Unter dem Radar #2: Lyschko
02.05.2018 | Julius Krämer
Gründung: 2011
Heimatstadt: Solingen
Genre: Post-Punk, New Wave
Bisher veröffentlicht (als „Cuckoo“): „Demo“ (2013), „Gebt uns was ihr wollt EP“ (2015), „Cloud Cuckoo Land“ (2016), „Loudnesswar“ (2017)
Für Fans von: Die Nerven, The Cure, Love A
„Cuckoo haben jetzt ihren Namen geändert. Voll krass, die heißen doch schon voll lange so! Die heißen jetzt Lyschko.“ Mit einem charmanten kleinen Kurzfilm erklärte die fünfköpfige Band ihrer Anhängerschaft so ihren noch sehr jungen Namenswechsel. Denn obwohl schon 2011 in Solingen gegründet, stehen die Zeichen momentan auf Neuanfang. Über die Jahre ist der Name „Cuckoo“ zu einem festen Bestandteil der kleinen, aber feinen lokalen Musikszene des Bergischen Landes geworden. Seit 2016 bestehen sie in der jetzigen Formation, zu einer Reihe gewonnener Bandcontests und Kulturpreise gesellte sich in besagtem Jahr der Jugend.Kultur.Preis.NRW „Snake Award“ als engagiertester und bester Live-Act und 2017 das Treffen junge Musikszene der Berliner Festspiele. Die Arbeiten am neuen, dritten Album (das erste unter dem neuen Namen) sind in vollem Gange, und man hat das Gefühl, es könnte für Lyschko das Entscheidendste bisher sein.
„So viele Kämpfe in mir/Ich hab sie alle verloren.“
Sich selbst bezeichnen Lina (voc, git), Lukas (git), Kira (git), Jonah (bass) und Felix (dr) als „Teil der Jugend ohne Plan und Talent“ und haben mit Ersterem sogar recht: „Wir sind eben die Generation Y: keiner weiß irgendwas, keiner macht irgendwas. Alle sind unzufrieden, vor allem mit sich selbst, aber man kriegt auch nichts geschissen“, resümiert Sängerin Lina. Bei ihren Live-Shows, die geprägt sind von dunkler, introvertierter Atmosphäre, kann von fehlendem Talent kann aber keine Rede sein: Lychkos Musik ist schließlich ein widerspenstiger Rundumschlag aus noisigen Gitarren, punkigen Riffs, die an sich schon mit der Welt abgeschlossen haben und bedeutungsschwangeren Zeilen am Rande der Verzweiflung, geprägt von einer tiefen Erschöpfung angesichts jeden Missstandes, den man sowieso nicht ändern kann. Verarbeitung ist das Stichwort. Feminismus und Veganismus sind in ihrer Relevanz für die Band ungebrochen, aber kann man denn überhaupt wirklich Gutes tun? Lina ist schon seit längerem desillusioniert: „Du kannst machen was du willst – es interessiert eh keinen. Dann machen es halt alle anderen nicht. Dann stellt Deutschland die AKWs ab und alle feiern, aber ich denk mir: Ja, aber die die anderen schaffen sich sogar noch Atomwaffen an. Es ist völlig egal.“
Derart fertig zu sein mit einer Menschheit, der nichts mehr heilig ist, kanalisierte sich bereits in der jüngsten deutschen Post-Punk-Bewegung um Die Nerven oder Love A. Diese prangern schließlich weniger Ungerechtigkeit an, als unbequem und eckig zu versuchen, überhaupt in dieser Welt zurechtzukommen. Lyschko klingen ähnlich roh und abgebrüht, haben die Phase des politischen Anklagens ebenfalls bereits hinter sich, wie Gitarrist Lukas beschreibt: „Früher haben wir viel auf Demos gespielt und waren in diesem Antifa-Umfeld. Wir würden schon immer noch sagen, dass wir linkspolitisch sind, aber…“ Bassist Jonah ergänzt: „Nicht so Parolen-schreiend und Powerchords-schrammelnd, sondern eher kryptischer.“ Der Versuch, etwas verändern zu wollen, ist für Lina zu naiv: „Früher haben wir uns auf Demos gestellt und gesungen: ‚Ihr seid scheiße, wenn ihr Fleisch esst, ihr verkorkst eure Kinder, wenn ihr denen einen Fernseher hinstellt.‘“ Tatsächlich klingt ihre Musik mittlerweile mehr nach Resignation als nach Aufbruch: „Das ist eben das Ding mit dem Erwachsenwerden – man ist abgeklärter geworden. Ich muss ganz ehrlich sagen: Mit 16 habe ich noch gedacht, es ist irgendwas zu retten. Da habe ich noch gedacht, ich werde Veganerin und ich bin bei Greenpeace und das bringt es dann. Mittlerweile kann ich nur versuchen, es so wenig wie möglich scheiße zu machen.“
„Also leb damit oder lass es bleiben/240.000 Mal.“
Bei einer derart gnadenlosen Offenlegung der eigenen Machtlosigkeit in der kapitalistischen Ausbeutungsmaschinerie liegt unweigerlich die treffende Feststellung des Wuppertaler Rappers Prezident nahe: „Sie nenn' mich desillusioniert, es klingt, wie als Kritik gemeint/Als sei es nicht was Positives, desillusioniert zu sein.“ Verzweifelt man nicht am Aufgeben aller jugendlichen Träume, die Welt zu verbessern? „Ich will einfach für mich die Genugtuung haben: Ich bin nicht diejenige, die Schuld daran ist, dass andere weniger haben. Jeden Tag ein kleines Stückchen besser? Nee! Jeden Tag eine gute Tat? Nein, du kannst keine gute Tat vollbringen. Es gibt nur null und abwärts.“, so Lina, und meint damit insbesondere eine umweltbewusste, vegane Lebensweise. „Das ist es ja: Du kannst nichts richtig machen. Du kannst nur versuchen, es möglichst wenig scheiße zu machen. Du kannst dir so viel Mühe geben, wie du willst, egal in welchem Punkt – und es ist völlig egal, weil alle im Überfluss leben und eigentlich jeder nur auf sich selbst fokussiert ist. Und man selber ja auch.“ Lukas bringt die Problematik anschließend grimmig auf den Punkt: „Man muss halt damit klarkommen, dass man in der Apokalypse lebt.“ Das Gefühl der Orientierungslosigkeit und des Nicht-Dazugehörens durchdringt ihre Musik dabei zu jeder Sekunde – selbst in ihrer eigenen Szene: „Wir gehören nicht zu den Säufer-Punks, die sagen ‚Wir geben euch auf die Mütze, weil ihr Nazis seid‘, aber wir sind auch keine Hippies, die meinen ‚Es ist alles zu retten und wir lieben alle und tanzen im Regen und dann ist alles gut.‘ Wir haben Freunde in beide Richtungen, aber wir waren immer wir.“
„Einfach hoffen und nichts tun.“
Lyschkos Musik ist nicht leicht zu durchdringen, was weniger an ausufernder Progressivität als an ihren langen Spannungsbögen, niederschmetternden Zeilen und einer allgegenwärtigen Verzweiflung liegt. Lässt man sich jedoch darauf ein, ziehen einen die rohe Ästhetik eines Max Rieger, Heisskalt-Sprechgesang und die Klangverliebtheit von The Cure in einen Strudel aus unterdrückten Emotionen, die nach Jahren der Verdrängung nicht anders können, als zu explodieren. Gerade Robert Smith und seine New-Wave-Pioniere üben auf alle Bandmitglieder eine magische Faszination aus, wie Lina beschreibt: „Wie die ewig lange einen Song aufbauen: Ein Riff, und dann kommt ein anderer Effekt dazu, und dann kommt nur so ein Geräusch. Wie das so ganz langsam aufgebaut wird, bis der überhaupt mal anfängt zu singen. Dadurch haben wir beim Songwriting gesagt: ‚Nee, wir lassen uns noch mehr Zeit, bis der Song weitergeht.‘“. Nach ihren beiden früheren, englischsprachigen und von politischen Parolen durchsetzten Alben sind Lyschko nun im wahrsten Sinne des Wortes Post-Punk und warten, einmal unter die Oberfläche geguckt, mit Songs von unheimlicher kathartischer Qualität auf. Seit dem Einstieg von Lead-Gitarrist Lukas vor etwa anderthalb Jahren veränderte sich der Sound mehr zu einem noisigen New-Wave-Charakter, die Texte von Frontfrau Lina richteten den Blick nach Jahren der Wut wieder enttäuscht nach innen. Hin und wieder ertönt ein Aufschrei, angenehm unperfekt dominiert aber grimmige Resignation. Man hat auch ohne das Verfolgen der langjährigen Bandgeschichte das Gefühl, Lyschko hätten musikalisch zu sich gefunden.
Zu ihrer Heimatstadt Solingen hat die Band ein, gelinde gesagt, ambivalentes Verhältnis, wie Jonah es beschreibt: „Eigentlich haten wir Solingen. Das ist schon eine echt hässliche Stadt mit echt vielen Idioten.“ Aber was macht man eben in einer Stadt, mit der man nichts anfangen kann? Man tut sich mit allen künstlerisch aktiven Leuten zusammen und engagiert sich beim „Waldmeister e.V.“ – dem Zentrum in Solingen für kleine Konzerte, alternative Kultur und der Lichtblick für alle, denen das jährliche Stadtfest zu wenig ist: „Wenn Solingen nur das Waldmeister wäre, dann wäre es eine ziemlich geile Stadt“ schwärmt Lukas. Lina fügt hinzu: „Das ist ja der Vorteil, wenn man in so einer Scheißstadt wohnt, dass sich da so eine Subkultur aufbauen kann. Im Waldmeister haben wir eben die besten Freunde, geile kreative abgedrehte Leute mit so vielen Ideen, die sich untereinander so geil supporten. Du willst eine Party? Dann mach die Party eben selbst!“ Eine kleine künstlerische Blase im Meer aus Normalität.
„Ich hab seit Tagen nichts gegessen/Nur gebrochen.“
Wegziehen wollen Lyschko trotzdem nicht. „Das ist schon so etwas wie eine Familie“, sind sich alle einig – kein Wunder, wenn man mit neuem Manager und allerlei befreundeten Künstlern jeden Tag im Waldmeister oder ihrem Proberaum Zeit verbringt. Das kommende Album ist bereits fertig aufgenommen und wartet nur darauf, fertig produziert zu werden. Im Herbst soll dann die erste Deutschland-Tour anstehen – zusammen mit der Reife der Band wuchs auch ihre Anhängerschaft. Die schöne Ironie an ihrer Musik, sei sie noch so geprägt von Nihilismus und Erschöpfung, ist eben, dass Lyschko ihre Dämonen zusammen mit denen ihrer Zuhörerenden herausschreien – und damit vielleicht mehr bewegen, als sie sich selber eingestehen.
Julius Krämer
Julius stammt aus dem hoffnungslos unterschätzten Wuppertal und studiert momentan Musikpädagogik und Politikwissenschaft in Münster. Neben seiner Tätigkeit als Gitarrist in verschiedenen Bands begeistert ihn alles von Prog über Alternative bis Hardcore, er unternimmt aber auch gerne Ausfüge in HipHop, Jazz oder elektronische Musik und mag dabei besonders die Verarbeitung übergeordneter Gedankengänge oder des Zeitgeschehens in der Musik.