Album der Woche goes Pegasus Open Air: Im Gespräch mit Esco
04.06.2019 | Jakob Uhlig
„Es ist natürlich schön, wenn man einen Job hat, der einem Spaß macht, aber wahrscheinlich haben zwei Drittel der Leute den schlichtweg nicht“, überlegt Eric Winter, während um ihn herum eine Menge Leute wuseln, die ihre Arbeit im Augenblick gegen keinen anderen Job der Welt tauschen würden. Eric ist eine Hälfte der Rostocker Indie-Rap-Band Esco. Gemeinsam mit seinem Bandkollegen Thomas Nabrich sitzt er an einer ausgebrannten Feuerstelle. Das Wetter ist dem regen Treiben in Mölln heute wohlgesonnen und das Pegasus Open Air ist in vollem Gange. Während Eric und Thomas sich Gedanken über gesellschaftliche Hamsterräder machen, schallt von der Hauptbühne des Festivals der lebensbejahende College-Rock von Flower Rush und einige Meter weiter schart ein als Vogelstrauß-Reiter kostümierter Stelzenläufer eine kleine Gruppe Kinder um sich. Die positiv motivierte Szenerie des Festivals mutet nach einem merkwürdigen Kontrapunkt für ein Gespräch über alltägliche Unzufriedenheit an, aber anderseits ist genau diese Umgebung die Pointe der Diskussion, die nach einem zumindest kurzzeitigen Ausbruch aus festgefahrenen Strukturen fragt. „Man macht seinen Master, weil man die Hoffnung hat, damit irgendetwas Tolles erreichen zu können, wird aber letztendlich nur die Marionette eines Unternehmens“, führt Eric weiter aus. „Man tut dies und jenes, macht regelmäßig Überstunden und dann ist alles gut. Als Krankenschwester hat man vielleicht die Hoffnung, Menschen zu helfen oder etwas Gutes zu tun. Letztendlich ist man auch da nur eine funktionierende Kraft, die tun und machen soll, aber sich bloß nicht zu viel Zeit für einen Patienten nehmen darf. Ich glaube, viele Menschen haben Wünsche und Träume, die von unserer Welt zerschmettert werden.“
Die Herleitung dieser Überlegungen entspringt Escos neuer Single „Lautlos schreien“, die sich sehr bildhaft mit genau diesem Gedankenfeld beschäftigt. Für den konkreten Fall der Krankenschwester heißt es da zum Beispiel: „Doch Schicht für Schicht wird aus Euphorie Nüchternheit/ Weil kein Platz für Mitgefühl und nur für schwarze Zahlen bleibt/ Denn ein Patient ist nur das wert was man an ihm verdient/ Am meisten irgendwo zwischen kerngesund und Tod.“ Diese resignierte Weltsicht wirft die Frage auf, ob Träume in unserem System überhaupt noch einen Wert haben. Sie definiert aber auch gleichzeitig den eigenen Anspruch an gute Taten und die Notwendigkeit, sich durch den Ausbruch aus definierten Grenzen selbst zu verwirklichen – ein thematisches Muster, das in den Songs von Esco ein kontinuierliches Motiv darstellt. „In unserem Song ‚Welcome To Hell‘ geht es darum, dass wir im mitteleuropäischen Raum insgesamt eigentlich ziemlich gut leben“, benennt Eric ein weiteres Beispiel für Eingeschränktheit im gesellschaftlichen Weltbild. „Wir verschließen unsere Augen vor Regionen, in denen die Umstände komplizierter sind, wir sind da einfach übersättigt. Deswegen spenden wir manchmal irgendwo einfach ein wenig Geld hin und schließen das Thema damit ab. Das ist aber eher eine Seelenreinigung für uns selbst, mit der wir gar nicht richtig helfen.“ Die Welt kann mit all ihren Missständen manchmal erschlagend wirken. Wer da stets nach Perfektion strebt, muss angesichts der Masse an herausfordernden Hürden fast notwendigerweise kapitulieren. „Man muss gar nicht nach einem Maximalbild streben, das dich dann zu einem guten Menschen macht“, meint Eric. „Es geht eher darum, etwas nicht nur einmalig zu tun, um zu sagen, dass man überhaupt etwas getan hat. Man sollte Verhältnisse kontinuierlich hinterfragen und Probleme angehen, einfach durch die Mittel, die man selbst zur Verfügung hat.“
Im Fall von Esco sind Fragen nach Idealismus und Zielfindung nicht nur inhaltliches Ausdrucksmittel ihrer Musik, sondern auch kontinuierliches Leitmotiv ihrer eigenen Entwicklung. Das Duo kennt sich noch aus der Schulzeit, obwohl Thomas einige Jahrgänge über dem von Eric ist. Im Sommer 2014 hat Eric Ideen für einige Songs, für die er einen Gitarristen braucht. Thomas spielt zu dieser Zeit in einer Alternative-Rockband, die dabei ist, getrennte Wege einzuschlagen. So geraten die beiden zueinander und arbeiten an einer neuen künstlerischen Identität. Eric interessiert sich sehr für Hip-Hop und kann diesen mit Thomas‘ Gitarren-Expertise auf ganz ungewohnte klangliche Bahnen lenken. Dass Esco ihr Projekt seit mittlerweile fünf Jahren mit Leidenschaft verfolgen, ist schon ein singuläres Anzeichen dafür, mit welcher Vehemenz das Duo seine Kunst verfolgt – und damit seinen ganz persönlichen Weg findet, seine Bestimmung in erdrückenden Systemen durchzusetzen. „Realistisch betrachtet ist es schwierig, nur von der Musik zu leben“, konstatiert Thomas. „Ich persönlich lege es auch gar nicht so sehr darauf an, aber ich schaue natürlich. Wohin möchte ich mit der Band, was sind die Ziele? Natürlich möchte man möglichst viel zocken, viele Songs schreiben, coole neue Menschen kennenlernen – das ist ja das, was die meisten Bands erstmal wollen. Aber ob ich wirklich davon leben wollen würde? Man muss sich fragen, ob es dann überhaupt noch Spaß macht.“ So wird selbst die scheinbar idealtypische Traumvorstellung eines Lebensentwurfs zu einem zweischneidigen Schwert. Das Problem der Selbstverwirklichung ist eben ein vieldimensionales – und dennoch kommt Thomas gerade über diese Hürde letztendlich zu einem versöhnlichen Abschluss: „Durch eine exakte Planbarkeit in deinem Leben hättest du einen totalen Tunnelblick. Du würdest gar nicht mehr nach links und rechts schauen – aber genau das macht das Leben ja aus.“
Jakob Uhlig
Jakob kommt aus dem hohen Norden und studiert zur Zeit historische Musikwissenschaft. Bei Album der Woche ist er, neben seiner Tätigkeit als Schreiberling, auch für die Qualitätskontrolle zuständig. Musikalisch liebt er alles von Wiener Klassik bis Deathcore, seine musikalische Heimat wird aber immer die Rockmusik in all ihren Facetten bleiben.