Behind The Scenes - Hinter den Kulissen von Woodstock
15.04.2021 | Moritz Zelkowicz
Artie Kornfeld und Michael Lang sind Mitte 20 und das, was man heute wie damals Hippies nennt. Sie träumen davon, einen Ton- und Aufnahmestudioservice zu eröffnen - sprich, dem Künstler oder der Künstlerin das Studio nach Hause liefern. Um dieses Vorhaben zu promoten und zu finanzieren, wollen sie ein Festival veranstalten. Nach einem schweren Unfall hatte sich Bob Dylan in die Nähe von Woodstock zurückgezogen und ihm folgten weitere Künstler:innen, darunter Janis Joplin und Jimi Hendrix. Da hier auch das Studio entstehen soll, liegt es nahe, das Festival in Woodstock zu veranstalten.
Und der Gewinn fließt direkt ins Studio. Allerdings fehlen Kornfeld und Lang die finanzielle Power und das Knowhow. Dass sie dieses nicht besitzen, zeigte Lang jüngst, als er beim „Miami Pop Festival“ ein finanzielles Desaster hinterließ. Helfen sollen Joel Rosenman und John Roberts, beide im selben Alter wie Kornfeld und Lang und beide Risikokapital-Investoren. Rosenman und Roberts haben allerdings keinerlei Interesse an dem Studio, schließlich finanzieren sie bereits einen Studiokomplex. Aber die Idee mit dem Festival, die hat was. Daher beschränken sich Rosenman und Roberts darauf. Schritt eins: Aus einem Tag werden zwei Tage Festival. Und nicht nur Musik, es soll auch Kunst zu sehen sein. Schritt zwei: Direkt ein Datum fix machen. 15.08. - 16.08.1969. Schritt drei: Budgetierung. 250.000$ stehen zur Verfügung (das entspricht heute ungefähr 1,8 Mio $). Es wird mit 100.000 Zuschauern gerechnet, bei einem durchschnittlichen Ticketpreis von 5$ sollen knapp 300.000$ Reingewinn rausspringen. Doch das reicht ihnen nicht. Drei Tage sollen es werden, und jetzt wird mit 200.000 Zuschauern gerechnet. Jetzt wird also noch der 17.08. mit angehängt. Nächster Schritt: Firmengründung. Die „Woodstock Ventures Inc.“ wird am 28.02.1969 ins Leben gerufen. Das Unternehmen wird mit Profis der Veranstaltungsbranche besetzt. Nächster Schritt: aggressives Marketing. Ziel ist es, in jedem verfügbaren Radiosender Werbung zu schalten und in jeder möglichen Zeitung Annoncen unterzubringen. Und das nicht nur in Woodstock, sondern in den USA, Kanada und Europa. Der Erfolg ist beachtlich: Nur ein Bruchteil der herausgesuchten Medien kann bespielt werden, doch das reicht trotzdem aus, um einen regelrechten Hype auszulösen. Nächster Schritt: Die richtige Venue. Von vornherein angedacht ist die Winston Farm in Saugerties, ganz in der Nähe von Woodstock. Doch trotz einer mündlichen Zusage droht das Gelände zu kippen. Die Bewohner von Saugerties wollen den drohenden Hippieansturm nicht in ihrer Gemeinde und sagen den Veranstaltern ab. Das gleiche passiert in Wallkill. Mehr noch, nach einem Bürgerentscheid wird die Veranstaltung mit einem lokalen Gesetzerlass verboten.
Es dauert bis zum 15. Juli, bis das passende Gelände in den Catskills gefunden wird. 70 Kilometer südöstlich von Woodstock entfernt in White Lake bei Bethel. Vermittelt wird das Areal von einem findigen Beamten namens Elliot Teichberg. Teichberg hat die einzige Lizenz zur Veranstaltung von musikalischen Veranstaltungen im County, da er sie sich clevererweise als Vorsitzender der Handelskammer selbst ausgestellt hat. So kann er dem Quartett nicht nur ein 240 Hektar großes Gelände fürs Festival und Camping organisieren, sondern auch umliegende Areale inklusive einer kleinen Wasserstelle. Allerdings toben auch in White Lake Proteste gegen die Hippies, jedoch ist die Zeit zu knapp, um weiterzusuchen. White Lake oder Absage. Also müssen die Protestierenden mit Schecks zum Schweigen gebracht werden.
Nun drängt die Zeit aber wirklich massiv. Innerhalb von vier Wochen muss die komplette Infrastruktur des Festivals organisiert und errichtet werden. Man braucht Straßen, Strom- und Telefonleitungen, Brunnen und dazugehörige Wasserleitungen und natürlich die Bühne mit Licht und Tonkonstruktionen. Und vielleicht auch nicht unwichtig: Ein paar Acts müssten auch gebucht werden. Und als wäre das nicht genug, muss man abermals die Werbetrommel rühren, denn es wurde ja noch mit der Winston Farm als Veranstaltungsort geworben, das Festival findet jetzt aber doch woanders statt. 250 Zeitungen drucken den aktuellen Veranstaltungsort ab. Der Preis für das Drei-Tage-Ticket hat es mit 18$ schon in sich (das entspricht heute genau 129$). Das Tagesticket ist für 7$ erhältlich. 170.000 Besucher kaufen sich Tickets im Vorverkauf.
Und bereits zwei Wochen vor Festivalbeginn treffen die ersten Besucher ein, selbstverständlich existiert zu diesem Zeitpunkt keine Umzäunung und auch keine Einlasskontrolle. Zwei Tage vor Beginn campieren ca. 30.000 Menschen an den Zufahrtsstraßen. Grund dafür sind zu wenige Polizeikräfte, die die Zufahrtswege regulieren und so ist die erste Zufahrtsstraße bis zur Abfahrt des Highway 17 zugestaut. Wenige Stunden danach sind alle fünf Zufahrtsstraßen blockiert und es staut sich bis zu 27 Kilometer. Da jetzt schon die Umzäunung demontiert ist und die Kassenhäuschen nach wie vor nicht besetzt sind, wird am zweiten Festivaltag verkündet, dass es ab jetzt eintrittsfrei sei. Lang sagt dazu Jahre später:
„Es war keine Entscheidung. Wir haben die Fakten erkannt. Es heißt immer, wir hätten die Tore zum Festivalgelände geöffnet. Aber da waren keine Tore. Freitagmorgen saßen 150.000 Leute auf dem Gelände, da waren die Tickethäuschen noch gar nicht aufgestellt.“
Michael Lang, Mitveranstalter von Woodstock
Ohne die Tickethäuschen droht die nächste Katastrophe, denn der Manager von Grateful Dead befürchtet einen Gagenausfall, wenn keine Kontrollen stattfinden und keine weiteren Tickets verkauft werden. Also: Entweder Gage jetzt oder kein Auftritt. Dieser Forderung schließen sich andere Künstler:innen an, beispielsweise The Who. Also wird der örtliche Bankdirektor aus seinem Wochenendurlaub geholt, damit er via Hubschrauber beglaubigte Bankschecks heranschafft. Das wiederum scheitert beinahe an einer anderen Problembewältigung. Aufgrund der verstopften Straßen kann keine Verpflegung für die Anwesenden herangeschafft werden und die Künstler:innen auch nicht. Dafür werden jetzt Helikopter eingesetzt. Einer davon fällt dann eben zum Beschaffen der Bankschecks aus, da der kurzerhand aufgestellte Plan wieder überworfen wird. Auch finanziell brechen jetzt noch die letzten Dämme, denn die Verpflegung wird, anders als geplant, kostenlos zur Verfügung gestellt. Immerhin, die sintflutartigen Regenfälle während des Festivals können den Veranstaltern nicht angekreidet werden.
Doch was jetzt? Das Festival ist vorbei, der Schuldenberg enorm. Nach eigener Aussage beträgt dieser 1,3 Mio $ (zur Erinnerung, heute ungefähr 9,3 Mio $). Um die Insolvenz abzuwenden, springen die Eltern von John Roberts mit einer Art Blitzkredit ein, an dem Rosenman und Roberts noch eine Weile zu zahlen haben. Bedingung für den Kredit? Kornfeld und Lang müssen raus aus der Firma. Mit einer Abfindung von je 31.750$ (heute 228.000$) müssen die beiden gehen. Damit verlieren sie mit ihrer Unterschrift die Beteiligung an Rechten und Lizenzeinnahmen. Da Rosenman und Roberts aber selber beinahe pleite sind, müssen sie selbst harte Deals annehmen. So bekommen sie 20% Tantiemenanteil an der Oscar-prämierten Woodstock-Doku. Für den Filmsoundtrack bekommen sie sogar nur 0,5%. Für lächerliche 25.000$ ergattert Ahmet Ertegun, der Geschäftsführer vom Indielable Atlantic Records, die Tonrechte an dem Festival. Da sich Film und Soundtrack allerdings gut verkaufen, können Rosenman und Robert bis 1980 ihren Schuldenberg abbezahlen. Wenig später steigt Lang auch wieder mit Minderheitsbeteiligungen ein. Seitdem machen sie satte Gewinne mit weiteren Bild- und Tonrechten. Live Nation macht als größter Fanartikellizenznehmer von Woodstock Venture Inc. jährlich bis zu 100 Mio $ mit dem Verkauf von Woodstock-Produkten.
Aus zwei Männern, die ihren Traum finanzieren wollten und zwei Männern, die dick abkassieren wollten, wurden ganz schnell einfach vier Männer, die sich bis zum Hals verschuldet haben. Keiner von ihnen wollte das Hippie-Happening, das dieses Festival tatsächlich wurde. Es ging immer nur um Geld. Es gibt Geschichten, die will eigentlich man nicht kennen…
Moritz Zelkowicz
Moritz deckt als Franke den Süden Deutschlands ab. Er versucht beständig Teil der Lügenpresse zu sein, ist aber ansonsten im Marketing tätig. Musikalisch ist er überall dabei, ob Punk, Core oder Rap, erlaubt ist, was gefällt.