Schmutzki und "Rausch Against The Machine": Zwischen Rausch und Realität
18.02.2025 | Frank Diedrichs

Es ist gerade mal ein halbes Jahr her, dass Schmutzki mit „Bodensee Calling“ ihr letztes Album veröffentlichten. Es mag dem Rausch des Songwritings geschuldet sein, der im neuen Album in jedem Track deutlich wird, dass „Rausch Against The Machine“ so kurze Zeit später nachfolgt. Spielte der vorherige Albumtitel auf die Herkunft der Band aus Konstanz an, so verweist der letzte Song des neuen Albums „Schmutzgart“ sowie die Bahnsteigansage in „Unsere City“ auf ihre jetzige Heimatstadt Stuttgart. Das dies nicht immer eine positive Sicht ist, wird im Laufe des Albums deutlich.
Das Album hat thematisch durchaus einen roten Faden, der bei der intensiveren Auseinandersetzung mit den Lyrics deutlich wird: Freundschaft, das Verlieren im Rausch, die Metaphern der Reise oder der Straße spielen eine gewichtige Rolle. Dabei pendeln die Tracks zwischen dem nostalgischen Blick auf Früher und dem Leben im Hier und Jetzt.

Der Opener „Einer dieser Nächte“ schlägt in die Vergangenheit aus und stellt mit „Weißt du noch?“ gleich die Frage, an der sich die Geister scheiden. Weist für die einen diese Frage auf eine Verklärung des Gewesenen hin bedeutet für Schmutzki diese Frage etwas Existentielles, denn diese Nächte bedeuteten Rausch, bedeuteten überbordende Lebensfreude und Liebe, bevor die Realität das Licht anknipst und sagt: Hey, werd' erwachsen! Mit dem Schritt in die Realität ist somit auch immer eine Angst verbunden, dass durch das Grelle des Lichtes alles Unbekümmerte und Rauschhafte verschwindet. Erwachsensein bedeutet auch immer das Ende der Adoleszenz. Schmutzki sind sich aber durchaus bewusst, dass dieser Schritt hinein ins Erwachsensein auch nichts anderes ist als eine Reise. In „Auf’m Weg“ ist damit auch die Hoffnung verbunden, wieder zurückzukehren. Aber auch die Akzeptanz dieser Reise wird deutlich. Beide Songs eröffnen das Album sehr tanzbar und mit hymnischen Refrains. „Magic“ schließt sich dem an, droht aber zu Beginn in eine Party-Mitsing-Orgie zu entgleiten, bevor er poppunkig wird. Aber so ist es wahrscheinlich, wenn der Rausch unkontrolliert über Musiker herfällt, die in Euphorie ihre Freundschaft besingen. Denn darum geht es: Freundschaft als Magie zu empfinden.
Diesen Rausch steigern Schmutzki in „Nichtsdestotrotz“ noch und beziehen zum ersten Mal auf diesem Album eine eindeutige Position gegen die „Düsternis der Spacko-Utopie“. Die drei Musiker sind sich der scheinbaren Hilflosigkeit durchaus bewusst, „denn wir sind nichts“, geben aber nicht auf und sind„nichtsdestotrotz, trotziger denn je“. Beim Hören kam sofort KMPFSPRT in den Sinn. Deren Song „Schade, dass die Welt mich nicht versteht“ bildet vielleicht keinen Gegenentwurf, ähnelt aber gerade dem Refrain des Schlussteils dieses Schmutzki-Songs. Ach, was wäre das für eine starke Split-Single geworden. Ob Schmutzki mit „Tanze Nacht“ das Genre Dance-Punk erfunden haben, lässt sich nicht belegen, aber durch Beats der Bassgitarre im Intro und die punkigen Synthesizerklänge im Mittelteil, sind sie auf jeden Fall Pioniere. Eine Ode an durchtanzte Nächte und Clubs ist auf jeden Fall entstanden, die „Mama Schmutzki“ komponiert hat.
Dass das eigene Handeln immer „Konsiquenzen“ nach sich zieht, dürfte allen Menschen zwar nicht immer bewusst, aber durchaus bekannt sein. Wenn die Band nun davon erzählt, Konsequenzen zu ignorieren, geschieht dies nicht aus Verantwortungslosigkeit. Die Musik ist nicht aggressiv, will nicht zerstören, höchstens den eigenen Status Quo. Vielmehr geht es darum, etwas zu wagen, es geht um das eigene Aufblühen. Dieses Ignorieren von Konsequenzen dürfte auch durchaus in „Unsere City“ eine Rolle spielen. Schmutzki verfallen in Jugendsprech, katapultieren sich somit in die eigene junge Zeit in Stuttgart. Freundschaft und Zusammenhalt, durch die universalen Worte „freaks“, „united“, „bros“, ausgedrückt, stehen im Zentrum dieses Songs, der zugleich Stuttgart als den Ort der wilden Zeit hervorhebt. Waren dies die Zeiten, in denen vieles außer Kontrolle geriet, Vorsätze weggeworfen wurden? Die Lyrics des Tracks „Driften“ lassen diesen Schluss durchaus zu. Ziellosigkeit, Grenzgänger sein oder auf Abgründe zu rasen. Durchaus Aspekte, die beim Driften im Auto eine Rolle spielen. Aber Schmutzki formulieren dann auch eine Botschaft: Mensch sollte in der Lage sein, rechtzeitig das Steuer herumzureißen.
Bereits nach dem ersten Hören stellt mensch sich die Frage, wie die Lyrics von „Weck mich nicht“ geklungen hätten, wenn der Track von Ton Steine Scherben komponiert worden wäre. Je nach Standpunkt ist hier ein Anti-Arbeit-Song oder eine Ode an das Wochenende entstanden. Gerade die Zeilen „wer saufen kann, der kann auch arbeiten, aber ich muss saufen, weil ich arbeite“ stellen doch alles an Sinnhaftigkeit unseres Lebens in Frage. Und letztlich dient das Wochenende dem Rausch des Suffes und der Liebe.
Bereits Generationen vor Schmutzki haben den Begriff „Mannomann“ als Ausdruck der Verwunderung, Bewunderung und auch des Unverständnisses verwendet. Hier wird er den Abstürzen eines Freundes, der Angst vor Verlust aber auch mit Bewunderung der Freundschaft und dem Aufstehen entgegengebracht: „Aber Hauptsache ist, dass du niemals vergisst, dass die Welt ohne dich ein Drecksloch ist.“

In „Lernen zu verlernen“ gehen Schmutzki konkret darauf ein, gegen welche Maschinen wir uns in den Rausch begeben sollen. Die Aussage des Tracks ist auf den ersten Blick sehr ungewöhnlich, da mensch in der Regel Angst hat, etwas zu verlernen. Die Band sieht in den Sozialen Medien und dem inhumanen Umgang miteinander und den Algorithmen, die sich dahinter verbergen, einen starken negativen Effekt auf das Leben, der verhindert, dass mensch im Rausch genau dieses Leben ohne Druck genießen kann. „Mein Leben rauscht“ könnte durchaus den Zustand beschreiben, in dem sich mensch nach der Trennung von der Maschine befindet. Das Motiv der Reise, der Autobahn und des Rasens tritt erneut hervor. Auf der Autobahn rast der Großteil der Menschen nun an einem vorbei, weit entfernt von jeglicher Wahrnehmung der anderen, auf Tempo bedacht. Sich Lösen von der Maschine bedeutet nun aber, sich bewusst zu sein, dass mensch rastet und auf die Menschen wartet, die sich genauso von der Maschine gelöst haben.
Das ambivalente Verhältnis zu Stuttgart wird im abschließenden Track „Schmutzgart“ deutlich. Da stehen auf der einen Seite all die großen Themen, die immer mehr Städte betreffen: Gentrifizierung, Kapitalismus, unbezahlbare Mieten oder das Clubsterben. Dem Gegenüber singen Schmutzki ganz klar, „das ist meine Stadt“. Und hält mensch doch zu seinen Heimatstädten, auch wenn sie öde wie ein Mond werden.
Nach 35 Minuten endet ein Album, dass den Appell an die Hörenden richtet, den Rausch in der Zwischenmenschlichkeit, in der Freundschaft zu suchen. Nur durch die Befreiung aus den Maschinen, die uns gefangen halten – Arbeit, der gesellschaftliche Status Quo, Soziale Medien oder auch Populisten –, katapultiert sich unser Leben wieder in die Rauschhaftigkeit, die wir vermissen und wieder erleben wollen.
Den Rausch, der in den Texten gesucht und gefordert wird, spiegelt sich auch in der Musik wider. Auch wenn Elemente aus Pop Punk und Dance vorhanden sind, besticht der Sound durch seine Rotzigkeit, zu der die Band in den Songs immer wieder zurückfindet. Die Drums knallen pochend aus den Boxen, die leicht verzerrten Gitarren spielen mitreißende Riffs und der Bass hält die beiden anderen zusammen. Das Einbauen von Singalong-Refrains wird live die Konzertbesucher in einen hymnischen Rausch katapultieren, besonders weil sich viele Menschen mit den Texten identifizieren können. Puh, das werden be-rauschende Punk-Partys.
Und zuletzt: Wer sich noch an die krampfhaften Versuche erinnern kann, mit der Software Paint und der Maus einen Text zu schreiben, wird sich im Cover sofort wieder erkennen. Stellt sich die Frage, in welchem rauschhaften Zustand ist der Band dies geglückt?
Wertung
Schmutzki bleiben auch mit ihrem neuen Album ihrem Punk treu. Die Songs machen Spaß, haben textlich mich durchaus auch biografisch gepackt und zelebrieren den Rausch als Befreiung von den Maschinen, an die wir unser Leben gefesselt haben, und den Rausch als Eintauchen in die Zwischenmenschlichkeit. Ich freue mich darauf, Schmutzki irgendwann einmal live zu erleben. Dafür sind die Songs gemacht, das hört mensch sogar auf dem Album.

Frank Diedrichs
Frank lebt seit über zwanzig Jahren in der Mitte Niedersachsens und unterrichtet Kinder und Jugendliche an einer Oberschule. Nach seiner musikalischen Erstprägung durch die Toten Hosen und Abstürzenden Brieftauben erweiterte er seine Hörgewohnheiten: Folkpunk, Singer-/Songwriter, Blues, Deutschpunk, US-/UK-Punk. Dabei kommt von Johnny Cash über The Beatles und Pascow bis hin zu Marvin Gaye eine Menge Vielfalt aus den Boxen, am liebsten als Vinyl.