The Pretty Reckless und "Death By Rock'n'Roll": Eine Liebeserklärung an den Rock
22.02.2021 | Meret Stursberg
Musikalisch ist “Death By Rock'n'Roll” (sowohl der Song als auch das ganze Album) hervorragend gelungen und reiht sich ein in die Folge der vorherigen Alben, die ebenfalls auf hohem Niveau die Rockmusik zelebrierten. Doch in dem neuen Album wird neben dem klassischen Rock'n'Roll auch weiter experimentiert – so sind auch Grunge-Einflüsse oder akustische Folk-Parts zu finden. Die musikalische Vielfalt spiegelt sich auch in den Features auf dem Album wieder: Es haben Matt Cameron (Pearl Jam, Soundgarden), Kim Thayil (Soundgarden) und Tom Morello (Rage Against The Machine) als Gastmusiker an dem Album mitgewirkt. Und auch die Mitglieder der Band neben der Frontfrau Taylor Momsen darf man nicht vernachlässigen: Sie liefern auf “Death By Rock'n'Roll” eine Mischung aus harten und anspruchsvollen Gitarrenriffs und Soli, passend gesetzten Drumfills und dröhnenden Bässen ab, schaffen aber auch den Balanceakt zwischen den schnellen, harten Parts und den akustischen und ruhigen Elementen. Die Musik geht auf jeden Fall ins Ohr und lässt einen so schnell nicht mehr los. Taylors Gesang passt perfekt auf die Instrumente – man hat weder das Gefühl, dass sie nur darüber gelegt wurde oder dagegen ankämpfen muss, viel eher gehen sie eine gut funktionierende Symbiose ein – ob in den härteren Parts oder auch in den im Kontrast dazu seichten Parts, in denen die weibliche Stimme engelsgleich, zart und sanft erklingt, wie zum Beispiel in “And So It Went”. Egal ob Songs direkt eingängig und energiegeladen anfangen oder eher melancholisch, man wird direkt von der Atmosphäre gepackt und mitgezogen. Mit “Got So High” findet sich auch eine verträumte Ballade auf dem Album ein, die sich trotz dem Unterschied zu den restlichen Tracks des Albums erstaunlich gut in das Gesamtbild einreiht. Außerdem experimentiert die Band mit mystischen und magischen Elementen, wie in dem gerade mal 39 Sekunden langen Zwischenspiel “Broomsticks”. Man hat trotz der ganzen Vielfalt nicht das Gefühl, dass ein chaotisches Durcheinander entstehen würde, vielmehr scheint die Band über den reinen Rock'n'Roll noch hinaus gewachsen zu sein und präsentiert dies in einem angenehmen Zusammenspiel aus den verschiedenen Elementen.
Im Vergleich zu früheren Alben der Band muss man anerkennen, dass sowohl die musikalische Entfaltung als auch die Thematiken im Großen und Ganzen ausgereift sind. Während frühere Songs wie “Make Me Wanna Die” oder “My Medicine” vergleichsweise noch eher jugendhaft wirkten, sind die Lieder auf dem neuen Album reifer, tiefgängiger und vielschichtiger. Einige Songs des neuen Albums könnten auch den Soundtrack eines Kinofilms bilden, besonders die Ballade “Standing At The Wall” hat es diesbezüglich in sich. Thematisch lässt sich das Album als Liebeserklärung zum Rock'n'Roll verstehen. Für Taylor und den Rest der Band ist Rock nicht einfach nur eine Musikrichtung, sondern ein Lebensstil, eine Einstellung – und das zieht sich durch das ganze Album.
Schon die titelgebende Single konnte voll und ganz überzeugen – sie erreichte Platz 1 in den US-Rock Charts und ist damit die fünfte Single der Band, die diesen Rang erreichte. Die Besonderheit daran ist, dass Taylor damit die erste Sängerin in einer Rockband ist, der dies gelungen ist. Dabei wird “Death By Rock'n'Roll” von einem traurigen Ereignis begleitet: Der Tod des ehemaligen Produzenten der Band, Kato Khandwala, der 2018 bei einem Motorradunfall ums Leben kam. Diese Tragik wird unter anderem in dem Titelsong des Albums aufgegriffen, durch die Erwähnung des “motorcycle crash”, der extra eingefügt wurde, um ihren früheren Produzenten zu ehren. Dies ist allerdings nicht die einzige Anspielung in dem Lied: auch Taylors ehemalige Rolle der Jenny Humphrey aus Gossip Girl lässt sich am Anfang des Videos erkennen. Diese wird kurzerhand umgebracht, indem Taylor Jennys Figur Suizid begehen lässt – dies könnte dafür stehen, dass sie mit der Schauspielerei aufhören wollte, um sich der Musik zu widmen, weshalb ihre Rolle sinnbildlich vom Rock'n'Roll umgebracht wurde. Dabei könnte es sich allerdings auch lediglich um einen Zufall handeln, da der Song schon im Jahr 2007 vom Gitarristen Ben Philips geschrieben wurde – wie auch immer, die Thematik wurde sehr passend eingebracht. Generell sind noch weitere Anspielungen in dem Lied zu finden, zum Beispiel kann man erahnen, dass es sich bei der Zeile “I wanna go with a shotgun blast” um Kurt Cobains Tod handeln könnte. Man könnte diese Theorie soweit spinnen, dass sie in dem Song viel auf den “Forever 27 Club” bezogen ist, da viele bekannte Musiker im Alter von 27 Jahren verstarben. Musikalisch ist der Song eine klassische Hard-Rock-Hymne, die jedoch durch Taylors unverkennbare Stimme den Stempel der Band trägt.
Wertung
The Pretty Reckless liefern mit “Death By Rock'n'Roll” ein vorbildliches Album des Rock'n'Roll-Genres ab. Musikalisch nicht festgefahren, aber dennoch sich selbst treu. Die Stimme von Taylor Momsen schmiegt sich teils rauchig und energiegeladen, teils zart und klar an die von den Instrumenten erschaffene Stimmung an. Abwechslungsreich und dennoch stimmig – da gibt es kaum etwas gegen einzuwenden. Auf dass irgendwann tatsächlich die Worte "Todesursache: Rock'n'Roll" auf dem Grabstein steht.
Wertung
Frauenpowergesang mit sattem Classicrock sorgen für ein großartiges Hörerlebnis. So coole Musik, sie könnte glatt in einem Tarantinostreifen laufen.
Meret Stursberg
Momentan studiert Meret Philosophie in Düsseldorf und arbeitet ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe, treibt sich aber ansonsten die ganze Zeit auf Konzerten oder Festivals quer durch Deutschland und in anderen Ländern rum. Sie liebt Reisen und lernt auch im Ausland viele interessante Musiker kennen. Ansonsten spielt sie selber mehr schlecht als recht Bass in einer kleinen Punk-Band. Musikalisch kann sie fast jedem Genre etwas abgewinnen und bezeichnet ihre Playlist auch als Büchse der Pandora, weil zwischen Punk, Indie, Rock, Ska, Metal, Trash und Hip Hop manchmal auch einfach klassische Musik oder Kinderserien-Intros anspringen.