Saltatio Mortis und „Finsterwacht“ - Peinlich berührt, doch gut unterhalten
18.06.2024 | Marco Kampe
Überaus erfolgreiche Einzelveröffentlichungen (vgl. „Pray To The Hunter“ oder „Go Of War“) haben die Zeit seit dem letzten Studioalbum überbrückt und den Weg für „Finsterwacht“ geebnet. Doch die Shootingstars der Szene geben sich mit der Neuinterpretation namhafter Soundtracks nicht länger zufrieden, sondern kreieren kurzerhand einen an „Das schwarze Auge“ angelehnten Kosmos rund um die nun in den Startlöchern stehende Platte.
Angesichts der neben dem eigentlichen Album erhältlichen Gimmicks (ein Roman als Begleitband eines Albums erscheint auf die erste Recherche tatsächlich ein Novum zu sein - Korrekturen sind gerne erwünscht) hallen in der digitalen Parallelwelt bereits lautstarke „Ausverkauf!“-Rufe. Diese haben nach zweifelhaften Kooperationen mit Electric Callboy oder Finch einen durchaus ernstzunehmenden Hintergrund, zumal die Ergebnisse dieser Kooperationen mindestens ebenso zweifelhaft waren. Gleiches galt für den stromlinienförmigen, oft fremdschamerweckenden Deutschrock, der sich unter anderem in den Tracks der letzten beiden Alben (vgl. „Große Träume“ oder „Für immer jung“) offenbarte. Kurzum: Saltatio Mortis sind mit ihrem Headlinerformat (> 780.000 monatliche Hörer*innen auf einer namhaften Streaming-Plattform (Stand 06/2024)) so erfolgreich wie nie zuvor. Saltatio Mortis werden gleichwohl in (alten) Fankreisen so kritisch gehandelt wie nie zuvor. Selbst der noch immer bestehende, vielfach heraufbeschworene Hang zu Mittelaltermärkten verschafft keine Absolution. Eine typische Gemengelage für stark an Popularität gewinnende Bands, die sich ausprobieren und weiterentwickeln. Man denke nur an Linkin Parks „Minutes To Midnight“ oder an das noch weitaus umstrittenere „A Thousand Suns“.
Versucht man jenen trübenden Kontext auszublenden, ist das groß angelegte Projekt um die „Finsterwacht“ stimmig. Langjährige Freund*innen aus der Musikwelt sind als Features an Bord, renommierte Autor*innen unterstützen die Band bei der Textarbeit und die bereits präsentierten Musikvideos binden die aktive Fan-/Cosplay-Szene aktiv ein. Ein neunminütiges (!), zunächst mittels intensiver Erzählstimme vorgetragenes Intro ist in Zeiten kürzer werdender Aufmerksamkeitsspannen mutig, wenn auch im weiteren Songverlauf nicht optimal abgemischt. Sei es drum, Hansi Kürsch und Alea brillieren mitsamt dessen Band, welche alle erfolgreichen Trademarks dieses Genres gekonnt auf den Punkt bringt. Die Erfahrung von zwölf zurückliegenden Alben ist ein Pfund. Ebenso gelungen sind das englischsprachige, zwischen modernem Stadion und antiken Erzminen umherwandernde „Carry Me“ beziehungsweise der „Grimwulf“ als orchestrales Interlude ausgefallen. „Vogelfrei“ setzt bei den Bandklassikern an und bringt Mittelalter und Rock in Perfektion zusammen. So sollten Saltatio Mortis im Jahr 2024 klingen. Diesen Liedern (mitsamt dem leicht kitschigen „Schwarzer Strand“) ist eine Schwere gemein, die im Folgenden abrupt in das Gegenteil verkehrt wird. Ob das gutgehen kann?
Nun, den Spielmannsschwur in allen Ehren, aber könnten unreflektierte Alkoholexzesse („Genug getrunken“) oder halbgare Sexgeschichten („Aurelia“) nicht langsam der Vergangenheit angehören? Bands wie Versengold oder die sagenumwobenen Mr. Hurley & die Pulveraffen beackern diese Themen bereits zur Genüge und auf ihre jeweils ganz eigene Art bedauerlicherweise mit mehr Glaubwürdigkeit. Man könnte vom ökonomischen Begriff der Marktsättigung sprechen, man könnte es aber auch einfach peinlich nennen. Während ebendieser krampfhafte Frohsinn nicht recht zu überzeugen vermag, sind auch die groß (tendenziell zu groß) angelegten Songs „Feuer und Erz“ und „Oh treues Herz“ nicht in der Erfolgsspur. Die dargebotene Theatralik mäht das Aufkommen von Gefühl erbarmungslos nieder. Die Texte verlieren sich im Bombast der Instrumentalisierung.
Hörstatus: Es ist kompliziert - zumal „Der Himmel muss warten“ dezent in Richtung In Extremos neuzeitlichem (Live-)Klassiker „Pikse Palve“ schielt und sich dahinter keinesfalls verstecken muss. Ein willkommenes Gegengewicht gegenüber dem zuvor benannten Stumpfsinn der hiesigen Bierzelte.
Komplexe, scharf vorgetragene Metal-Strukturen treffen in der Rückbetrachtung auf freudig verklärende Mittelalter-Schunkelei. Ein Fantasy-Epos räumt Spielzeit für billige Trinklieder ein. Die Prager Philharmoniker bieten den Rahmen für Pathos und Märtyrertum. Das klingt nach einer wilden Mischung? Die ist es auch, selbst wenn Saltatio Mortis dieses Mal auf explizit politische Inhalte verzichten und man ihr Engagement höchstens im Subtext erahnen kann. Der aufgebrachte Mut zahlt sich leider nicht aus, dafür fallen die vereinzelten Tiefflieger zu stark ins Gewicht.
Wertung
Saltatio Mortis sind mir trotz grundsätzlicher Sympathie ein Rätsel, selbst wenn ich das Ohrwurmpotential neuerer Werke anerkennen kann und einzelne Lichtblicke stets vorhanden sind/waren. Im konkreten Fall fehlt mir der rote Faden - ein Konzeptalbum, das keinem musikalischen Konzept folgt und textlich teilweise gut, teilweise leider schwer zu ertragen ist. Die Floskel von gemischten Gefühlen trifft es wohl ganz gut. Für den Live-Kontext sind einige Ergänzungen dabei, welche die immer beeindruckenderen Shows (Rockharz 2023!) sicher noch weiter aufwerten werden.
Marco Kampe
Der vormalige Fokus auf verzerrte E-Gitarren ist bei Marco einem übergeordneten Interesse an der Musikwelt gewichen. Die Wurzeln bleiben bestehen, die Sprossen wachsen in (fast) sämtliche Richtungen. Darüber hinaus bedient er gerne die Herdplatten oder schnürt sich die Laufschuhe.