Warpaint und „Radiate Like This“: So fern und doch ganz nah
03.05.2022 | Steffen Schindler
Während die ersten Sessions zum Album 2019 noch herkömmlich in Person und in Studios in Joshua Tree und Los Angeles stattfanden, beschlossen Warpaint im Jahr darauf und angesichts der Corona-Pandemie „Radiate Like This“ noch etwas Zeit und Feinschliff zu geben. Sie arbeiteten ihren Home-Studios in verschiedenen Ecken der USA sowie, im Falle von Schlagzeugerin Stella Mozgawa in Australien, weiter an den Songs. Jede der Musikerin fügte ihre Spuren den Songs hinzu und schickte sie weiter an den die nächste.
Aus dieser Arbeitsweise erklärt sich auch der Klang des Albums. Warpaint waren schon immer sehr gut darin, in ihren Songs aus dem mehrstimmigem Gesang und den reverbgetränken Gitarren von Theresa Wayman und Emily Kokal dichte Strukturen weben und trotz allem einen gewissen Groove zu bewahren. All diese Elemente finden sich auch hier wieder, nur scheinen sie in der Zeit seit dem letzten Album „Heads Up“ (2016) noch verfeinert worden zu sein.
Es stapeln sich die Spuren, im Hintergrund passieren immer neue Dinge, die man beim ersten Durchhören vielleicht gar nicht realisiert. Effektvoll greifen auf Songs wie „Hard To Tell You“ und „Like Sweetness“ Gesangsharmonien, Synthieflächen und Gitarrenwände ineinander und verstärken sich um dann doch nie im zu erwartenden Crescendo aufzugehen. So lassen einen „Trouble“ oder „Proof“ etwas unbefriedigt zurück, aber man möchte sie gleich nochmal hören – vielleicht auch in der Hoffnung, dass es diesmal anders ausgeht.
Der intime Klang spiegelt die Themen der Texte wider: Es geht viel um Spiritualität, Wachstum und ein Gefühl von Ganzheitlichkeit. Der von Jenny Lee Lindberghs Bass geprägte Opener „Champion“ ist dafür exemplarisch: „We’re all the same sun/ We’re all our own sun, too“ heißt es da. Die Wichtigkeit dieser Themen lässt sich vielleicht auch mit der Entstehungsgeschichte des Albums erklären. Einen Kommentar dazu liefert „Melting“: „The only way out from this cold unknowing/ Is to radiate like this“.
Neben Ganzheitlichkeit spielt auch Zweisamkeit eine große Rolle. „Hips“ und „Stevie“ sind, im Unterton zweideutige, Aufforderungen zum Tanz. Die Aufforderung „Send Nudes“ ist hingegen ganz und gar unzweideutig. Dieser akustische, zurückgenommene Closer beschäftigt sich mit dem Wunsch nach und der Simulation von Zweisamkeit angesichts einer räumlichen Trennung, um schließlich eine Einladung zum Nudelessen auszusprechen.
Wertung
„Radiate Like This“ strahlt eine Wärme und Intimität aus, die man einem Album, das über eine so große Entfernung produziert wurde, kaum zugetraut hätte. Es lohnt sich, das Album mit Kopfhörern zu genießen – zumindest dann, wenn man alleine ist.
Steffen Schindler
Steffen dankt Nirvana dafür, dass sie die Jugend auf dem Dorf erträglich gemacht haben. Seitdem ist er dem Klang der elektrischen Gitarre verfallen. Mittlerweile studiert er in Berlin Geschichte und Kulturwissenschaft.