Ditz und “Never Exhale”: Pranayama
29.01.2025 | Kai Weingärtner
Es ist Januar, und mit dem neuen Jahr kommen wie so oft auch die guten Vorsätze. Ein Klassiker in dieser Hinsicht ist bekanntlich “gesünder leben”, häufig unter anderem verkörpert den Drang nach mehr Bewegung und einer besseren Work-Life-Balance. Yoga soll da helfen. Ein essentieller Bestandteil hierbei ist die Atmung, das sogenannte Pranayama. Die Feueratem-Technik, beispielsweise, aktiviert die Bauchmuskulatur und das Zwerchfell und soll beim Stressabbau helfen. Ditz treiben dieses Prinzip mit “Never Exhale” auf die Spitze und finden damit eine ganz eigene Form von Aggressionsbewältigung. Ob die genauso gesund ist wie Yoga ist fraglich, Spaß macht “Never Exhale” aber allemal.
Auch auf ihrer zweiten Platte bleibt die Band um Sänger*in C.A. Francis ihrem stoisch düsteren Mix aus Post-Punk und einer gehörigen Portion Noise weitgehend treu, ergänzt das Ganze aber hier und da um ein paar neue Facetten, die “The Great Regression” nur in Ansätzen zu zeigen bereit war. “The Body Is A Structure” rumpelt mit groovigen Palm-muting-Gitarren über eine hypnotische Rhythmussektion, biegt dann aber immer wieder scharf Richtung Hardcore ab und klingt dabei fast ein bisschen nach Refused. “It Smells Like Something Died In Here”, mit seinen wabernden Klangwänden, weckt Assoziationen mit Drone Metal, wobei Ditz auch hier weitgehend in ihrem Heimgenre verwurzelt bleiben. Was alle zehn Songs der Platte (neun, wenn man das instrumentale Intro “V70” rausrechnet) gemein haben, ist ihre unkontrolliert hemmungslose, beinahe selbstzerstörerische Energie. Immer wieder findet sich Francis in apathischen Gedankenspiralen wieder, in denen sich Phrasen der Wut und Melancholie fortwährend um sich selbst drehen. Ditz wollen dabei keine Lösungen anbieten, sondern Probleme anprangern.
Diese anzuprangernden Probleme reichen von genereller Apathie und Ziellosigkeit, Wut über den Zustand einer stetig weiter nach rechts rückenden Gesellschaft bis zu ganz konkreten Reibungspunkten, wie der Aneignung queerer (Sub-)Kultur durch multinationale Konzerne. Auf dem Song “Four” stellt Francis die Frage, ob Ikonen wie Alan Turing oder James Baldwin zu ihrer Zeit auch gemeinsame Sache mit den H&M’s und Apple’s dieser Welt gemacht hätten. Ditz vermeiden dabei allerdings die gängigen Fettnäpfchen, die oft mit der lautstarken Kritik an solchen Systemen einhergehen. Statt mit erhobenem Zeigefinger vor sich hin zu plärren, findet die Band einen weniger normativen, dafür aber umso unmittelbareren Zugang zu diesen Themen. “Never Exhale” funktioniert über die emotionale Ebene, ist bewusst ambivalent und gibt viel Raum, den es mit den Kontemplationen der Zuhörenden und den flirrenden Sounds der Band zu füllen gilt. “britney”, der Closer des Albums, verkörpert all das par excellence. Auf über sieben Minuten ziehen die fünf Musiker*innen hier alle Register und entlassen uns mit angehaltenem Atem aus dem Album. Es bleibt ein Gefühl der Ungewissheit. Was habe ich gerade erlebt? Und wann habe ich das letzte Mal tief durchgeatmet?
Wertung
Sich in der förmlich übersprudelnden Post-Punk-Szene Großbritanniens zu behaupten, ist keine leichte Aufgabe. Ditz schaffen das nicht nur dank ihrer ungestüm noisigen Spielart, sondern vor allem durch ihre angenehm kontemplative Art, in der sie durch all die Wut ihre Emotionen vermitteln. Dieses Talent zeigte schon ihr Debüt-Album, und “Never Exhale” macht genau hier weiter.
Kai Weingärtner
Kai studiert zur Zeit mehr oder weniger erfolgreich Politikwissenschaft und Anglistik in Osnabrück. Da man damit natürlich keinerlei Aussichten auf einen “vernünftigen” Job hat, ist er nun bei Album der Woche angeheuert um sich seine Zukunft als Taxifahrer etwas aufzulockern. Sein Musikgeschmack umfasst alles, was E-Gitarre und Schlagzeug hat oder anderweitig Krach macht.