We Are The City – „At Night“: Abwegiges Meisterwerk
04.10.2018 | Erik Swiatloch
Das absolute Meisterwerk „Apocalypse, Now“ von Francis Ford Coppola beginnt mit den Worten „This is the End“, gesungen von Jim Morrison. Das neue Album „At Night“ von We Are The City beginnt mit den Worten „This is the beginning of a long goodbye“, gesungen von Emily Millard. Wer die Band kennt, der könnte vermuten, dass er jetzt ebenso ein Meisterwerk erwarten kann. Ähnlich wie ihr voriges Album. Oder das Album davor. Oder das davor. Oder ihr Debütalbum. Aber so einfach ist das nicht.
„At Night“ ist weniger ein Album als eine zusammengewürfelte Soundcollage der unterschiedlichsten und diversesten Klänge – das Ergebnis einer zweiwöchigen Recording-Session der drei kanadischen Jungs aus Vancouver. Die elf Tracks, von denen die meisten eine Laufzeit von drei Minuten nicht überschreiten, klingen wie einzelne Kurzgeschichten, die einen unbefriedigt zurücklassen. Das ist auf der einen Seite sehr erfrischend zwischen dem ganzen Einheitsbrei vieler anderer Releases der letzten Zeit, dennoch fragt man sich, was We Are The City damit genau erreichen wollen.
Es gibt mit beispielsweise „When I Dream, I Dream Of You“ allerdings auch fertig klingende Tracks, in denen man die Genialität des Trios sprichwörtlich um die Ohren geklatscht bekommt - frischer Sound, unerwartete Rhythmen, die selbst Jazzmusiker ins Schwitzen bringen und einfallsreich gespielte Synthesizer. Jeder Knopf des Effektgerätes scheint mindestens einmal angefasst worden zu sein.
Das Album ist die erste Veröffentlichung zweier kurz hintereinander erscheinender Alben, die gegensätzlich konzipiert wurden. „At Night“ gräbt mit dem Rechen, der Spitzhacke und dem Spaten die musikalische Spielwiese komplett um, hinterlässt fruchtbaren Boden und pflanzt mit dem bald folgenden Album hoffentlich die schönsten Blumen auf ebendiesem. Die Gesamtlänge des Albums beträgt nicht mal eine halbe Stunde. Aber We Are The City waren immer schon unvergleichlich und werden und wollen es auch bleiben. Mit dem neuen Album um so mehr.
Wertung
Die neue Platte ist wie ein Ensemble kleiner Trips, nach denen experimentierfreudige Musikliebhaber sicher mehr wollen und konservative Musikhörer eher die Finger davon lassen.
Erik Swiatloch
Erik kommt aus dem nebelverschleierten Thüringer Wald. Das erklärt wohl auch seine Vorliebe für melancholische und bedrückende Klänge. Als Filmkomponist, Musiker und Tonstudiobetreiber hat er in seinem kompletten Alltag mit nichts anderem als Musik zu tun.