Captain PlanET und „Reste“: Was noch gesagt werden musste
25.04.2025 | Frank Diedrichs

Die Liste der Assoziationen zu dem Begriff Reste scheint schier unendlich und ist selten positiv besetzt. Gedanken, dass etwas übriggeblieben ist, etwas oder, noch trauriger, jemand nicht mehr gewollt ist, quellen empor. Mensch möge nur an die unzähligen Stunden im Sportunterricht denken, nicht gut genug gewesen zu sein, um mit den coolen Kids in einem Team zu spielen. Der „Rest“ saß auf der Bank und guckte zu, beschämt über die eigene Lebenssituation und die Unfähigkeit etwas zu verändern.
Hier knüpfen die fünf Tracks der EP nahtlos an. Bereits der Opener „Butenfeld“ scheint die Trostlosigkeit der nun erwachsenen „Bankdrücker“ aufzugreifen, die „mit vollgepumpten Köpfen, im Dreck versunken“ erkennen, dass sie außerhalb des Spielfelds „Leben“ ausgesaugt ihr Dasein fristen. Die Aufforderung „Lass uns endlich gehen, komm lass uns gehen“ am Schluss scheint der Auslöser des scheinbar erlösenden und entfesselnden Lachens zu Beginn in „Kreuzfahrt“ zu sein. Doch auch hier ist das lyrische Ich eher wieder nur ein Rest, der den Luxus einer Kreuzfahrt nur von außen betrachten kann. Die Unfähigkeit das Jetzt und Hier zu leben, zu gestalten und zu etwas Schönem zu machen, gipfelt in der Erkenntnis, das Leben aufgegeben zu haben. Mensch ist nur fähig „in ein Davor und ein wie weiter“ zu denken. Die Reise, zu weit angetreten, scheint sämtliche Kraft und Hoffnung zu verzehren und in Stille zu verwandeln. Und so verlangsamt sich das Leben noch weiter, bis es fast stagniert. „Schnecken“ zeigt die Anpassung an die Hölle namens Leben, in der „deine Träume […] in sich zusammen[fallen]“, obwohl „der Durchbruch geplant“ war. Inzwischen ist auch den Mitmenschen klar, dass das kein Leben sein kann. „Schnitt für Schnitt“ wirkt wie eine alptraumgewordene Operation an den Makeln des Lebens. Die Hoffnung, dass durch radikale Veränderung die Wahrnehmung der anderen auf uns gelenkt wird, scheint die Triebfeder für den Entschluss gewesen zu sein, „zu diesem Klotz hier gleich um die Ecke“ zu gehen. Aber die Enttäuschungen des Lebens wahren den Realismus, denn die Hoffnung ist „mehr Glaube als Wissen“.
Bei aller Negativität in den Texten haben alle Tracks etwas Entscheidendes gemeinsam. Das lyrische Ich ist in keiner seiner Situationen alleine. Es hat immer einen Menschen an der Seite, der mal nichts mehr zu sagen hat, an anderer Stelle die Begleitung auf der Reise darstellt, selbst bei (Ein-)Schnitten nicht von der Seite weicht. In „Staub“ ergießt sich das Ich in einen Schwall von Erkenntnissen, denn plötzlich „fühlt sich [nichts] an, als wär es echt“ und es ist „alles leer, was wir sagen“. Aber mag auch der erste Teil der eigenen Existenz aus durch das tragisch-komische des Lebens hervorgerufene Gedanken bestehen, „sind wir im zweiten Teil Freunde“ und „ich [lieg] immer daneben, egal was ich bin für dich“. Captain PlanET beenden diese Reise zu den Resten des Lebens mit einem schwachen Funken an Positivität und Zweckoptimismus. Nie ist jemand alleine als „Bankdrücker“, als Rest im Leben. Aus Resten können zauberhafte Dinge entstehen; Kunstwerke oder Dekorationen, denen ein Upcycling eine unentdeckte Schönheit verleiht. Oder wie das Cover zur Platte: aus Resten von Paletten und Hölzern einen Turm bauen, der es ermöglicht, sich sichtbar zu machen.
Captain PlanET lassen in den Lyrics die Lebenssituationen des lyrischen Ich erneut in düsteren Worten und Bildern zurück, der ihren Emo-Punk die Energie und Reife verleiht. Jan Arne van Twistern haucht mit einer zwischen Aufgabe und Verzweiflung pendelnder Stimme diesen Worten eine Trostlosigkeit ein, die durch die Instrumente wieder stark unterstützt wird. Und so ist aus ungenutzten Aufnahmen aus den Sessions zu „Come on, cat“ eine EP entstanden, die sich in ihrer Tiefe wie ein ganzes Album anhört und anfühlt.
Wertung
Von wegen "Reste" - gefühlt ein Minialbum widmet sich die EP "Reste" all den Themen, die noch angesprochen werden mussten, besonders den Menschen, die sich selbst als Rest im Leben anderer sehen. Gewohnt mit eindringlichem Gesang, feinsten Gitarrenklängen und mit Lyrics, die es einem nicht einfacher machen werden im Leben. Stark!

Frank Diedrichs
Frank lebt seit über zwanzig Jahren in der Mitte Niedersachsens und unterrichtet Kinder und Jugendliche an einer Oberschule. Nach seiner musikalischen Erstprägung durch die Toten Hosen und Abstürzenden Brieftauben erweiterte er seine Hörgewohnheiten: Folkpunk, Singer-/Songwriter, Blues, Deutschpunk, US-/UK-Punk. Dabei kommt von Johnny Cash über The Beatles und Pascow bis hin zu Marvin Gaye eine Menge Vielfalt aus den Boxen, am liebsten als Vinyl.