Who Shot The Sheriff? Eric Clapton und Rock Against Racism
21.12.2021 | Steffen Schindler
Am 22. Juni 1948 legt die HMT Empire Windrush im Hafen von Tilbury in Essex an. An Bord befanden sich knapp 500 Menschen aus Jamaika, Trinidad, Tobago und anderen karibischen Inseln. In den nächsten 23 Jahren sollten knapp eine halbe Million Immigrant:innen aus allen damaligen Kolonien nach Großbritannien einwandern. Als billige Arbeitskräfte bauten sie die britische Wirtschaft, die nach dem zweiten Weltkrieg am Boden lag, wieder auf. Zudem beeinflussten die Windrush-Generation die britische Popkultur nachhaltig: Die Mods und erste Generation der Skinheads kopierten den Kleidungsstil und den Musikgeschmack der jamaikanischen Rude Boys: kurze Haare, Anzüge, Soul, Ska und Reggae wurden zentrale Elemente einer multikulturellen Jugendszene.
Durch eine Verschärfung der Einwanderungsgesetze endete die Phase der Masseneinwanderung 1971. Schon 1967 gründete sich die rechtsextreme National Front, die sich der Bekämpfung des Multikulturalismus verschrieben hatte. Deren Unterstützer:innen schmierten Parolen wie „Keep England White“ („Haltet England weiß“) an Häuserwände oder brüllten sie bei Demonstrationen. Die Anti Nazi League und andere antifaschistischen Gruppen blockierten diese Veranstaltungen zwar regelmäßig, doch auch abseits davon stieg die Zahl der rassistischen Angriffe auf Immigrant:innen und ihre in Großbritannien geborenen Kinder.
Zur jamaikanischen Tanzmusik kam Mitte der 70er der Punk als große musikalische Jugendbewegung. Das Publikum auf den Konzerten von Bands wie The Clash und Sham 69 war allerdings sehr gemischt: Punks und Skinheads, Kunststudierende und Angehörige der Working Class, weiße und schwarze Jugendliche feierten gemeinsam und dementsprechend groß war das Eskalationspotenzial für ebenfalls oft anwesende Nazis. Es wurde notwendig für Fans und Künstler:innen, sich zu positionieren.
Konkreter Anlass zur Gründung von Rock Against Racism war eine Ansage, in der Eric Clapton 1976 bei einem Konzert in Birmingham dazu aufrief, den rechten Hardliner Enoch Powell, der immer wieder gegen Einwanderer:innen hetzte, zu wählen. Seine rassistischen Einlassungen über Immigrant:innen beendete Clapton mit dem Aufruf: „Keep England white“. Eine Gruppe um den Fotograf Red Saunders schrieb daraufhin einen Leserbrief an den NME, der folgenden Aufruf enthielt:
„Keep the faith, black and white unite and fight. We want to organise a rank-and-file movement against the racist poison in rock music – we urge support – all those interested please write to:
ROCK AGAINST RACISM,
Box M, 8 Cotton Gardens, London E2 8DN
P. S. 'Who shot the Sheriff', Eric? It sure as hell wasn't you!“
(„ […] Wir wollen eine breite Bewegung gegen das rassistische Gift in der Rockmusik organisieren - wir bitten dringend um Unterstützung - alle Interessierten schreiben bitte an:
ROCK GEGEN RASSISMUS,
Box M, 8 Cotton Gardens, London E2 8DN
P. S. "Wer hat den Sheriff erschossen", Eric? Das warst ganz sicher nicht du!“)
Im ganzen Land gründeten sich in der folgenden Zeit Gruppen, die unter dem Banner Rock Against Racism Konzerte organisierten, auf denen explizit Bands mit schwarzen und weißen Musikern auftraten. Die Bewegung gab zudem das Fanzine Temporary Hoarding heraus, in dem zu Demonstrationen und Gegenprotesten mobilisiert wurde. Die größte Demo dieser Art fand am 30. April 1978 mit 100.000 Teilnehmer:innen in London statt. Beim Abschlusskonzert im Victoria Park traten The Clash, Steel Pulse, Tom Robinson und die X-Ray Spex auf. Anlässlich der Unterhauswahl 1979 organisierte Rock Against Racism die Militant Entertainment-Tour, unter anderem mit Stiff Little Fingers, Gang of Four, The Ruts und Angelic Upstarts. Daneben gab es viele kleine und große Soli-Konzerte für Opfer rassistischer und Polizeigewalt.
Eric Clapton nahm bald von seinen Aussagen beim Konzert in Birmingham Abstand: Er wisse nicht viel von Politik und sein Drogenproblem habe ihn schlimme Sachen sagen lassen. Dennoch äußerte er sich auch in jüngerer Vergangenheit häufiger positiv über Enoch Powell und dessen Ansichten. Mit dem Brexit erlebte Großbritannien ein neues Hoch an rassistischer Stimmungsmache und Gewalt. 2018 kam heraus, dass viele Angehörige der Windrush-Generation und ihre Nachkommen nie Papiere erhalten hatten und als illegale Einwanderer verfolgt und abgeschoben wurden.
Rock Against Racism wurde zum Prototyp für die Verbindung von antirassistischer Arbeit mit Musik und inspirierte viele weitere Events, darunter in Deutschland das Rock gegen Rechts-Konzert, das 1979 in Frankfurt am Main als Gegenprotest zu einer NPD-Veranstaltung abgehalten wurde. Die Filmemacherin Rubika Shah drehte 2019 den Dokufilm White Riot über die Bewegung, inspiriert von der Fanzine-Ästhetik der damaligen Punkszene und mit vielen Zeitzeug:innen.
Steffen Schindler
Steffen dankt Nirvana dafür, dass sie die Jugend auf dem Dorf erträglich gemacht haben. Seitdem ist er dem Klang der elektrischen Gitarre verfallen. Mittlerweile studiert er in Berlin Geschichte und Kulturwissenschaft.