Seitenwechsel: Wenn Künstler:innen Labels machen
09.11.2021 | Kai Weingärtner
Die Gründe dafür, dass Künstler:innen plötzlich auch als Labelbosse tätig werden, sind ganz verschiedene. Einige wollen ihre Erfahrungen als Musikschaffende in die geschäftliche Seite transportieren, um anderen Bands das Leben leichter zu machen, andere haben keinen Bock auf Major-Auseinandersetzungen und sehnen sich nach völliger Kontrolle über ihre Kunst, und für wieder andere ist die Labelgründung schlichtweg der einzige Weg, die eigene Musik in einen bestimmten Teil der Welt zu bringen. In diesem Artikel stellen wir euch ein paar Vertreter:innen der Spezies “Bandlabel” vor.
Cell Outs
Wenn Künstler:innen, vor allem aus der Punkecke, sich plötzlich auf die geschäftliche Seite der Musik verirren, werden aus der Community schnell die “Sellout”-Schreie laut. So geschehen auch bei Fat Mike, Sänger und Bassist der amerikanischen Band NOFX. Der hat über das Phänomen Sellout sogar einen Song geschrieben, der als Readbait für dieses Kapitel herhalten muss. Fat Wreck Chords wurde 1990 als bewusster Gegenentwurf zur gängigen Labellandschaft in den USA gegründet. So handelt das Label grundsätzlich nur Verträge über ein Album mit Bands aus, damit die betreffenden Künstler:innen nicht dem in der Branche üblichen Zeitdruck ausgesetzt sind und selbst entscheiden können, wann und wie sie ihr Album aufnehmen. Auf die Frage, ob die Firma Teil der Recrding Industry Association of America sei, antworten die Verantwortlichen auf ihrer Website:
"Are we a member? Not only no, but FUCK NO! We spent three years having our label’s name (which was mispelled) removed from their members list. A year went by, then our name showed up again on their fucking list! Who are these sonsabitches?! Needless to say, we're in the process of having our name removed again, but they aren't being too cooperative."
Fat Wreck Chords diente über seine mehr als 30-jährige Existenz vielen Punkbands als Zuflucht, die ihre Ideale nicht mit der Veröffentlichungspolitik der Major Labels übereinbringen konnten. Bis heute hat das Label über 150 Platten released, darunter Alben von NOFX, Rise Against, Anti-Flag und Me First And The Gimme Gimmes.
Ich und alle meine Freunde
Die Toten Hosen releasen schon seit Jahr und Tag ihre Platten über das hauseigene Label JKP (Jochens kleine Plattenfirma), in der alle fünf Bandmitglieder Anteilseigner sind. Jochen Hülder ist Namensgeber der Firma und begleitete schon die Toten-Hosen-Vorgängerband ZK bei ihrer Abschiedstour. Seit der Gründung von DTH ist er enger Vertrauter der Band. Seine Liebe zu Abkürzungen und dem Adjektiv 'klein' zeigt sich in den anderen Firmen, die er neben JKP noch gegründet und mitbetreut hat. Da wären unter Anderem KKT (Kikis kleiner Tourneeservice), HKM (Heikes kleiner Musikverlag), RKV (Richards kleiner Versand), und nicht zu vergessen HNKAKBSM (Heikes noch kleinerer, aber kein bißchen schlechterer Musikverlag). Hinter den Toten Hosen steht also nicht nur ein eigenes Label, sondern gleich ein ganzer Verwaltungsapparat.
Hülder führte JKP bis zu seinem Tod 2015, das Label blieb aber weiterhin bestehen. Und wenn man schon so viel Zeit, Liebe und Kreativität für amüsante Acronyme in ein Label steckt, dann wäre es doch Verschwendung, nur eine Band damit zu betreuen. Das dachten sich wohl auch die Verantwortlichen von JKP, denn seit den 2000ern betreut das Label auch etliche befreundete Bands und Künstler:innen wie die Broilers, Antilopen Gang, TV Smith und seit 2018 auch Feine Sahne Fischfilet. Der Punkopa zeigt sozusagen der nächsten Generation, wie man das böse System von innen heraus zersetzt.
In unserem Themenmonat über internationale Musik haben wir schonmal über das Label des Donots-Frontmanns Ingo Knollmann, Solitary Man Records, geschrieben. Die Gründungsgeschichte dieser Firma ist dabei eine sehr pragmatische. Nach einer Tour durch Japan merkte die Band, das dort eine große Nachfrage nach deutscher Punkmusik bestand. Allerdings war an die wegen nicht vorhandener Vertriebsstruktur dort nur sehr schwer ranzukommen. Kurzerhand und ohne großes Businessgespür gründete man also Solitary Man Records, um die eigenen Alben und die befreundeter Bands vor allem in Japan rausbringen zu können. Neben den Donots haben auch Bands wie die Beatsteaks schon via Solitary Man releast.
Wer bei einem Label, ob Major oder nicht, einen Platten- oder Vertriebsdeal unterzeichnet, gibt zwangsläufig immer einen Teil der Entscheidungsgewalt ab. Das ist nicht für alle etwas, vor allem nicht, wenn man gerne jeden Schritt des Schaffensprozess und den ganzen Rattenschwanz aus Produktion, Vertrieb, Merch und Management selber in der Hand haben möchte. Das ist die Philosophie des Münchner Indielabels Munich Warehouse. 2014 startete die Firma als Modelabel für fair gehandelte Shirts und Pullis, 2016 erweiterte sich das Warehouse zum Merchvertrieb. Gedruckt und verpackt wird stets von Hand und mit viel Liebe zum Detail. Die Models auf der Website sind nicht etwa aus einem Katalog zusammengecastet, sondern die Künstler:innen selbst, unter Anderem Mario Radetsky, Frontmann der Blackout Problems, einer der Schützlinge und gleichzeitig Mitbegründer des Munich Warehouse.
2018 erschien mit der “Fine” EP von Nico Laska der erste Release des neugegründeten Labels Munich Warehouse, dass sich unter Anderem auch für die zweite Blackout-Problems-Platte “KAOS” verantwortlich zeigt. Mittlerweile betreut das Warehouse elf Bands und Künstler:innen in Sachen Labelarbeit, Merchandise und Management und ist damit sowas wie das prototypische DIY-Indie-Label.
Kai Weingärtner
Kai studiert zur Zeit mehr oder weniger erfolgreich Politikwissenschaft und Anglistik in Osnabrück. Da man damit natürlich keinerlei Aussichten auf einen “vernünftigen” Job hat, ist er nun bei Album der Woche angeheuert um sich seine Zukunft als Taxifahrer etwas aufzulockern. Sein Musikgeschmack umfasst alles, was E-Gitarre und Schlagzeug hat oder anderweitig Krach macht.