er mit einer Positionierung gegen Gzuz oder der öffentlichen Thematisierung der Debatte wohl eine nicht unbeachtliche Masse an Streaming-Zahlen einbüßen würde. Es wäre ein erster Schritt raus aus dem Sumpf des Sexismus, Antisemitismus und der Homophobie, die Deutschrap momentan in vielen Bereichen auszeichnet. Dass ein gewisses Vokabular nicht nur in der Kunst geschieht, sondern auch im ganz realen Leben, zeigen Vorgänge wie der besagte Vorfall von Gzuz. „Ich habe mit ihm privat darüber gesprochen, was ich von den Anschuldigungen halte“, erzählt Publikumsliebling Tretti, ohne die Frage zu beantworten, was er denn davon hält. Dass noch nicht einmal ein politisch engagierter und offensichtlich reflektierter Künstler wie Trettmann sich traut, Haltung zu zeigen und sich von Musikern wie Gzuz zu distanzieren, lässt die Hoffnungen auf Besserungen und ein menschliches Rückgrat im Deutschrap in weite Ferne rücken.
Julius Krämer
Julius stammt aus dem hoffnungslos unterschätzten Wuppertal und studiert momentan Musikpädagogik und Politikwissenschaft in Münster. Neben seiner Tätigkeit als Gitarrist in verschiedenen Bands begeistert ihn alles von Prog über Alternative bis Hardcore, er unternimmt aber auch gerne Ausfüge in HipHop, Jazz oder elektronische Musik und mag dabei besonders die Verarbeitung übergeordneter Gedankengänge oder des Zeitgeschehens in der Musik.