»Punk rock and hiphop are my art form.«
28.04.2020 | Julius Krämer
»Punk rock and hiphop are my art form. They necessitate volume! There is no such thing as acoustic punk rock or acoustic hiphop.« Frederick Jay Rubin, den meisten besser bekannt unter seinem Namenskürzel Rick Rubin, kann unter vielerlei Gesichtspunkten als Visionär betrachtet werden: Seine Innovationen in der Label-Struktur von Def Jam, oder einfach sein musikalisches Ohr, das Künstlern wie Beastie Boys, Red Hot Chili Pepper oder Johnny Cash zu ihren besten und erfolgreichsten Alben verhalf. Was ihn aber von vergleichbaren Produzenten absolut einzigartig macht, ist das kompromisslose Inklusionsdenken von Genres. Lange vor Crossover, Nu-Metal oder Rap-Core bildeten für ihn HipHop und Gitarrenmusik keine Widersprüche. Im Gegenteil: Die Musik und die jeweilige Jugendkultur haben mehr gemeinsam, als man gemeinhin denkt. Oben genannten Satz sagte er zum Uni-Gericht während seiner Studentenzeit, nachdem er wegen ausgiebiger (und offensichtlich sehr lauter) Mixing-Sessions von Punk- und Rap-Platten in seinem Campus-Zimmer von seinen Nachbarn wegen Ruhestörung angeklagt worden war.
HipHop und Punkrock gehen andere Wege, haben ihre Blütezeit in unterschiedlichen Jahren (gehabt) und werden musikalisch grundlegend verschieden praktiziert. Der Ausgangspunkt beider Bewegungen aber – und das ist das Entscheidende – ist der gleiche. Der deutsch Musikjournalist Falk Schacht brauchte es in einem Talk auf dem Reeperbahn Festival mit Backspin-Chefredakteur Niko vor einigen Jahren mit einem Bild auf den Punkt: Wenn ein Haus die Gesellschaft abbildet, mit allen gesellschaftlich akzeptierten Schichten und Klassen drin, steht der HipHopper draußen. Was macht er (oder sie) nun? Statt anzuklopfen, und zu fragen, ob man ihn denn hereinlassen könnte – schließlich will auch der HipHopper Teil der Gesellschaft sein – entscheidet er sich für einen anderen Weg: Er tritt die Tür ein. Einmal die Aufmerksamkeit der anwesenden Gäste gewonnen, beweist er ihnen offensiv und kompetitiv, dass er das Zeug und den Wert dazu hat, teilzunehmen – obwohl er, wegen welchem Grund auch immer (Migrationshintergrund, Armut, Kriminalität), von vornerein ausgeschlossen wurde. Der HipHopper stellt sich nicht über andere Teile der Gesellschaft, er fordert aber das Recht für sich ein, auf der gleichen Ebene zu stehen.
Der Punk ist anfangs ebenso wenig Teil der akzeptierten Gesellschaft, wie es der HipHopper ist. Er steht, wenn man so will, gleich um die Ecke vor dem Haus: Der Ausgangspunkt ist also ein und derselbe. Was jedoch den Unterschied macht: Punk will nicht Teil der Gesellschaft sein, er tritt höchstens die Tür ein, um den Hausbewohnern ein lautes »Fuck you!« hereinzuschreien. Für ihn gehören diese Menschen zur unterdrückenden Klasse, Ursache und Resultat unseres kaputten und ungerechten Systems. Der Punk bleibt vor dem Haus, da er nicht Teil dieser Gesellschaft sein will. Frei nach Adorno: »Es gibt kein richtiges Leben im Falschen.« Irgendwann fällt dem Punk auf, dass er nicht der einzige "Ausgestoßene" ist: Gemeinsam mit anderen Außenseitern tut er sich zusammen, die wegen allen möglichen Gründen auch nicht ins Haus durften. Eine Subkultur entsteht.
Selbstverständlich vermittelt diese Metapher ein sehr eindimensionales Bild zweier vielschichtiger und hochkomplexer Weltanschauungen – die grundlegende Annahme vom HipHopper, der als Einzelgänger aggressiv um Anerkennung kämpft, und dem Punk, der sich mit anderen Gleichgesinnten zusammentut, trifft jedoch in groben Zügen zu. Und das Wichtige: Der Ausgangspunkt beider Jugendkulturen ist gleich! In beiden geht es um Rebellion, Provokation, Regeln brechen und auf radikale Art und Weise den eigenen Weg zu beschreiten. Nur die Art und Weise, wie dieser Weg begangen wird, unterscheidet sich.
HipHop ist mittlerweile zum absoluten Mainstream geworden, zur neuen Popmusik – sowohl in Deutschland als auch im US-amerikanischen Raum. Punk und der ganze Bereich der Gitarrenmusik dagegen hat in den letzten 15 Jahren stark an Popularität verloren und fristet sein Dasein momentan als nischige Liebhaber-Szene – einige große Acts einmal ausgenommen. Kurioserweise trifft das Bild von Punk als der »alten« Jugendkultur und HipHop als »neu« nicht wirklich zu: Beide Genres entstanden fast zeitgleich, in den 1970er Jahren. »Anarchy in the U.K.« von den Sex Pistols und »Rapper's Delight« von der Sugarhill Gang, beides Songs, die als eine der ersten Populären ihres Genres bezeichnet werden, erschienen im Zeitraum von nicht einmal drei Jahren: 1976 und 1979.
Beide Musikrichtungen sind Außenseiter-Kunst, gemacht von Außenseitern für Außenseiter. Selbstredend kann nicht der Großteil der Gesellschaft Außenseiter sein – sobald es ein Genre in den Mainstream schafft, muss es zwangsläufig einen Teil seiner gesellschaftspolitischen Sprengkraft verloren haben. Punk hatte seine Hochphase in den späten 70ern und frühen Achtzigern, es zündete also schneller als Rap – ein Umstand, der mit Sicherheit auch der Tatsache geschuldet war, dass Punk von linkspolitischen Weißen in London und New York stammt und Hiphop von den systematisch diskriminierten der US-amerikanischen Ghettos. Die eine Kunstform setzt auf konsequenten Do-It-Yourself-Ethos und gleicht ihre fehlende kulturelle Bildung mit laut aufgedrehten, einfachen Rocksongs samt politischen Parolen und Nonkonformismus aus, die andere prangert mit Sample-basierten Beats und kompetitiven Battles bestehende Verhältnisse an – die Wut auf das herrschende System haben sie aber gemeinsam.
Punk hat nach heutiger Betrachtung dennoch ein gewisses Image-Problem bei der Jugend. Schaut man sich die Charts hierzulande an, kommt man an der Omnipräsenz von Rap nicht mehr vorbei. Die Zeiten, in denen aufstrebende Künstler mit lauten Gitarren auf sich aufmerksam machten, scheinen dagegen vorbei zu sein – man vergleiche den aktuellen Status Quo mit Zuständen vor 15 Jahren, als Pop-Punk-, Emo- und Indie-Bands wie My Chemical Romance, Blink-182 oder Arctic Monkeys noch ein ganzes Movement an Nachwuchs-Bands anführten. Besagte Acts sind immer noch riesig, ihre Hörerschaft aber ist mit ihnen gealtert und im Mainstream sind ihnen nicht viele gefolgt. Dementsprechend ist Punkrock also mittlerweile eine alternative Subkultur, dessen junge Anhänger*innen meist nicht viele Gleichgesinnte in ihren Schulklassen haben. Gleichzeitig gilt das Bild der Gitarrenbands aber als antiquiert, da die Affinität hierzu oftmals der Elterngeneration zugeschrieben wird – gegen die es ja vor allem anderen geht, zu rebellieren.
Rap dagegen hat trotz seines beispiellosen Siegeszugs über den Mainstream vergleichsweise wenig von seiner Underground-Coolness verloren: Es galt zwar nie als »cool«, dem Mainstream hinterherzulaufen, dennoch wird HipHop nicht als miefige Mitte der Gesellschaft wahrgenommen – obwohl, wie schon erwähnt, die Kultur genauso alt ist wie Punkrock. Dieser hat von den Seiten interessanter Szene-Alternativität und kontemporärer, jugendkultureller Unterstützung also jeweils worst of both worlds abgekriegt, während sich HipHop damals wie heute immer noch auf seine Street-Credibility stützt, trotz durchschlagendem Mainstream-Erfolg sei einigen Jahren.
Selbstverständlich sind beide Musikgenres mittlerweile zu Karikaturen ihrer selbst geworden, die oftmals nicht mehr viel mit dem ursprünglichen Gedankengut gemeinsam haben. Wie viel richtiger Punk steckt denn noch in Pop-Punk-Bands wie All Time Low? Vertritt ein Künstler wie Yung Hurn wirklich klassische HipHop-Werte? Und noch wichtiger: Braucht Rap diese Werte überhaupt noch? Gerade in den letzten Jahren sind dazu viele Musiker*innen gekommen, die die beiden Welten kombinieren, sei es ihre Attitüde oder ihre Musik: Ho99o9 etwa vermählen rohen 80er-Hardcore mit verzerrten 808s, wie man sie von Death Grips kennt, und XXXTentacion und Lil Peep traten vor einigen Jahren eine ganze Welle an Rappern los, die sich von 90er- und 2000er-Emopunk inspirieren ließen. Und auf Konzerten der neuen Deutschrap-Generation um Rin oder OG Keemo wird auch ordentlich gemosht. Erfrischend, wie egal die Grenzen von Punk und HipHop mittlerweile sind. Wahrscheinlich hatte Rick Rubin recht.
Julius Krämer
Julius stammt aus dem hoffnungslos unterschätzten Wuppertal und studiert momentan Musikpädagogik und Politikwissenschaft in Münster. Neben seiner Tätigkeit als Gitarrist in verschiedenen Bands begeistert ihn alles von Prog über Alternative bis Hardcore, er unternimmt aber auch gerne Ausfüge in HipHop, Jazz oder elektronische Musik und mag dabei besonders die Verarbeitung übergeordneter Gedankengänge oder des Zeitgeschehens in der Musik.