Kochkraft durch KMA und "Alle Kinder sind tot": Das Patriarchat wegsynthen
16.09.2022 | Dave Mante
In den letzten Jahren werden ja zurecht des Öfteren Stimmen laut, die ein divereseres Line-Up für Festivals fordern. Eine der Vorzeigebands bzw. Künstler:innen im Allgemeinen, welche auch maßgeblich für das Cock-am-Ring-Festival und die gesamte Bewegung dahinter verantwortlich sind, ist die Band Kochkraft durch KMA, die sich pauschal keinem Genre zuordnen lässt. In ihren Texten geht es vor allem darum, all den Kackmenschen da draußen möglichst kreativ ihre eigenen Defizite aufzuzeigen und ebenso auf die Probleme unserer Gesellschaft hinzuweisen. Auf ihrem zweiten Album „Alle Kinder sind tot“ hören sie damit nicht auf, sondern treiben das Ganze auch musikalisch auf ungeahnte Höhen.
Relativ schnell geben Kochkraft die Richtung der Platte vor. Die ersten drei Songs, bestehend aus „Auf jungen Stuten lernt man fluten“, „Influencer*innen hassen diesen Trick“ und dem namensgebenden „Alle Kinder sind tot“, widmen sich dem lächerlichen deutschen Patriotismus, der fragwürdigen Macht von Internetsternchen und der verlorenen Zukunft. All das mit einer Mischung aus aggressiven Synths, ebenso deutlichem Sprechgesang und treibenden Refrains. Vor allem in Letzteren driftet die Band des Öfteren in Punk-Gefilde ab, welche so sehr passen wie die Vernunftschelle ins Gesicht eines Mackers. Dazu brechen Kochkraft häufig mal komplett mit dem Sound und schmeißen zum Beispiel einen Disco-Electro-Dance-Track durch die Gegend, welchen man so auch einfach durch irgendeinen Technoclub ballern könnte. Vor allem „Tanz mit Attitüd‘ “ oder „Moonwalk durch die Nacht“ wären auf irgendwelchen Goth-Electro-Abenden sicherlich gern gesehen, auch wenn niemand auf den Text achten würde. Das geordnete Soundchaos kommt auf den Höhepunkt, als die Songs „Was reimt sich auf Deutschlandflagge“ und „Was geht los da rein“ ertönen. Vor allem Zweiterer überzeugt mit aggressiven Brummsynthies, markantem (Sprech-)Gesang und einem derben Text gegen Alltagsrassismus und der generellen Antihaltung gegenüber Geflüchteten. Dieser ist mit ertappenden Doppelmoralmomenten gespickt, welche besorgte Bürger so wirklich immer wieder verwenden. Als Featuregast hat man sich hier die Band Leitkegel geholt, mit welcher man bereits eine Split veröffentlicht hat. Den Part solltet ihr euch definitiv selbst anhören, das ist wirklich absolut großartig!
Generell sollte noch einmal erwähnt werden, dass die Auswahl der Gäste hervorragend ist. Jojo von Sperling bei „Alle Kinder sind tot“ , Riffsn von Großstadtgeflüster beim Anti-Macker-Song „Mancave“ oder eben Leitkegel geben dem eh schon höchstkreativen Album immer wieder einen Twist, welcher seinesgleichen sucht!
Abschließend bleibt nicht mehr viel zu sagen. Kochkraft durch KMA bringen eines der besten Alben des hier Genre einfügen heraus und zeigen sehr gut, wie man sich ohne dumpfe, abgenutzte Parolen gegen Dinge wie Macker, Nazis, Patriarchat und Ähnlichem stellt. Dazu ist „Alle Kinder sind tot“ auch musikalisch großartig, einzigartig und trifft immer wieder auf die verschiedensten Punkte. Ganz groß, was hier passiert ist. So groß, dass ihr es selbst hören solltet, um euch ein Bild davon zu machen.
Wertung
Kochkraft durch KMA schaffen es auf „Alle Kinder sind tot“ sich vom Einheitsbrei der politischen Musik abzuheben und dem Paroleneinerlei den Rücken zu kehren. Egal ob durch den Vergleich des Männertums mit Höhlenmenschen, dem runterziehenden Titeltrack mit noch depressiverem Hintergrund oder auch den Disco-Techno-Dance-Ausflügen bei „Moonwalk durch die Nachbarschaft“. Musikalisch schwingt die Scheibe immer wieder zwischen den verschiedensten Sounds hin und her. Nur die Synthies, die sind immer da und klingen durchweg großartig, verschroben und so wunderschön aggressiv. Dieses Album ist wohl das ungewöhnlichste, welches ich dieses Jahr gehört habe und hören werde!
Wertung
Kochkraft durch KMA zeigen mit „Alle Kinder sind tot“, dass man auch ohne die ewiggleichen politischen Parolen die eigene Wut auf ein System, dessen einziges Interesse nur mehr Kapital ist, zum Ausdruck bringen kann. Es ist vor allem diese aggressive Grundstimmung, die dem Album so unglaublich viel Energie gibt. Zwischendurch kommt so ein gewisser Tote-Crackhuren-im-Kofferraum-Vibe auf, der vor allem durch diese unfassbare Mischung aus Elektro, Punk, Wave und weiteren Genres entsteht. "Alle Kinder sind tot" gehört auf jeden Fall zu meinen Top 5 Alben des Jahres!
Dave Mante
Aufgewachsen zwischen Rosenstolz und den Beatles hört sich Dave mittlerweile durch die halbe Musikwelt, egal ob brettharter Hardcore, rotziger Deutschpunk, emotionaler Indie oder ungewöhnlicher Hip Hop, irgendwas findet sich immer in seinen Playlisten. Nebenbei studiert er Kunstgeschichte, schlägt sich die Nächte als Barkeeper um die Ohren oder verflucht Lightroom, wenn er das gerade fotografierte Konzert aufarbeitet.