Mein Lieblingssong von: Heisskalt
25.10.2022 | Album der Woche Redaktion
Die Auswahl schmerzt und sobald ich den folgenden Titel tippe werde ich schmerzen haben, denn ich habe mich Stand jetzt noch nicht entschieden und doch wird es: "Das Bleibt Hier"
Der sphärische Beginn schafft es schnellstens mich irgendwo hin wegzukatapultieren und als Eskapist bekannt brauche ich das doch recht häufig. Mehr Eskapist als das Album von The Hirsch Effekt. Und dass das alles hier in meinem Kopf bleibt, auch damit trifft Mathias Blöch sehr direkt den sprichwörtlichen Nagel auf meinen wortwörtlich defekten Kopf. Ich weiß nicht wohin mit meinen Gefühlen zu diesem Song, daher finden sie hier auch nicht wirklich einen adäquaten Platz, daher bleibt auch das in meinem Kopf.
Weitere Anspieltipps:
Du denkst ich lächle dich an doch mich blendet die Sonne, Sonne über Wien, Gipfelkreuz
Dass Weltschmerz nichts ist, was Heisskalt unbekannt ist, wird beim Blick auf den Rest dieser Liste wahrscheinlich klar. Aber kaum ein Song trieft so sehr davon wie „Apnoe“. „Apnoe“ beschreibt das Leben als einen Ozean, auf dem man treibt, ohne je irgendwo anzukommen. Oder überhaupt zu wissen, ob man irgendwo ankommen kann. Es gibt das Gefühl, dass da mehr ist, Menschen und Orte, nach denen man sich sehnt, ohne sich ihrer sicher zu sein, dass sie überhaupt existieren. Und es gibt immer wieder Versuche, sich zu ihnen aufzumachen, die an der schieren Größe des metaphorischen Ozeans scheitern. Die Musik dazu schaukelt wie die sich aufbauenden Wellen, um dann doch nie zu einem Sturm zu werden, der bei aller Gefährlichkeit wenigstens Abwechslung bieten würde. Aber auch die vergeht wieder und alles was übrig bleibt ist „dieses buntkolorierte Rauschen im Ohr“. Eine poetische Wendung, die mich begleitet, seit ich „Apnoe“ das erste Mal gehört habe. Auch deshalb nehme ich immer wieder gern die Einladung an, „zu ertrinken in dieser bittersüßen Utopie“.
Weitere Anspieltipps: Zweifel, Nacht Ein, Tapas und Merlot
Heisskalt haben sich im Laufe ihrer viel zu kurzen Karriere Release um Release selbst übertroffen. Ich muss hier zwar nur aus drei Alben wählen (die EP zählt nicht, come on), aber es ist ein bisschen als solle man sich für einen King Gizzard Song entscheiden. Nicht unbedingt weil Heisskalt so viel Output haben (Die Australier haben wahrscheinlich mehr Alben als Heisskalt Songs), sondern weil alle Songs so verdammt gut sind. In welche Richtung geht man da? Schroff-wütend wie "Bürgerliche Herkunft"? Grandios poetisch wie "Gipfelkreuz"? Fiebrig hypnotisch wie "Absorber"? Musikalisch alles großartig, deswegen fällt meine Wahl auf einen Song von dem Album, bei dem man Heisskalt meiner Meinung nach angehört hat, wie viel Freude sie beim Machen hatten. Der Release von "Idylle" war nicht nur ein musikalischer Stilwechsel, sondern auch ein Befreiungsschlag. Ein sich frei machen von Labels, von Erwartungen und von scheinbar alternativloser Anpassungs-Releasepolitik. Symbolisch für diese Entscheidung für den eigenen, störrischen Weg steht "Wiederhaben". Eine klanggewordene Absage an all das, was Mathias, Phil und Marius 2018 an der Welt genervt hat und was sie gerne zurückgeben würden. So direkt, so anders, so großartig. Hört "Idylle" und liebt dieses Album, es lohnt sich wirklich.
Weitere Anspieltipps: Angst hab, Tanz, Tanz, Fest
Entgegen der verwirrten Meinung gewisser Osnabrücker Kollegen hier im Magazin habe ich natürlich längst die Gewissheit erlangt, dass die beste Heisskalt-Platte den Namen „Vom Wissen und Wollen“ trägt. Dass ein Album-Zweitling den Höhepunkt einer Diskographie darstellt, ist ziemlich ungewöhnlich, aber typisch ist in der Entwicklung von Heisskalt sowieso nie irgendetwas gewesen. Die mit meilenweitem Abstand banalste Mainstream-Platte gleich zu Beginn veröffentlicht und dann Stück für Stück immer avancierter geworden – von Refrain-Strukturen hat sich Heisskalts zweites Album bereits zu weiten Teilen emanzipiert. Dass das nicht einfach nur für das Protzen mit der eigenen Ungewöhnlichkeit geschieht, sondern völlig neue dramaturgische Möglichkeiten eröffnet, zeigt kein Song besser als „Angst hab“. Anstatt das popschematische Aufbäumen und Einknicken zwischen Strophe und Refrain in eine vorhersehbare Form zu pressen, ist dieser Song eine kontinuierliche Klimax. Das funktioniert trotz der Abwesenheit solcher typischen Strukturen interessanterweise gerade über das Mittel der Wiederholung. Die Phrase „Ob ich Angst hab?“ wird Stück für Stück so immer erdrückender, weil sie ständig in immer gesteigerter Intensität erklingt und mit anderen Kontexten verbunden wird, sodass die Emotionen immer allgegenwärtiger und erdrückender zu werden scheinen. Der lange hinausgezögerte, aber unvermeidbare Ausbruch im Finale ist die notwendige Konsequenz. Zum Glück haben Heisskalt diese Sprache gefunden.