Die Lieferanten und „Liebe in Paketen“: Zwei Schwerpunkte
17.11.2022 | Marco Kampe
Mit den einzelnen Werken, vorab als Päckchen stilisiert, verhält es sich wie mit einer traditionell gefertigten Matrjoschka (der korrekte Singular? Sprachwissenschaften irgendjemand?). Schicht für Schicht kreisen sie um das ausgegebene Leitbild der Liebe und geben mit jeder weiteren Minute Spielzeit etwas über die Gedankenwelt der Bandmitglieder preis. Zwar mag diese Gedankenwelt nicht auf Anhieb nachvollziehbar oder gar zugänglich sein, doch verursacht ebenjene allerlei interessante Aneinanderreihungen. Im krassen Gegensatz zu der wagemutigen Lyrik präsentiert sich die musikalische Begleitung bestechend simpel. Gerät man also über ein liebesschwangeres Konzeptalbum zunächst ins Grübeln, kann man nun getrost den nachfolgenden Liedern lauschen.
Die Lieferanten servieren deutschsprachigen Pop-Rock der besseren, intelligenteren Sorte. Was damals auf wegbereitende Art und Weise Wir sind Helden begannen, wird heute an vielen Stellen munter fortgesponnen. Sei es das Lumpenpack, die Alex Mofa Gang oder eben die „Liebe in Paketen“. Das dahinterstehende Quartetts schafft es, selbstreferentiell, selbstironisch und mit unübersehbarem Augenzwinkern in die Tiefen des Konsumrauschs einzutreten. Flankiert von funkigen Diskovibes (passend zum Abba-Comeback *zwinker*) gestalten „One Click Buy“, „Realität“ und „Olio“ den Einstieg überaus geschmeidig. Apropos geschmeidig: Über die Vorzüge und die vielseitige Verwertbarkeit von Olivenöl kann man im letztgenannten Song Vieles lernen. Ob das künstlerisch gewinnbringend ist? Nun, mit diesen Tipps im Hinterkopf hätte man zumindest frühzeitig an der exorbitanten Preissteigerung von Pflanzenölen jeglicher Art mitverdienen können. Dass die Lieferanten sich allerdings nicht auf hochspekulative Kapitalanlagen fokussieren, sondern gesamtgesellschaftlich etwas zu sagen habe, zeigt der „Eintag“. Der heutige Arbeits-Ethos erfährt eine kritische Reflektion, wie sie lässiger kaum sein könnte.
Anstellen“ ist abermals gespickt mit Wortakrobatik und groovt musikalisch munter voran, wobei der Fokus im Angesicht repetitiver Strukturen eindeutig auf der Lyrik liegt. Es bedarf keines zweiten Durchlaufes und schon bleibt das Dargebotene auf ganz fiese Art im Gehörgang kleben. „Voodoo“ handelt von den vertrackten Situationen des Menschseins im weltweiten Web (Selbstbestimmung vs. Fremdwahrnehmung). Wie beschrieben, sind aber auch andere Interpretationen durchaus denkbar und legitim. Das macht zeitgleich den Reiz und die Irritation um diese Platte aus. „Alle Worte tanzen“ ist ein Highlight der Platte. Er beschreibt die Kunst, der eigenen Gedankenwelt Worte zu verleihen, stets zwischen Fettnäpfchen und weiteren Drahtseilakten wandelnd. Am Ende hilft stets der Griff zu den Instrumenten, um Missverständnissen vorzubeugen. Wird die Meta-Ebene zu sehr überstrapaziert, kommt so etwas wie „Santa Monica“ dabei heraus. Ist das nun Sarkasmus oder ernsthafter Kitsch? Es bleibt eindeutig uneindeutig.
Die allgegenwärtigen Interpretationsspielräume und skurrilen Denkanstöße sind rundherum auflockernd, stellen sie doch unterschwellige Fragen fernab jeder Polemik. Musikalisch sind nicht die größten Überraschungen enthalten, doch das sollen sie offenkundig auch nicht sein. Diese Pakete können gerne direkt vor der Haustür abgelegt werden, um aufwendige und damit zeitvergeudende Suchaufträge bei der benachbarten Postfiliale proaktiv zu vermeiden.
Wertung
Mir drängt sich fortwährend und unweigerlich Royal Republics „Club Majesty“ auf, doch das muss keinesfalls schlecht sein. Ich hatte bislang keine Berührungspunkte mit dieser Band, werde das weitere Geschehen aber mit Wohlwollen verfolgen.
Marco Kampe
Der vormalige Fokus auf verzerrte E-Gitarren ist bei Marco einem übergeordneten Interesse an der Musikwelt gewichen. Die Wurzeln bleiben bestehen, die Sprossen wachsen in (fast) sämtliche Richtungen. Darüber hinaus bedient er gerne die Herdplatten oder schnürt sich die Laufschuhe.