Horsegirl und "Versions of Modern Performance": Too young to rock?
04.06.2022 | Steffen Schindler
Horsegirl aus Chicago sind eine junge Band: Nora Cheng (Gitarre, Gesang) und Gigi Reece (Schlagzeug) sind Erstsemester am College, Penelope Lowenstein (Gitarre, Gesang) steht kurz vor ihrem High-School-Abschluss. Trotzdem klingt die Musik, die sie zusammen machen, viel älter. Wenn „Versions of Modern Performance“ 1988 erschienen wäre, stünde es in jeder Collegerock-Bestenliste und Horsegirl wäre jetzt eine Kultband.
Aber es ist 2022 und MTV hat 120 Minutes schon vor 20 Jahren abgesetzt. Doch dort, zwischen Hüsker Dü und Slowdive, hätten Horsegirl perfekt hineingepasst. Die verzerrt-verhuschten Gitarren und der entrückte Gesang machen beim Hören den gleichzeitig einladend-warmen und abweisend-schroffen Eindruck, der schon die Noise-Pop-Urväter The Jesus and Mary Chain geprägt hatte. Das ist wahrscheinlich kein Zufall: Als Produzent konnte John Agnello gewonnnen werden, der in den 90ern mit Dinosaur Jr. arbeitete und mit ihnen ebendiese Formel perfektionierte.
Mit den Referenz-Namedrops sind wir jetzt fast durch. Ein wichtiger fehlt jedoch noch: Kim Gordon, die ehemalige Bassistin von Sonic Youth, stellte Horsegirl auf ihrem Instagram-Account vor und den Einfluss ihrer Band hört man schon in ersten paar Sekunden dieses Albums.
Den Opener „Anti-glory“ prägt ein minimalistisches Gitarrenriff, das Thurston Moore nicht besser hätte schrammeln können. Im Chorus kippt der Song dann in einen harschen Post-Punk-Rhythmus. Solche Kontraste sind für „Versions of Modern Performance“ durchaus prägend: Der folgende „Beautiful Song“ spielt mit der Schere, die sich zwischen dem lieblichen Gesang und der kratzenden Gitarre öffnet. Doch auch in der Struktur des Albums finden sich diese Kontraste, am deutlichsten in den drei kurzen Instrumentals, die wie Fragmente aus einem Post-Rock-Stück klingen. Der deutlichste Ausreißer ist hier „The Guitar is Dead 3“, in dessen Zentrum ein Klavier steht.
Diese relative Abwechslung bemerkt man bei den ersten Durchläufen vielleicht gar nicht so richtig, denn Horsegirl fühlen sich Midtempo am wohlsten, was in Kombination mit dem Zerrvorhang über den Gitarren und den etwas weiter nach hinten gemischten Vocals durchaus eine sedierende Wirkung hat. Sogar die eher schnellen und rockigen Stücke, wie „Option 8“ oder „Billy“ mit seinen zwei, sich gegenseitig überlagernden Gesangsmelodien, scheinen gar nicht so richtig loslegen zu wollen.
Und das ist auch völlig okay so. Immerhin ist dieser Alternative Rock, der auf „Versions of Modern Performance“ wiederauflebt, der Soundtrack der Slacker gewesen, die niemals so richtig loslegen wollten. Allerdings sind Horsegirl ziemlich eindeutig keine Slacker, sondern atmen den DIY-Spirit des amerikanischen Untergrunds. Sie drucken Zines und bemalen ihre Shirts selbst, Musikvideos werden mit Freunden gedreht.
Man hat den Eindruck, Horsegirl wissen trotz ihres jungen Alters genau was sie wollen. Nämlich laute und gleichzeitig melodische Rockmusik machen, die in einer Playlist mit ihren Vorbildern nicht fehl am Platz wäre (denn MTV spielt ja schon lange keine Musik mehr).
Wertung
Ich gebe es zu: ich habe eine Schwäche für denselben alten Alternative Rock wie Horsegirl. Und deshalb freue ich mich, dass sie diesem Genre mit eingängigen Songs, einem tollen Sound und der richtigen Attitüde neues Leben einhauchen.
Steffen Schindler
Steffen dankt Nirvana dafür, dass sie die Jugend auf dem Dorf erträglich gemacht haben. Seitdem ist er dem Klang der elektrischen Gitarre verfallen. Mittlerweile studiert er in Berlin Geschichte und Kulturwissenschaft.