The Bouncing Souls und "Ten Stories High": Songwriting einmal anders
22.03.2023 | Frank Diedrichs
Seit über dreißig Jahren spielt die US-Band The Bouncing Souls diesen melodischen Punkrock. Aber auch sie wurden wie viele auch von der Corona-Pandemie gebremst. Konnte das Album „Volume 2“ vor der Pandemie fertiggestellt und Ende 2020 noch veröffentlicht werden, fielen Festivals, Konzerte weg und an eine Tour war nicht zu denken.
Bands und Künstler:innen gingen mit dieser erzwungenen Pause auf ganz unterschiedliche Weise um: Sie streamten Konzerte oder unterstützten per Charité-Veröffentlichungen Clubs und alternative Zentren, die von der Schließung bedroht waren.
Die Band aus New Jersey nutzte ihrerseits die enge Bindung zur Fanbase, die sie über Jahre aufgebaut hatte. Per Video-Call setzten sich die Bandmitglieder mit Fans zusammen und ließen sich Erlebnisse und Erfahrungen aus deren Leben erzählen, häufig eng verknüpft mit der Band.
Aus diesen Erzählungen entstand das aktuelle Album „Ten Stories High“: Zehn Songs, die das Innen und Außen von Menschen widerspiegeln, die sich eng mit der Band, ihrer Musik und den Texten verbunden fühlen. Fern ab vom üblichen Songwriting ergaben sich somit Einblicke in das Leben der Fans, die zwischen Traurigkeit und Lebensfreude pendeln.
Der Titeltrack „Ten Stories High“ spiegelt nicht nur im Text, sondern gerade im dazu veröffentlichten Video diese Vielfalt wider - das Hochhaus als Sinnbild für diese Diversität, jedes Stockwerk und jede Wohnung erzählt ein Leben.
Dies setzt sich textlich fort. So thematisiert der Track „Back To Better“ die häusliche Einsamkeit, die erzwungen durch Restriktionen, Menschen allein mit sich zurückließ, und das „Zuhause“, eigentlich ein positiver Begriff, negiert.
„True Believers Radio“ ist eine Reminiszenz an den Song „True Believer“ vom Album „How I Spent My Summer Vacation” und unterstreicht aus Fan-Sicht die grundlegende Bedeutung und Wichtigkeit der Band für ihre Base.
Einer der kraftvollsten Songs des Albums ist „Vin And Casey“. Die Drums erzeugen mehr Druck und die Gitarren erzeugen noch mehr Tempo als dies bereits in den anderen Songs geschieht. Das verleiht dem Lied die Energie, die es braucht, um Trauer und Verlust in dieser Geschichte bei aller Tragik positiv mit The Bouncing Souls zu verbinden.
Aber hier, wie auch in den anderen Songs, findet sich Hoffnung, die durch Greg Attonitos klaren und immer wieder hymnischen Gesang, hervorgehoben wird. Mensch höre sich nur den Chorus von „Andy And Jackie“ an, der förmlich den Zwang hervorruft, diese Zuversicht mitzusingen, mit der Erkenntnis, dass es anderen Menschen ähnlich wie einem selbst ergangen ist, aber gemeinsam mit anderen Menschen wir einen „Higher Ground“ erreichen können.
Der Punkrock, den die Band spielt, ist, wie die Alben der Vergangenheit, sehr melodisch, genretypisch kurz und prägnant.
Die schnellen Gitarrenriffs sorgen für die richtige Punkstimmung, während Drums und Bass in schweißtreibender Eintracht den Songs Kraft verleihen, die bei jedem Konzert vor der Bühne für ausgelassenen Pogo sorgen werden. The Bouncing Souls erfinden sich dabei nicht neu.
Für eine Neuorientierung oder musikalische Neuausrichtung besteht aber auch keine Notwendigkeit, denn das, was dieses Album zu etwas Besonderem macht, ist nicht nur der Punkrock, der wie bei jedem Album der Band enorm viel Spaß macht.
Am Ende steht mit „Ten Stories High“ vielmehr ein authentisches Album, das näher an der Lebens- und Gefühlswelt der Fans nicht sein kann. Und dass die Band sich die Zeit für die Menschen hinter den Plattenkäufer:innen, den Konzertbesucher:innen und Followern nimmt, ihnen zuhört und ihre Geschichte in Songs verwandelt, ist eine große Geste und eine Wertschätzung dieser Menschen.
Wertung
The Bouncing Souls spielen erneut starken, hymnischen Punkrock, der vor Singalongs nur so strotzt. Aber vor allem haben sie sich meine Bewunderung für das Storytelling verdient. Die Fans erzählen zu lassen und ihnen die Gewissheit zu geben, ihr habt etwas zu sagen, ist ein Zeichen von Hochachtung ihnen gegenüber. Denn wie oft geht in unserer medial überfrachteten Welt die eigene Stimme unter?
Frank Diedrichs
Frank lebt seit über zwanzig Jahren in der Mitte Niedersachsens und unterrichtet Kinder und Jugendliche an einer Oberschule. Nach seiner musikalischen Erstprägung durch die Toten Hosen und Abstürzenden Brieftauben erweiterte er seine Hörgewohnheiten: Folkpunk, Singer-/Songwriter, Blues, Deutschpunk, US-/UK-Punk. Dabei kommt von Johnny Cash über The Beatles und Pascow bis hin zu Marvin Gaye eine Menge Vielfalt aus den Boxen, am liebsten als Vinyl.