Methadon für Musikfans: Eine Streaming-Typologie
03.12.2020 | Steffen Schindler
Wahrscheinlich gibt es kaum einen Musikfan, die oder der dieses Jahr bei keinem Livestream zugesehen hat. Immerhin ist bei der Auswahl an akustischen Wohnzimmer-Gigs, regelmäßigen DJ-Sets oder professionell produzierten Festival-Shows ist für jede:n etwas dabei. Dabei bleibt trotzdem das Gefühl: Online-Konzerte sind nur wie Methadon. Sie lindern die Entzugserscheinungen, aber das Wahre sind sie auch nicht.
Instagram-Livestream
Hochkant, mit schlechtem Ton, und zuschauen tut bei kleineren Accounts auch niemand: Instagram ist eigentlich nicht die ideale Plattform für ein Streamingkonzert. Trotzdem dachten viele: „Was für Ansagen von Deutschrapper:innen funktioniert, kann für mich und meine Akustikgitarre nicht schlecht sein“ und gingen dieses Jahr bei dem ehemals auf verwackelte Essensfotos spezialisierten Dienst live.
Facebook-Livestream
Eigentlich das Gleiche wie Instagram, bloß im Querformat.
Täglicher Stream
Einer der häufig gehörten Tipps, um im Lockdown nicht den Verstand zu verlieren, ist auch zuhause eine Tagesroutine beizubehalten. Diesen Rat befolgten einige Musiker:innen und nahmen sich vor, ihre Fans mit täglichen Livestreams zu beglücken. So wie den Lockdown selbst hielten das manche besser durch als andere.
Re-Livestream
Das Salz in der Wunde des ausgefallenen Festivalsommers: In Re-Livestreams zeigten die Medienpartner großer Festivals die Highlights der vergangenen Jahre. Zum in Erinnerung schwelgen und leise weinen, weil man dieses Jahr nicht im Zelt schlafen und sich im Matsch wälzen kann.
Livesession
Livesessions sind die Trendsetter: Hier wurde schon vor Corona ohne Publikum musiziert. Und das funktioniert und klingt, auch dank der großartigen Techniker:innen, meistens sehr gut. Dabei reicht die Bandbreite der Formate von minimalistischen Akustiksets aus dem Wohnzimmer bis hin zu abendfüllenden Konzerten.
Veranstaltungsreihen
Ob der Berlin Culture Cast, Cologne Culture Stream oder hamburg.streamt: Schon kurz nachdem die Clubs schließen mussten, entwickelten sie Konzepte, um ein regelmäßiges Programm in's Internet zu bringen.
Streamingfestivals
Die Bierpipeline blieb trocken, denn Wacken fand dieses Jahr als Streaming-Event „Worldwide“ statt. Für die Fans gab es ein Unterstützerpaket, um sich das Festivalfeeling nach Hause zu holen. Immerhin kann man warmes Bier auch auf dem Sofa trinken.
Digitale Tour
Das Medium Livestream macht ja vor allem seine weltweite Abrufbarkeit aus. Yungblud hat das aber anscheinend nicht verstanden und ist zurzeit der Abfassung dieses Texts auf Welttournee – nur eben digital: Er spielt 16 Streamingkonzerte für 16 verschiedene Städte unter dem Titel „The Weird Time of Life“. Ein passenderes Motto hätte er kaum finden können.
Steffen Schindler
Steffen dankt Nirvana dafür, dass sie die Jugend auf dem Dorf erträglich gemacht haben. Seitdem ist er dem Klang der elektrischen Gitarre verfallen. Mittlerweile studiert er in Berlin Geschichte und Kulturwissenschaft.