Unter dem Radar #4: Galaxy Space Man
04.07.2018 | Jakob Uhlig
Gründung: 2010
Heimatstadt: Hamburg
Genre: Progressive Rock, Art Rock
Bisher veröffentlicht: „…But Heaven Is Clear“ (2013), „Unravel“ (2018)
Für Fans von: Agent Fresco, Steven Wilson, Dream Theater
Wer Musik atmet, der muss dafür kämpfen - eine Lehre, die Galaxy Space Man nach den letzten fünf Jahren ihrer Bandgeschichte gut nachvollziehen können. So lange hat es gedauert, bis die Hamburger den Nachfolger zu ihrem Debüt „…But Heaven Is Clear“ endlich veröffentlichen konnten. Der Grund für diese lange Wartezeit ist durch einen zermürbenden Schaffungsprozess bedingt, an dem die Band beinahe zerbrochen wäre. Und doch ist „Unravel“ in 2018 endlich erschienen – und klingt gerade wegen seiner Geschichte umso mehr wie eine Kampfansage an all die Widrigkeiten des Lebens.
Selbstverständlich liegt gerade bei einer Band wie Galaxy Space Man die Langwierigkeit einer solchen Platten-Konzeption irgendwo auch in der Natur der Sache. Die vier Hamburger schreiben vertrackte Prog-Musik, die weit mehr als einmal den entscheidenden Haken macht und dadurch viel Konzentration und Aufmerksamkeit erfordert. Im Fall des Quartetts nimmt diese minutiöse Gestaltungsweise aber ungeahnte Dimensionen an: „Allein über den Albumtitel haben wir mindestens 15 Stunden lang diskutiert“, kommentiert Drummer Sven Sieg das Dilemma. „Wir haben uns mehrmals getroffen und verschiedene Verfahren entwickelt, mit denen wir zu einer Entscheidung kommen wollten. Dazwischen gab es dann auch immer wieder so Ideen, die eigentlich gar nicht gingen. Trotzdem war man oft kurz davor, sie doch zu verwenden – einfach nur, weil man keine Lust mehr auf das ganze Drama hatte. Jetzt stell dir das Ganze mal mit einer Tracklist oder Songtexten vor.“
Dabei könnte alles so viel einfacher sein: Bereits 2016 gehen Galaxy Space Man ins Studio und nehmen ihre Songs auf. Im Prinzip ist das Album fertig. Trotzdem dauert es geschlagene zwei Jahre, bis „Unravel“ endlich erscheint. Der Grund dafür ist vor allem in den Nachbeben der Kreation zu suchen. Galaxy Space Man sind von den Schwierigkeiten der letzten Jahre so geschafft, dass sie sich gegenseitig entfremden. „Nach der Albumproduktion entstand für uns eine ungewollte Phase des Leerlaufs“, erzählt Sänger Mattia Zander. „Unsere Freundschaften sind dabei auseinandergedriftet. Da gab es durchaus Momente, in denen wir uns gefragt haben, was wir hier überhaupt tun. Wollen wir noch Musik zusammen machen? Über die Monate haben wir uns dann aber langsam wieder zusammengerauft. Wir sind dann endlich mal wieder ein Bier zusammen trinken gewesen. Einfach, um wieder den Bezug zueinander zu finden und zu verstehen, warum wir das Ganze überhaupt angefangen haben.“
So konnte „Unravel“ nun doch erscheinen – und das nicht ohne entsprechend großen Druck. „Bis zu einem gewissen Punkt entwickelt sich definitiv eine große Erwartungshaltung. Jetzt gerade ist all dieser Stress von uns abgefallen, aber davor hat sich schon enorm viel angestaut, das war sehr belastend. Gerade in einer Band von unserer Größenordnung können wir nicht einfach mal eben alles hinschmeißen und uns für ein halbes Jahr vollständig auf die Musik konzentrieren. Wir haben ja alle Job und Familie“, beschreibt Zander die Bürde von „Unravel“. Da passt es trotz der anachronistischen Weise dieser Argumentation natürlich, dass das zweite Album von Galaxy Space Man vor allem introvertiert mit den eigenen Gefühlen kämpft, und nicht wie noch sein Vorgänger als Konzeptwerk eine Geschichte erzählt.
Die gegenwärtige politische Situation ist prekär – und das war sie auch schon vor einigen Jahren, als die erste Keimzelle von „Unravel“ gerade am erblühen war. Die Texte der Platte behandeln den Zwiespalt zwischen den eigenen Idealen und denen, die sich in der Gesellschaft immer stärker breit machen. Eine politische Platte ist das das zweite Album von Galaxy Space Man laut Zander aber trotzdem nicht: „Wir wollten uns auf dieser Platte Themen ansprechen, die uns auch im realen Leben beschäftigen. Deswegen gibt es Songs auf der Platte, die von ertrinkenden Flüchtlingen im Mittelmeer handeln. Das ist ein Thema, über das wir nicht hinwegsehen können, aber ein politisches Album haben wir deswegen noch lange nicht geschrieben.“ Sieg ergänzt: „In erster Linie geht es um unsere persönliche Verarbeitung dieser Dinge. Für mich ist es ein wichtiger Schritt, sich nicht nur um sich selbst zu drehen, sondern auch nach draußen zu schauen. Auf eine Weise transportieren wir das auch musikalisch. Um unsere Musik verstehen zu können, muss man bereit sein, sich in gewisser Weise zu öffnen, man muss sich darauf einlassen, um gewisse Strukturen zu erkennen. Vielleicht ist das etwas weit hergeholt, aber ich sehe hier durchaus Parallelen zwischen der Anschauung auf Kunst und der auf Politik. Es reicht einfach nicht, jeden Tag nur Spiegel Online zu lesen, um zu verstehen, was da draußen passiert.“
Ganz so weit hergeholt erscheint diese These bei „Unravel“ tatsächlich nicht. Galaxy Space Man verstehen es sehr gut, ihren Songs eine Metaebene zu verleihen, die sich nicht auf den ersten Blick erschließt, im Nachgang aber sehr nachvollziehbar wird. Die erste Vorabsingle „Tempest“ spielt zum Beispiel sehr deutlich mit dramaturgischem Affektausdruck, zerstörerische Wut wird von seufzender Resignation abgelöst. Im dazugehörigen Musikvideo ist eine Person zu sehen, die sich buchstäblich von ihrem angehafteten Dreck reinwäscht. „Wir haben in diesem Song versucht, unsere introspektive Verortung in der äußeren Umwelt darzustellen. Wir wollen auf diese Weise niemanden bekehren, wir schauen vielmehr, was diese Geschehnisse mit uns selbst machen. Die Person in dem Video befindet sich im ständigen Kampf von Anstrengung und Erdrückung – so wie es eigentlich jedem geht.“
Eine Metapher, die auch die Geschichte hinter „Unravel“ treffend zusammenfasst. Dass diese Platte letztendlich doch noch erscheinen konnte, hängt schließlich auch mit dem Abwerfen von komplizierten Lastern zusammen. Ob Galaxy Space Man gegen solche Probleme nun für immer gefeit sind, wissen sie selbst nicht. Ein Restrisiko gibt es schließlich immer. Für den Augenblick ist „Unravel“ aber erstmal der Befreiungsschlag, den die Band nach so langer Zeit gebraucht hat. Der Gipfel dieser Katharsis: Galaxy Space Man spielen endlich wieder ein Konzert. Das erste seit über zwei Jahren.
Jakob Uhlig
Jakob kommt aus dem hohen Norden und studiert zur Zeit historische Musikwissenschaft. Bei Album der Woche ist er, neben seiner Tätigkeit als Schreiberling, auch für die Qualitätskontrolle zuständig. Musikalisch liebt er alles von Wiener Klassik bis Deathcore, seine musikalische Heimat wird aber immer die Rockmusik in all ihren Facetten bleiben.