UnderØath - geliebt, gehasst, vergessen, unendlich dankbar
12.07.2022 | Johannes Kley
Ich war 16 oder 17 Jahre alt oder so, als einige meiner Mitmenschen in der Schule Austauschschüler:innen aus den USA zu Besuch hatten. Ich saß dann in der Straßenbahn mit einem von ihnen zusammen und wir kamen ins Gespräch. Er sprach mich auf meinen NIN-Aufnäher an und ich fragte ihn dann, was er denn so hören würde. Da zeigte er auf sein UnderØath-Shirt und kurz darauf, als ich zu Hause war, googelte ich die Band und fand einen Song, der mich schockierte und gleichzeitig sehr faszinierte. "When The Sun Sleeps" war der erste Track, der mich harter Musik gegenüber öffnete. Klar, ich habe damals Bullet For My Valentine gehört und Nine Inch Nails sind jetzt auch keine klassische Popband, aber mit Screams wurde ich bis dahin nur mäßig warm. Aber UnderØath war die erste Band, bei der ich in all den berstenden Stimmbändern ein wirkliches Gefühl entdecken konnte. Und das ist bis heute so. Wenn ich "When The Sun Sleeps" anhöre bekomme ich nach wie vor Gänsehaut und erinnere mich, wie ich diesen Song auf meinem 1-Gigabyte-MP3player damals eine Woche lang auf Repeat gehört habe. Kennt ihr noch Last.fm? Das war bei meinem ersten Account damals lange mein meistgescrobbelter Song. Nicht einmal Nine Inch Nails kamen da dran, aber auch weil ich bei denen halt alle Songs gehört habe und bei UnderØath eben nur einen Track.
In Halle gab es damals die Musik-Box. Das war ein unglaublich geiler kleiner Plattenladen, bei dem Matthias hinterm Tresen stand und dir einfach alles besorgt hat. Du bist da reingegangen und hast gesagt, dass du ein Album suchst, dass ähnlich wie irgendwas klingt und er hat es direkt griffbereit gehabt. Dort habe ich übrigens Callejon und Vanna entdeckt. Danke nochmal Matze.
Jedenfalls hab ich dort dann die Live-DVD und zwei Alben gekauft und geliebt. Die Band hat ja einige Stile gespielt und irgendwie kam ich sogar an die echt merkwürdigen Black Metal-Sachen (damals unironisch als White Metal, weil christlich, bezeichnet) ran. Einige Zeit war ich bei Online-Games als "Watch Me Die" unterwegs, auch, weil ich eh ständig gekillt wurde. Die Sachen waren damals echt heftig für mich und die Band war echt auf dem Weg zu dem kleinen Kreis von Bands zu gehören, die ich als Lieblingsband bezeichnen würde. Lange Zeit zierte ein Bild des Sängers, der in Mikro schreiend auf der Bühne kniete, mit dem Schriftzug "I thought you'd come back" darüber, meinen Desktop. Wobei der Drummer mit seiner Emofrisur auch mal seinen Platz dort fand. Nur als Info, dass sie wirklich Nine Inch Nails für Momente verdrängen konnten. Nicht wirklich bedrohlich, aber da.
Zu der Zeit war mir nicht bewusst, wie große die christliche Szene in der US-Amerikanischen Musik wirklich war. Klar, haben die ständig Worte wie "Christ" und "holy" genutzt, aber ich konnte nicht ahnen, dass die echt fanatisch waren. Ich hatte dann Tickets für ein Konzert in Berlin und wollte da mit meiner damaligen Freundin und Freunden hin. Dann las ich einen Artikel über die Pro Life-Bewegung in den USA. Abtreibungsgegner:innen. Meist mit Penissen und einem Weltbild von vor 100 Jahren. UnderØath gehörten dazu und hatten eine Petition mitunterzeichnet. Ich war schockiert. Wie kann eine Gruppe von Menschen, die ich mochte, so dumm sein? Ich habe die CDs dann Jahre lang nicht angerührt, die DVD verkauft und die Konzerttickets habe ich immer noch. Uneingelöst. Wir sind nie hingefahren, einfach weil ich es nicht konnte. So wie ich versuche keine Band zu unterstützen, die politisch auf der falschen Seite steht oder Menschen scheiße behandelt, habe ich damals für mich eine rote Linie gesehen und ich konnte sie nicht überschreiten.
Ähnlich war es damals bei den Böhsen Onkelz bei mir. Ich habe die Band geliebt und ich habe ihnen auch abgekauft, nicht rechts zu sein. Dafür haben sie viel getan. Alles war okay für mich und ich fand es geil, dass sie sich aufgelöst haben, um nicht peinliche alte Rockstars zu werden. Dann kam die Reunion und sie waren halt doch peinliche alte Rockstars, die Geld brauchen. Da hab ich meine CDs dem Mann einer Arbeitskollegin geschenkt. Es hat lange gedauert, bis ich die Songs wieder hören konnte, die mir mal viel bedeutet haben.
Und genauso war es bei UnderØath. Aber irgendwann fand ich "When The Sun Sleeps" auf meiner Festplatte wieder und es war wie damals. Der Song begeistert mich nach wie vor. Ich habe mir letztens sogar endlich mal die CD gekauft, auf welcher der Songs drauf ist.
Die Band hat sich stark verändert und haben auch das Christentum-Ding abgelegt, weil sie festgestellt haben, das christliche Menschen gar nicht supertolerant sind. Welch Überraschung. Dazu empfehle ich das Video von Finn McKenty (über den muss ich auch mal ne Kolumne machen) in welchen genau der Punkt auch beleuchtet wird.
Die neuen Sachen der Band interessieren mich nicht wirklich. Sind gut gemacht, aber kein einziger Song der Band kam eben an "When The Sun Sleeps" ran. Und wie bereits beschrieben, verdanke ich allein diesem Song, dass ich mich der Musik öffnen konnte, die meine Freundin jetzt ertragen muss und so sehr hasst. Vielleicht hätte ich sonst nie die genialen Songs von Vanna kennengelernt. Wahrscheinlich hätte mich Being As An Oceans erstes Album abgeschreckt und ich hätte weitergeklickt. Mit großer Sicherheit hätte ich jetzt kein Counterparts-Tattoo. Und Knocked Loose wären direkt mal raus gewesen.
Emocore hatte ein paar kurze Screams, aber UnderØath sind die Band, die mir die Schönheit geschriener Worte nahgebracht hat und gezeigt hat, wie wunderschön verzweifelt Musik klingen kann. Hätte dieser Austauschschüler mit damals nicht diese Band empfohlen, würde ich jetzt vielleicht Santiano gut finden und das wäre schrecklich.
Verzeihe ich den Mitgliedern von damals ihren Einsatz gegen Abtreibungen? Das weiß ich nicht. Aber sie sind auch keine As I Lay Dying.
Letztlich muss jeder Mensch selbst entscheiden, wie weit Kunst und Künstler getrennt werden können. Schweres Thema. Aber schade ich jemandem, wenn ich den Song höre? Ich nutze Spotify eigentlich nur beim Duschen und die CD habe ich gebraucht erworben (auch weil sie nicht mehr produziert wird und anscheinend spielen die den Song auch nie live außer im unten eingebundenen Video) und die alte MP3datei auf meinem Rechner war halt immer da. Die Menschen von damals sind bis auf den Drummer nicht mehr in der Band, soweit ich weiß, verdienen keinen Cent an meiner Liebe zu einem Song, die größer kaum sein könnte.
Wer den Song nicht kennt und nicht auf das Video geklickt hat, sollte dies tun. Es ist ein grandioses Stück Musikgeschichte. Zumindest für mich. Schon allein das simple Video und die Stelle, an der Tayler das Mikro mit unglaublicher Intensität zum Mund reißt (4:36) weckt in mir die Euphorie von vor 16 Jahren. Es ist viel passiert seitdem, aber musikalisch hat vieles für mich dort seinen Ursprung und das ist etwas ganz Besonderes für mich.
Johannes Kley
Kolumnist und Konzertmuffel Joe ist Gesundheits- und Krankenpfleger in Bochum, liebt seinen Hund, liest leidenschaftlich gern, gibt ungern Bewertungen für Alben ab, ist Musikliebhaber, irgendwo zwischen (emotional) Hardcore, Vaporwave, Goth-Pop und Nine Inch Nails und versorgt euch unregelmäßig mit geistigen Ergüssen aus seiner Gedanken- und Gefühlswelt.