Coilguns und "Watchwinders": Wie ein schweizer Uhrwerk, nur ganz anders
17.10.2019 | Kai Weingärtner
Was geschieht, wenn man vier Musiker einen Monat lang nur mit ihren Instrumenten bewaffnet in ein Haus irgendwo in der Schweiz sperrt? Nun, das Uhrwerk beginnt zu arbeiten, die Zahnräder zu mahlen und es hört nicht mehr auf zu ticken, bis am Ende ein fertiges Album dabei rauskommt. Im Falle von Coilguns heißt dieses Album “Watchwinders” und wirft einen selbstkritischen Blick auf den Werdegang und Status quo der Band. "Watchwinders", zu deutsch schlicht "Uhrenbeweger," sind nichts anderes als Kästen, in denen Leute mit viel Geld und wenig Zeit ihre teuren Uhren aufbewahren, um den Automatikmechanismus der Uhr aufrechtzuerhalten. Der Albumtitel ist also ein Verweis auf die Sucht nach immerwährendem Fortschritt und stetiger Bewegung, koste es was es wolle.
Der Sound der Platte ist dabei alles andere als das angenehm seichte Ticken einer Armbanduhr. Ein Klanggewitter aus sehr tiefen und wummernden Riffs trägt die von Gitarrist Jona Nido mit seiner neunsaitigen Gitarre durch gleich drei Verstärker geprügelt werden, trägt “Watchwinders” über seine knapp 41 Ziffernblattumdrehungen Spielzeit. Untermalt werden die Gitarren nicht etwa von einem Bass, sondern von düster und doomy anmutenden Synths, die zusammen mit den an Kriegstrommeln erinnernden Drums eine bedrohliche Klangkulisse erzeugen. Das Schlagzeug verzichtet dabei zumeist auf unnötiges Crash-Becken-Getrümmer und spielt stattdessen perkussiv treibende Rhythmen, die dann doch wieder ein wenig an das Ticken einer Uhr erinnern. Allerdings eher an die Art Uhr, die einen an die super wichtige Arbeit erinnert, deren Deadline unaufhaltsam näher rückt. Durch den eher spärlichen Einsatz von Becken, strahlt es umso mehr durch den Mix, wenn dann doch mal die Hi-Hats eine tragende Rolle spielen. So zu hören zum Beispiel im Song “The Growing Block View”. Hier bauen Coilguns mit Down-Tempo Riffs, einem hektischen Drum-Beat und mahnendem Gesang eine Spannung auf, die sich nach 175 Sekunden in der Single “Manicheans” entlädt. Die Vocals von Frontmann Louis Jucker fegen wie ein Derwisch über das Chaos aus Riffs, Synthies und Drums. Der singt mit zeitweise fast schon unangenehm kreischender Stimme Lyrics über die Frustration über die Zustände und das mulmige Unwissen über die eigene Zukunft.
Produktion und Mix des Albums sind ebenfalls sehr gelungen, auch wenn der Gesang an manchen Stellen etwas zu sehr heraussticht, um völlig eins mit dem düsteren Sound der Platte zu werden. Die Instrumente komplementieren sich wunderbar gegenseitig. Vor allem Gitarren und Schlagzeug sind sehr harmonisch aufeinander abgestimmt, und auch die dunklen Synthie-Bässe sind trotz ihres tief wabernden, grobkörnigen Sounds gut hörbar. Das ist alles umso beeindruckender, da Coilguns das komplette Album live aufgenommen haben. Also alles ohne Quantizing und Klick im Ohr, aber den hat so ein Uhrwerk ja auch gar nicht nötig.
Wertung
“Watchwinders” war für mich der erste tief Kontakt mit Coilguns und die Platte hat mich sofort beeindruckt. Der düstere Sound und diese gemein klingenden, zu tiefen Gitarren, gepaart mit den wahnsinnigen Vocals und den wabernden Synthies lösen bei mir eine Mischung aus Begeisterung und Unbehagen aus. Für mich definitiv eine meiner Entdeckungen des Jahres.
Kai Weingärtner
Kai studiert zur Zeit mehr oder weniger erfolgreich Politikwissenschaft und Anglistik in Osnabrück. Da man damit natürlich keinerlei Aussichten auf einen “vernünftigen” Job hat, ist er nun bei Album der Woche angeheuert um sich seine Zukunft als Taxifahrer etwas aufzulockern. Sein Musikgeschmack umfasst alles, was E-Gitarre und Schlagzeug hat oder anderweitig Krach macht.