Vom Untergrund in die Hitparade: Deutsche Rockmusik in den 70ern
30.09.2021 | Steffen Schindler
1970 lösten sich die Beatles auf. In wenigen Jahren hatten sie das Gesicht der Popmusik völlig verändert. Als sie 1963 ihren internationalen Durchbruch erlebten, waren Scharen von Jugendlichen weltweit ihrer Musik verfallen, auch in Deutschland, zu beiden Seiten der noch neuen Mauer. Sie gründeten Bands und spielten auf Kaufhausgitarren und mit Behelfsenglisch die Songs ihrer Vorbilder nach. Mit den Beatles kamen auch die 60er zum Ende: Im folgenden Jahrzehnt wurden die Haare noch länger, die Rock-Musik härter und ihr Einfluss auf den Mainstream größer. Dabei sind die wichtigsten deutschen Bands dieser Zeit vor allem im Underground zu suchen. Gerade das, was später als „Krautrock“ bezeichnet wurde, hatte in den frühen 70ern seine große Zeit: Amon Düül, Tangerine Dream und Can experimentierten mit ausladenden Songstrukturen und elektronischen Elementen. Bis heute werden sie von Künstler:innen wie Sonic Youth, Pavement und Kanye West referenziert.
Dass dabei Drogen eine wichtige Rolle spielten, wird spätestens dann klar, wenn man erfährt, dass sich die Jam-Kommune Bröselmaschine nach einem Apparat zur Zerkleinerung von Haschisch benannt hat. Andere waren nüchterner: Floh de Cologne versuchten mit rudimentären musikalischen Fähigkeiten, sozialistische Ideen unters musikaffine Jungvolk zu bringen. Der real existierende Sozialismus indes stand der neuen Musik jedoch kritisch gegenüber: In der DDR mussten Rockbands in einem Minenfeld aus Quoten, Textzensur und Auftrittsverboten navigieren. Die Klaus Renft Combo wurde mehrfach verboten, bis es der Bandleader seinem Protagonist in der „Rockballade vom kleinen Otto“ gleichmachte und in den Westen übersiedelte.
Was „drüben“ auch aus politischen Gründen selbstverständlich war, nämlich auf Deutsch zu singen, war in der Bundesrepublik lange unvorstellbar. 1969 war das erste Rockalbum mit deutschen Texten erschienen: „Ihre Kinder“ von der gleichnamigen Band aus Nürnberg. Doch erst der Hamburger Udo Lindenberg machte mit seinem charakteristischen Slang dem großen Publikum klar, dass nicht nur Schlager-Heinis und Liedermacher:innen auf Deutsch singen können. So entwickelte sich Mitte des Jahrzehnts eine Art große Szene von westdeutschen Rockbands, die mal progressiver und mal rudimentärer musizierten. Die Scorpions traten mit internationalem Anspruch an und entwickelten sich von ersterem zum letzterem. Jede große Plattenfirma gründete Sublabels und auch unabhängige Plattenfirmen schossen aus dem Boden.
Die von 1968 geprägten jungen Rundfunk-Redakteur:innen boten den Bands Auftrittsmöglichkeiten in ihren „scheißliberale[n] Sendung[en]“ (O-Ton Nikel Pallat von Ton Steine Scherben, kurz bevor er versuchte, die Studioeinrichtung einer solchen mit dem Handbeil zu zertrümmern). Mit dem Musikexpress und Sounds etablierte sich eine Musikpresse, die Rockmusik ernstnahm. Natürlich wurden solche Stars auch in der DDR gehört, doch gleichzeitig schafften dort Rockbands wie die Puhdys, Stern-Combo Meißen, City und Karat den Durchbruch. Dass diese Gruppen aus gut ausgebildeten Profi-Musikern bestanden, hörte man ihnen an. Punk wollte eine Gegenbewegung zum Mainstream-Rock sein. Leider bekamen die Plattenfirmen das noch vor den meisten Musikfans mit: CBS nahm 1977 die Frankfurter Straßenjungs unter Vertrag, die wie die Sex Pistols als provokative Retortenband zusammengestellt wurden. Trotzdem etablierten sich bald unabhängige Szenen, vor allem in Düsseldorf und West-Berlin, die dann in den 80ern als Neue Deutsche Welle die Radios heimsuchen sollten.
Steffen Schindler
Steffen dankt Nirvana dafür, dass sie die Jugend auf dem Dorf erträglich gemacht haben. Seitdem ist er dem Klang der elektrischen Gitarre verfallen. Mittlerweile studiert er in Berlin Geschichte und Kulturwissenschaft.