SAFI und “Groteske”: Emotionale Telepathie
18.11.2024 | Kai Weingärtner
“Aus großer Macht folgt große Verantwortung.” Das wusste schon Spider-Mans Onkel, und das gilt genauso (na gut, vielleicht nicht ganz genau so) in der Musik. Wer viel kann, läuft Gefahr, die eigene Virtuosität zum Selbstzweck zu erheben. Da werden dann mehrminütige Gitarrensoli abgefeuert oder breitbeinige Hochtöne angeschlagen, mehr um das eigene Ego zu bauchpinseln als dem jeweiligen Song etwas Gutes zu tun. Um diese Zwickmühle weiß die Berliner Musikerin SAFI ohrenscheinlich glücklicherweise, denn trotz eines Kunstdiploms und einer Range von vier Oktaven klingt ihr neues Album “Groteske” nicht verkünstelt oder neunmalklug. Verwurzelt in Post-Punk und Nowave klamüsert sie zusammen mit ihren beiden Bandkollegen unbequeme, spröde und kratzige Bollwerke zusammen, die den Zuhörenden trotz kantiger Topographie quasi keine Fixpunkte zum festhalten bieten. Der musikalische Unterbau fungiert wie ein unzuverlässiger Erzähler, bei dem man sich nie sicher sein kann, ob er einen nicht gerade vollends ins Leere laufen lässt, um im nächsten Moment an einer völlig anderen Stelle ins Geschehen einzusteigen. Auf den rumpeligen Post-Punk Song folgt eine dramatische Klavier-Einlage, die dann wiederum in einer knarrigen Wall of Noise endet.
Einziger Ausweg bleiben die umarmenden Worte von SAFI, die genau so verschachtelt und undeutlich daherkommen, wie es die eigene Gedankenwelt so oft ist. Und trotzdem schafft sie eine merkwürdig intuitive Zugänglichkeit. Das führt manchmal allerdings auch zu Konstruktionen, die vom schlicht Merkwürdigen bis an die Grenze des Pathetischen reichen (“mit Knacken im Nacken vom Nicken, ein Girl mit Girlanden”). Ab und zu findet SAFI dann doch klare Worte, wie auf “Ich will ein Leben”. In diesem Song reflektiert die Künstlerin, untermalt von aufreibendem Gitarrenschrammeln und scheinbar ziellos pendelnden Samples, ihre vermeintliche Rolle als Frau in einer Gesellschaft, in der Frau eben nicht “einfach sein” kann. “Ich will ein Leben” klagt dieses Leid auf einer basischen, fast instinktiven Ebene an. Wut über die Zustände mischt sich zu gleichen Teilen mit der Verzweiflung im Angesicht ebendieser und mündet schließlich in einem stoischen Gegenschlag. Gastbeiträge gibt es auf “Groteske” unter Anderem von Sebastian Madsen, der SAFI auf dem Song “Durch dich durch” seine Stimme leiht. Das klingt auf den ersten Blick nach einer merkwürdigen Wahl, tatsächlich ergänzen sich das heisere, dynamische Timbre von SAFI und die ungebrochene, klare und gespannte Stimme des Madsen-Sängers ziemlich gut. “Durch dich durch” ist gleichzeitig der eingängigste Song der Platte und bietet einen seltenen Augenblick der Orientierung, bevor die letzten beiden Tracks wieder schnurstracks ins Wirrwarr führen.
Wertung
“Groteske” ist verklausuliert und trotzdem eingängig, weniger treibend als noch “Janus”, dafür atmosphärisch dichter. Wer vorher bereits Fan war, kommt hier weiterhin voll auf ihre Kosten. Wer hier neu einsteigt, darf sich wiederum auf ein vielschichtiges und langlebiges Durcheinander freuen.
Kai Weingärtner
Kai studiert zur Zeit mehr oder weniger erfolgreich Politikwissenschaft und Anglistik in Osnabrück. Da man damit natürlich keinerlei Aussichten auf einen “vernünftigen” Job hat, ist er nun bei Album der Woche angeheuert um sich seine Zukunft als Taxifahrer etwas aufzulockern. Sein Musikgeschmack umfasst alles, was E-Gitarre und Schlagzeug hat oder anderweitig Krach macht.