Die Toten Hosen verneigen sich auf "Laune der Natur" vor ihrer eigenen Karriere
08.05.2017 | Moritz Zelkowicz
Eines vorneweg: Eine Hymne wie „Tagen wie Diese“ ist auf „Laune der Natur“ (zum Glück) nicht zu finden. Stattdessen gibt es zu Beginn richtig soliden Punk zu hören. „Urknall“ startet mit schnellem Einzählen, ein Gewitter aus Drums, Bass und Gitarren, das auch nicht aussetzt, als Campino anfängt zu singen. „Urknall“ ist eine Einladung, oder mehr ein Befehl zu einer Zeitreise in die Vergangenheit und die Zukunft. Denn genau das ist „Laune der Natur“.
Mit „Wannsee“ begibt man sich stilistisch auf etwas anderes Territorium. Eine entspannte Mischung aus einem Reggae-Rhythmus in der Strophe und einem mit Punk angehauchten Refrain. Balsam für das Ohr. Weiter geht es mit der ersten und bisher einzigen Singleauskopplung „Unter den Wolken“. Dieser Track balanciert auf dem schmalen Grat zwischen Pop und Punk, und wird in bester U2-Manier vorgetragen.
Ein Herzstück der Platte bildet „Pop & Politik“. Eine Kritik, nein, ein Schlag in die Fresse all derer, die ihre politische Meinung in Songs packen, ohne eine Meinung zu haben, geschweige denn Ahnung davon haben. Das Ganze wird mit einem Augenzwinkern kommentiert: „Haltet euch lieber raus. An Tagen wie diesen bleibt ihr besser mal zu Haus.“ Lauter wird’s in „Energie“. Ein Song geprägt von Hardrockriffs, der durch simple Textpassagen perfekt zum mitgrölen geeignet.
In „Wie viele Jahre (Hasta La Muerte)“ wird eine schnelle Reise durch die Bandgeschichte unternommen, die mit der Frage „Wie viele Jahre kann das so weitergehen?“ ihr Ende findet. Im nächsten Track „ICE nach Düsseldorf“ wird dieses Problem äußerst makaber beantwortet. Ein Lied über den Hosen-Tod, Schwarzfahrten im Sarg, und die Hosengruft am Düsseldorfer Südfriedhof.
Allerdings muss es auf diesem Album auch Platz für Pathos und Melancholie geben. 2015 verstarb der langjährige Bandmanager Jochen Hülder, 2016 folgte der ehemalige Schlagzeuger der Band Wolfgang „Wölli“ Rohde. Beiden wird auf dem Album Tribut gezollt:„Eine Handvoll Erde“ erzählt sehr direkt von dem Tag der Beerdigung Hülders: „Wir tragen dich nur ein paar Meter, die für ein ganzes Leben stehen.“ Ein Stück, das einen zu Tränen rühren kann. Um Wölli zu gedenken, ließ sich die Band etwas sehr Besonderes einfallen. Nachdem dieser die Band wegen gesundheitlichen Problemen 1999 verließ, startete er eine Solokarriere, in der er das Lied „Kein Grund zur Traurigkeit“ sang. Aus diesem Lied nahm man nun Wöllis Gesangspur, unterlegte sie mit neuen Instrumentals und ließ Campino stellenweise mitsingen. Eine wundervolle Geste zum Gedenken an einen großartigen Menschen.
„Laune der Natur“ ist die Zeitreise einer Ü50 Band, die im Hier und Jetzt angekommen ist und nicht so tut, als wäre sie in ihren Dreißigern. Die Platte bietet Platz für Selbstironie und Spaß, schafft es dabei aber, komplett ernst zu bleiben. Die Hosen können es einfach noch.
Wertung
Ich kann nur schwer beschreiben, was dieses Album in so kurzer Zeit mit mir angestellt hat. Es hat mich gefesselt, durchgekaut, ausgespuckt und hört nicht auf damit. Zum Glück! Für mich der Beweis, dass die Hosen noch immer für höchste Qualität stehen.
Wertung
„Laune der Natur“ ist kein „Ballast der Republik II“. Wer das erwartet, wird enttäuscht. Stattdessen steht den Düsseldorfern der gesunde Mix aus back to the roots und frischen Ohrwürmern großartig. Einziges Manko: Die Platte braucht den ein oder anderen Durchlauf, um vollends zu zünden.
Moritz Zelkowicz
Moritz deckt als Franke den Süden Deutschlands ab. Er versucht beständig Teil der Lügenpresse zu sein, ist aber ansonsten im Marketing tätig. Musikalisch ist er überall dabei, ob Punk, Core oder Rap, erlaubt ist, was gefällt.