Pascow und “Sieben”: Mit Spucken und Kratzen
06.01.2023 | Kai Weingärtner
Mit Erscheinen des letzten Pascow-Albums “Jade” setzte die Band aus Gimbweiler Maßstäbe für modernen, frischen Punk aus Deutschland. Nun eröffnen sie das Jahr 2023 mit dem Nachfolgealbum “Sieben”. Schon rein optisch ist die Beziehung der beiden Alben zueinander nicht zu verleugnen. Beide Albumcover zieren schwarz-weiße Porträts junger Menschen, die man auf die ein oder andere Art und Weise als Außenseiter:innen betiteln könnte. Von der gepiercten Punkerin auf dem “Jade”-Artwork zum etwas schmuddeligen, mürrisch dreinblickenden Jungen auf “Sieben”.
Wie Pascow selbst sagen, besteht ihr Anspruch mit dieser Platte zwar nicht in der Neuerfindung des Rades, aber doch in einer Weiterentwicklung des eigenen Sounds. Diese Aufgabe darf man komfortabel als bestanden vermerken. “Sieben” steht zwar unverkennbar in den Fußstapfen von “Jade”, füllt diese aber mit ganz eigenem Profil. Pascow beweisen Song um Song ihr Gespür für euphorisierende Gesangsmelodien und aufrührerische Riffs. Viele Songs auf “Sieben” beherbergen eine Epik, die im Punk eigentlich verboten gehört, so oft rutscht sie zu plumpem Parolengegröle und nichtssagendem Kitsch ab. Pascow umschiffen all diese Untiefen und entgehen der Versuchung des erhobenen Zeigefingers zu Gunsten einer bodenständigen Frustration. “Sieben” ist keine anprangernde Weltverberssererarie, es will sich einfach nur mal richtig auskotzen.
Und wie schon auf “Jade” haben sie sich dafür tatkräftige Unterstützung ins Boot geholt. Auf einigen der vierzehn Tracks der Platte finden sich kraftvolle Chöre. “Königreiche im Winter” liefert das verschroben schöne Zwischenspiel zwischen männlichen und weiblichen Vocals, das schon auf “Silberblick und Scherenhände” so hervorragend funktioniert hat. Gastbeiträge kommen auf “Sieben” von Apokalypse Vega von Acht Eimer Hühnerherzen, Nadine Nevermore von NTÄ oder der Trierer Sängerin Hanna Landwehr. Über die gerade mal 36 Minuten Spielzeit, die sich auf die 14 Songs verteilt, verliert die Platte an keiner Stelle ihren Drive, wird nie langweilig oder abgedroschen. Im Gegenteil, immer mal wieder horcht man ob der vielen frischen Ideen ungläubig auf. Wann hat man schon das letzte Mal einen Punksong mit Violine gehört, der dadurch nicht peinlich oder plötzlich Irish Folk wird? Richtig, nie! “Mailand” schafft dieses Kunststück aber mit Bravour und wird deshalb und wegen der großartigen Gesangsperformance im Refrain zu einem der Highlights der Platte.
Auch textlich fahren Pascow mit diesem Album weiterhin ihre ganz eigene Schiene. Trotz literarischer Referenzen an Mark Twain, Erich-Maria Remarque und Rainer Werner Fassbinder wirken die Lyrics immer authentisch und transportieren echte Gefühle, statt sich in der eigenen Belesenheit zu verlieren. Mit “Monde” schreiben Pascow eine Hymne gegen die Gentrifizierung, die bei aller Dystopie-Vision die echte Frustration trotzdem noch transportiert (vorzugsweise mit dem klapprigen Fahrrad statt dem fetten Tesla). Und auch auf dem siebten Album wird die Band nicht müde, sich mit Songs wie “Tom Blankenship” (der war das reale Vorbild für Huckleberry Finn), “Daniel & Hermes” oder “14 Cola-Kracher” mit den Ausgestoßenen und Missverstandenen zu solidarisieren. “Zwischen Altglas und Verlieren halten wir’s gut aus.” “Sieben” ist ein Album für und über die sympathischen Verlierer, die unsere Gesellschaft gerne mal fallen lässt wie heiße Kartoffeln.
Wertung
Das letzte Mal, dass mich eine Punkplatte aus Deutschland so umgehauen hat, waren 2020 Turbostaat mit ihrem nordisch-mysteriösen “Uthlande”. Und auch Pascow werden es den anderen Genrekolleg:innen im kommenden Jahr nicht leicht machen, sich mit “Sieben” zu messen. Wenn jetzt nicht in ein paar Monaten wieder eine Pandemie alles verhagelt, kann 2023 eigentlich nur gut werden.
Wertung
Auf "Sieben" rotzen Pascow einfach mal wieder rum (gut gemeint), das lässt sich eigentlich nur so beschreiben. Keine Balladen, keine Experimente, einfach nur Punk wie früher in der verrauchten Eckkneipe. Dabei geht es um Namedropping diverser Faschisten, Ungerechtigkeit und eben all das, was kacke ist auf der Welt. Wunderschön, wenn auch nicht so großartig wie es "Jade" war.
Kai Weingärtner
Kai studiert zur Zeit mehr oder weniger erfolgreich Politikwissenschaft und Anglistik in Osnabrück. Da man damit natürlich keinerlei Aussichten auf einen “vernünftigen” Job hat, ist er nun bei Album der Woche angeheuert um sich seine Zukunft als Taxifahrer etwas aufzulockern. Sein Musikgeschmack umfasst alles, was E-Gitarre und Schlagzeug hat oder anderweitig Krach macht.