Punk und Religion?
16.11.2022 | Johannes Kley
Also: "Dharma Punx" ist ein Buch von Noah Levine. Nach jahrelanger Drogenkarriere fand er zum Buddhismus und verbindet seit vielen Jahren Punk und seinen Glauben, hilft Menschen dabei von Drogen wegzukommen und schreibt Bücher darüber. Es liest sich ganz angenehm und auch wenn die Menschen bei Goodreads bemängeln, dass der Autor unsympathisch rüberkommen würde, was er am Anfang des Buches vielleicht auch tut, da er da - wie er selbst feststellt - ein Arschloch ist, ist das Buch dennoch echt interessant.
Na jedenfalls stellte ich dabei fest, dass es irgendwie echt viele Punk- und Hardcoremenschen gibt, die sich Religionen zuwenden, was ja vom Grundgedanken des Punk abweicht. Also von wegen keine Autorität und so. Ich mein, es gibt seit Ewigkeiten die Band Bad Religion, deren Logo diesen Artikel schmückt und dann kommen da irgendwelche Straight Edge-Kids und werden Krishnas? Oder Buddhisten? Und wir erinnern uns an die ganzen Bands wie As I Lay Dying oder Underoath, die an der Spitze der Core-Szene standen und offen christlich waren und auch solche Texte hatten. Diese Menschen haben Hardcore gemacht und sich gegen Abtreibungen eingesetzt. Progressiv am Arsch. Oder wie erklären sich solche Texte bitte?
"She puts its life in her hands, and then she destroys its only chance to become someone in life.
You should have thought about the baby before you had sex, because you have destroyed a gift from God.
[...]
Babies die everyday because of a pro choice made.
Helpless and innocent they are put to death."
Underoath - "Burden In Your Hands"
Und das der Sänger von As I Lay Dying seine Frau umbringen lassen wollte, sollte hier auch noch einmal erwähnt werden. Das mit der Nächstenliebe hat der noch nicht ganz verstanden. Und wieso zur Hölle sind die zurück? Wieso verkaufen die noch Alben? Also wieviel lassen Menschen diesem Mann bitte durchgehen? Also ich stehe auf der Seite der Opfer und habe Capsize, Feine Sahne Fischfilet oder Manson nie wieder unterstützt nachdem die Aussagen der Frauen ans Licht kamen und da gibt es immer wieder Menschen, die sagen, dass Aussage gegen Aussage steht. Aber bei As I Lay Dying ist es sogar alles bewiesen. Es ist eine Tatsache und die Menschen tun so, als wäre Nichts gewesen. Respekt an die Fans für soviel Dummheit.
Also der Song klingt musikalisch noch ein wenig roh, aber zum Moshen reicht es definitiv. Aber der Text - wow. Mittlerweile ist die Band auch nicht mehr christlich, aber die haben jahrelang die Flagge hochgehalten und sich gegen Pro Choice engagiert. Vermutlich, damit ihre Pfarrer Nachwuchs kriegen, den sie dann traumatisieren können. Und dann gibt es ja noch Bands wie Being As An Ocean, deren erstes Album direkt "Dear G-d" hieß. Na welcher Buchstabe da wohl reinkommt? Nicht falsch verstehen, ich liebe dieses Album. Alle anderen Alben hab ich vor Jahren verkauft, aber das erste Album ist ein Meisterwerk und auch wenn in fast jedem Song eine religiöse Anspielung ist oder Gott direkt angesungen und angeschrien wird, ist es weniger unangenehm als die frühen Underoath-Werke. Auch freuten sich Being As An Ocean damals öffentlich über die Öffnung der Ehe in den USA. Es sind also einfach Christen, die weltoffen sind und ihre Werte wirklich leben. Kurz dazu: Ich halte viele Dinge, die Religionen predigen, nicht automatisch für Schwachsinn. Letztlich sind es oft simple Regeln für ein gutes Zusammenleben, die vielleicht mal ein Update bräuchten. Das Problem sind die Radikalen und die verbohrten alten Männer und die Institutionen dahinter. Wenn dein Glauben deine Privatsache ist und bleibt, ist das okay. Sobald er mich in meinem Leben einschränkt, ist es ein Problem. Bete so viel du willst. Glaub an was du willst. Aber lass die heiraten, die es möchten, lass Frauen abtreiben und hört auf ein ewig altes Buch dafür zu nutzen, veraltete Ansichte zu rechtfertigen. Being As An Ocean haben auf ihrem ersten Album sogar die Rede von Ghandi, der jetzt nicht unbedingt als Christ gilt, genutzt und es passt. Musik ist immer Interpretationssache und wenn ich als Hörer da was rausziehen kann, ist das völlig okay, wenn er seine Worte an Gott richtet. Liebt einander. Passt aufeinander auf und seit weltoffen. Dann ist Religion völlig okay.
Aber wie bereits erwähnt gab es auch die Strömung der Krishnas im Hardcore und ich erinnere mich noch an die netten Menschen in den 90ern und frühen 2000ern, die in orangenen Kluften durch die Stadt liefen und dir Bücher schenken wollten. Sind auch irgendwie verschwunden. Jetzt kriege ich nur noch den Leuchtturm in der City. Es geht alles den Bach runter.
Jedenfalls haben Bands wie Youth Of Today zum Hinduismus gefunden und dann wurde irgendwie Shelter daraus, die auch echt ein paar gute Alben hatten. Gut, die Grundwerte teilten sie sich durch Straight Edge eh schon und dann kam noch ein bisschen Erleuchtung dazu. Teilweise waren auf den Alben dann irgendwelche Gebetssongs und die Albencover sehen auch ein wenig creepy aus, aber musikalisch ist das echt gut und textlich teils auch. Ich hab kein Problem mit den Werten und wer nebenbei beten will, soll das ruhig machen. Wahrscheinlich störe ich mich aber auch weniger daran, weil Krishnas keinen Einfluss auf unsere Politik haben. Diese Menschen können machen was sie wollen und beeinflussen mein Leben nicht. Christen sind halt einfach zu sehr damit beschäftigt in die Politik einzugreifen. Daher meine Abneigung gegen die großen institutionellen Religionen.
Zurück zu den Krishnas. Die Szene hatte ein paar Jahre ein paar aktive Bands, aber erreichte nie die Größe der Christ-Core-Szene, aber Shelter sind wieder aktiv und predigen zum Mosh Pit. Ich verstehe ein bisschen, wieso die Straight Edge-Szene sich den Krishnas zuwandte, da sXe ein zielloser Weg für viele Menschen war. Keine Drogen, Alkohol und Zigaretten ist eine gute Sache, aber wofür? Und dann kommen da die Krishnas und zeigen dir, dass du eigentlich schon alles richtig machst, außer zu meditieren? Und wie bereits erwähnt kamen viele Hardcorekids nicht aus den reichsten Haushalten und hatten eine harte Jugend (unglaublich, dass Rockmusik mal die Stimme der Jugend war, nicht wahr?) und bekamen einen Lebensinhalt in den Tempeln. Ähnlich ging es auch Noah Levine, der auch erst Straight Edge wurde und dann zum Buddhismus fand. Religion kann ein Netz sein, welches dich auffängt. Wirklichen Buddha-Punk oder Buddha-Core hab ich leider nicht gefunden.
Genauso war es beim Islam. Ich wusste nicht, ob es Muslim-Core gibt, aber eine kurze YouTube-Suche brachte mich da weiter. Gibt es quasi, aber nicht so groß und bedeutend für die Musikwelt wie vielleicht das christliche Pendant, wobei ich denke, dass Punk sein in gewissen Ländern deutlich mehr Mut braucht, als es in Deutschland zu sein, wo sich kaum einer dran stört. Aber ich musste direkt an Sean Muttaqi von Vegan Reich denken, der zum Islam konvertierte (ich habe hier einen UNSICHEREN http-Link zu der Seite muslimsforjesus.org mit einem Interview mit Sean. Klicken auf eigene Gefahr!) und bei einer Band die Vegan Reich heißt und ein Album namens "Jihad" hat, seh ich da auch keine Probleme. Überhaupt nicht. Also eigentlich schon.
Bleibt die Frage nach dem Warum.
Warum werden Hardcorekids zu religiösen Sprechern? Eine recht weitverbreitete Theorie ist, dass Hardcoremenschen die Musik hören, weil sie Probleme haben. The Kids Aren't Alright. Und was machen Religionen? Einfache Antworten geben. Als vulnerabler Mensch sind die Versprechen des ewigen Lebens, des Himmels oder was auch immer sehr attraktiv. Bands wie Underoath sind da eine andere Geschichte. Diese sind meist als Antwort aufgekommen. Ähnlich wie Straight Edge als Antwort auf das selbstzerstörerische Verhalten der Punks aufkeimte, entstand eben eine christliche Hardcore-Szene, um für Jesus zu Moshen und über Gott zu reden, da Punk und Hardcore ja sonst eher gegen Religionen war. Wieso diese Bands dann so erfolgreich wurden ließe sich in den USA noch erklären, da dort ein Gebiet existiert, welches Bible Belt genannt wird. Und wenn Mutti und Vati nicht wollen, dass ihr Kind böse Bands hört, kauft es denen eben ein Album der freundlich klingenden Band As I Lay Dying. Wahrscheinlich wurden die dort so erfolgreich, dass es nach Europa schwappt. Also Underoath hab ich nicht wirklich mitbekommen, aber ich weiß, dass eben As I Lay Dying viele Fans hatten. Ich glaub vor allem Nicht-Muttersprachler haben die wundervolle Fähigkeit die Texte zu ignorieren und einfach die Musik gut zu finden. Ich kenne Menschen, die noch nie einen Songtext für sich übersetzt haben. Juckt die einfach nicht. Dumm, aber okay. Also ich hab keine Lust, aus Versehen eine Naziband zu hören, aber in Deutschland schaffen es auch spanische Songs in die Charts und da interessiert sich auch keiner für die Lyrics. Warum sollte es bei Hardcorekids anders sein?
Vielleicht stört sich auch einfach niemand daran. Also ob jetzt religiös, agnostisch oder atheistisch - Texte können interpretiert werden und die meisten Menschen stören sich nicht an irgendwelchen alten Regeln und wenn die Bands ihre positiven Aussagen in Musik verpacken, ist daran ja nichts auszusetzen.
Ich weiß nicht einmal, was ich mit diesem Text erreichen will.
Vielleicht nur den Buchtipp "Dharma Punx" aussprechen. Ansonsten wollte ich das Thema einfach mal aufkommen lassen, damit ihr ein unwichtiges Thema habt, über das nachdenken könnt. Ich bin prinzipiell eher Fan von den Buddhisten oder meinetwegen sogar den Krishnas, einfach weil diese Menschen meiner Meinung eher versuchen wirklich was zu verbessern und weniger eine Ausrede für ihre mittelalterlichen Ansichten suchen. Also wem der Glaube an Jesus oder so hilft, ist das super für dich, auch wenn viele Menschen die Religion als Ausrede nutzen, nichts ändern zu müssen, weil es ja Gottes Wille sei. Als Krankenpfleger kann ich nur zweifeln, habe ich doch schon Zweijährige mit riesigem Hirntumor gesehen. Hat bestimmt gesündigt oder ne Abtreibung gehabt, oder? Ich sehe da keinen gnädigen Gott. Aber letztlich halte ich die großen Religionen eher für schädlich als hilfreich für die Welt. Stichwort Kreuzzüge, Hexenverbrennung, Homophobie, das Predigen gegen Kondome, Abtreibungsgegner, Jihad, Unterdrückung aller Menschen außer heterosexueller Männer, Schächten, Kindesmissbrauch...die Liste kann noch ewig weitergehen. Aber die Musik aus dem christlichen Spektrum im Hardcorebereich war teilweise wegweisend und ich habe einige Songs aus dieser Zeit, die ich bis heute Liebe. Ob dafür jetzt die Religion notwendig war, weiß ich nicht, aber in den meisten Fällen hat es vielleicht geholfen ein paar Kids Musik zu zeigen, die sie ohne das Label "christlicher Hardcore" nicht hätten hören dürfen, weil ihre Eltern konservative Christen sind. Wer weiß.
Ich jedenfalls hör jetzt "The Changing Of Times" von Underoath und lese weiter "Dharma Punx" und wünsche euch einen schönen Tag. Bleibt weltoffen, glaubt was ihr wollt, lasst andere damit in Ruhe und liebt einander.
Johannes Kley
Kolumnist und Konzertmuffel Joe ist Gesundheits- und Krankenpfleger in Bochum, liebt seinen Hund, liest leidenschaftlich gern, gibt ungern Bewertungen für Alben ab, ist Musikliebhaber, irgendwo zwischen (emotional) Hardcore, Vaporwave, Goth-Pop und Nine Inch Nails und versorgt euch unregelmäßig mit geistigen Ergüssen aus seiner Gedanken- und Gefühlswelt.