Måneskin und „Rush!“: Lasset alle Hoffnung fahren
04.02.2023 | Jakob Uhlig
Als Royal Blood um 2014 herum mit ihrem Debütalbum plötzlich von heute auf morgen Hallen füllten, obwohl die allgemeine Akzeptanz von Rockmusik im Mainstream schon seit Jahren nicht mehr gerade präsent war, war das eigentlich eine ziemlich coole Geschichte. Rockduos ähnlichen Kalibers hatte es mit den White Stripes oder den Black Keys in der Musikhistorie zwar schon einige gegeben, aber ohne Gitarre und nur mit einem Bass aufzutreten war schon ein ziemlich wuchtiger Move, der wirklich saß. Als der Hype langsam abflachte und Greta van Fleet das nächste große Ding wurden, bei dem mittvierzigjährige Bierbauchträger und 17-jährige Edge-Teens sich mal kompromisslos zuprosten konnten, sah die Sache schon nicht mehr ganz so rosig aus. Tolle Produktionen und sinniges Songwriting konnte man der blutjungen Gruppe aus Michigan kaum abstreiten, und doch barg jeder Track zumindest immer noch den Beigeschmack, dass sich da gerade irgendein Major-Label-Agent eine Led-Zeppelin-Coverband zusammengestellt hatte. Wer damals allerdings zu den lautstarken Meckerern gehört hatte, der muss bitte spätestens jetzt verstummen, denn das, was wir 2023 stattdessen als Rock-Hype serviert bekommen, hat niemand von uns verdient.
Måneskin sind durch die italienische Version von X-Factor und den Eurovision Song Contest bekannt geworden. Eigentlich ließe sich die Rezension an dieser Stelle damit auch schon guten Gewissens beenden. „Rush!“ scheint am Ende dann allerdings doch zu kommentierungsbedürftig, als ob es damit genug wäre. Man kann nur hoffen, dass niemand wirklich glaubt, Måneskin würden den Zustand ihrer Musiksparte im Jahr 2023 repräsentieren, denn wie bei der letzten Bring-Me-The-Horizon-Platte würde sich dann jeder Fan dieser Band als das absolut anspruchsloseste Gewohnheitstier entlarven, das er oder sie ist. „Rush!“ ist dabei in den meisten Fällen gar nicht mal offensiv grausam, aber anderseits wird diese Platte über ihre Gesamtdauer gerade so unerträglich, weil sie ungebremst highlightlos vor sich hin trottet. Die Produktion dieses Rock-Albums ist dermaßen lasch und zahnlos, dass sie – um es ins Verhältnis des englischen Monoliths in der Genre-Bezeichnung zu bringen – eher nach Kiesel als nach mächtigem Felsbrocken klingt. Und trotzdem glauben Måneskin selbst offenbar, hier die abgefahrenste Anti-Platte ever geschrieben zu haben. Oder zumindest wollen sie, dass ihre Hörer:innen das glauben. In „Kool Kids“ (merke: Wer „cool“ mit K schreibt ist immer besonders krass) heißt es so tatsächlich unironisch: „Well, cool kids, they do not like rock / They only listen to trap and pop (Justin Bieber) / And everybody knows that rock 'n' roll is shit / But I don't give a fuck about being a cool kid“
Das wird alles nicht gerade besser durch die Tatsache, dass Måneskin hier von ihrer üblichen durchgenudelten Alternative-Rock’n’Roll-Klischeekiste ausnahmsweise abweichen und eher klingen wie ein Idles-Imitat, dabei aber weder lyrisch, instrumental oder stimmlich auch nur ansatzweise die Klasse der UK-Post-Punk-Heroen erreichen können – mal abgesehen davon, dass dieser Song dadurch im Kontext des Restalbums wie ein absoluter Fremdkörper wirkt. Mit „Bla Bla Bla“ versucht die Band hingegen offenbar zu beweisen, dass sie wirklich jeden Scheiß verkaufen kann, denn dieser Song klingt so, als hätte man einen eigentlich noch textlosen Demotrack einfach aufs fertige Album gepackt. Wenn das eine Provokation sein soll, dann funktioniert sie wirklich, denn der lyrische Hochgenuss liest sich dann etwa wie die intellektuellen Verlautbarungen eines Vierjährigen: „And bla-bla, bla-bla-bla, bla, bla/ I hate your face but I like your mom's / You play it smart but you look so dumb / Du-du, du-du-du, du-dumb / And ah-ah, ah-ah-ah, ah, ah“. Das ist mindestens so hochpoetisch wie der Fakt, dass Tom Morello sich für „Gossip“ mal wieder als Feature-Sklave zur Verfügung gestellt hatte, was mittlerweile eher zum Warnhinweis als zum Qualitätsmerkmal geworden ist. „Rush!“ kommt dabei über alle Strecken so wenig in die Gänge, dass manch einer vielleicht sagen würde, das sei doch alles gar nicht so schlimm. Aber wenn der neue Rebellen-Rockact der Stunde allenfalls die Kantigkeit von Five Seconds Of Summer erreicht, dann läuft irgendetwas gewaltig schief.
Wertung
Eine Platte, die man schon vergisst, noch während man sie hört und ein weiterer Beweis dafür, dass eine Gitarre als Hauptinstrument wirklich gar nichts zu bedeuten hat.
Jakob Uhlig
Jakob kommt aus dem hohen Norden und studiert zur Zeit historische Musikwissenschaft. Bei Album der Woche ist er, neben seiner Tätigkeit als Schreiberling, auch für die Qualitätskontrolle zuständig. Musikalisch liebt er alles von Wiener Klassik bis Deathcore, seine musikalische Heimat wird aber immer die Rockmusik in all ihren Facetten bleiben.