Interview: Drangsal & Max Rieger beim Popkultur Festival Berlin
22.10.2019 | Julius Krämer
Angesichts einer erdrückenden Welle aus Lelele-HipHop und kalkulierten Marketing-Moves mit Dieter Bohlen mag es für den gemeinen Fan der alternativen Szene so erscheinen, als ob die eigentliche Kunst mehr und mehr hinter Oberflächlichkeiten verschwindet. Das Popkultur Festival in Berlin setzt diesem Trend Jahr um Jahr ein ausgewähltes wie erfolgsversprechendes Line-Up aus aufstrebenden Acts und anerkannten Größen zusammen, wobei der Schwerpunkt ganz klar auf der Seite von Popmusik mit Kunstanspruch liegt. Gerade Indie und NDW-beeinflusster Post-Punk stehen in den letzten Jahren hoch im Kurs – die Bookings von Bands wie International Music, Karies und Jungstötter trugen diesem Trend Rechnung.
Und wo Post-Punk gespielt wird, ist Max Rieger nicht weit. Der Die-Nerven-Frontmann hat mit seiner Band nicht nur deutsche Rockmusik „wieder cool gemacht“, wie es das Magazin Das Wetter beschreibt, sondern sich einen ebenso anerkannten Ruf als Produzent erarbeitet: Die drei im Booking genannten Acts stehen auf seiner Liste, hinzu kommen Künstler*innen wie Ilgen-Nur oder Mia Morgan. Und Drangsal. Der Mann, der sich seit einigen Jahren mit seiner anmutigen Version von Deutschpop und einem erfolgreichen Podcast-Format mit Casper in die Herzen der deutschsprachigen Indie-Welt gespielt, gesungen und gesprochen hat. Die Zusammenarbeit der beiden im Drangsal-Zweitwerk "Zores" wurde von Album der Woche-Chefredakteur dennoch mit einem verschimmelten Graubrot verglichen – eine in Redaktionskreisen mittlerweile legendäre Rezension, die Drangsal selbst auf Instagram teilte. Aber dazu später mehr.
Die beiden Musiker sind 2019 zum wiederholten Male als Gäste beim Popkultur Berlin eingeladen. Max Rieger wird am folgenden Tag noch ein 6-Stunden-Set mit seinem Ambient-Projekt Jauche performen, hält aber zuerst mit Max Gruber, so der bürgerliche Name Drangsals, einen moderierten Talk über „Musik und warum sie scheiße klingt“. Vorrangig sind damit Metallica und ihre zahlreichen sound- und produktionsästhetischen Ausrutscher gemeint. Waren die beiden Szene-Größen in ihrer Anfangszeit denn eigentlich mal angesichts der vielen riesig erscheinenden Koryphäen eingeschüchtert, wie es vielleicht manchen Teilnehmer*innen des Festival-Nachwuchs-Programms ergangen ist
Drangsal: Ich hab‘ schnell dieses „Kill Your Idols“-Ding gehabt. Es ist noch nicht einmal so, dass Leute, von denen ich ganz arg krass überzeugt war und die ich unbedingt kennenlernen wollte sich als Arschlöcher rausgestellt haben. Es war eher so, dass man gemerkt hat: „Deine Kunst berührt mich zwar irgendwie – aber ich hab einfach nichts mit dir gemeinsam und wir werden keine besten Freunde, so wie ich mir das vielleicht in meinen kühnsten Träumen ausgemalt habe.“ Und dann gibt es andere. Ich hätte jetzt zum Beispiel nicht gedacht, dass ich jetzt auf First-Name-Aperol-Spritz-Trink-Basis mit Kristof Hahn [Anm. d. Redaktion: Gitarrist der Band Swans] bin. Das ist jetzt nicht die erste Person, die mir in den Sinn gekommen wäre, aber man hat sich dann ja irgendwie auch sehr natürlich kennengelernt. Weißt du, was ich meine?
Max Rieger: Absolut. Ich freue mich natürlich, aber auf der anderen Seite find ich's auch seltsam, dass die Leute zu mir kommen. Das war schon die letzten Jahre so und gerade bei Popkultur…
Drangsal: Also bei mir ist es dieses Jahr extrem.
Rieger: Und dann halt zu mir sagen „Ich hab ‚ne Band, und ich hab so Zeug gemacht, und es wär total cool wenn du’s dir mal anhörst und deine Meinung dazu sagst.“ Ich kann mich erinnern, dass ich sowas nie gemacht hab. Ich hab‘ immer mein Zeug in die Welt rausgeballert und dann halt gehofft, dass es Leuten gefällt… oder mir war’s auch scheißegal, ob es den Leuten gefällt, weil ich dachte, dass es irgendwie für mich genau das Richtige ist. Ich hör‘ mir das alles auch an und ich gebe dann auch meistens ein Feedback dazu. Aber ich habe so das Gefühl, die Leute sollen sich gar nicht so viel Sorgen machen. Die sollen einfach tun.
Ein Rat, der angesichts von dauerndem Internet-Feedback und einem beinharten Pop-Industrie wohl einfach klingt, aber vielleicht immer noch nicht selbstverständlich ist – oder nicht mehr. Sind die im Karriere-Knigge oft beschworenen Business-Talks und Connections also überbewertet?
Rieger: Also ich hab die ersten fünf Jahre meiner Karriere überhaupt keine einzige Connection gehabt, gar nichts. Und trotzdem getourt, hatte damit aber auch gar nichts am Hut. Und inzwischen ist es so, dass ich’s halt von der anderen Seite aus kennenlerne – und das ist ok. Aber ich kenne es halt nicht von mir selbst.
Drangsal: Ich wäre jetzt auch nie rumgelaufen und hätte vor fünf Jahren wem auch immer einen Sticker von meiner Band gegeben. Erstens gibt es keine Sticker von meiner Band, weil ich das schon immer schlimm fand.
Rieger: Das war jetzt der Konstantin-Gropper-Spruch, oder? [Anm. d. Redaktion: Kopf der Band Get Well Soon]
Drangsal: Nein, das ist mein Spruch!
Rieger: Nein, aber Konstantin Gropper meinte doch: „Wenn deine Band Sticker hat, dann ist deine Band scheiße.“ (lacht)
Drangsal: (ohne zu lachen) Ich hab‘ das Gefühl, dass das mein Spruch ist. Konsti hat den bestimmt mal gehört irgendwo.
Rieger: Von dir?
Drangsal: Na klar. Nein, den Spruch hab‘ ich reißerisch schon öfters mal gedroppt. Ich find‘s auch immer noch witzig. Ich hätte das nie gemacht: Flyer verteilt, „Komm‘ doch mal zu meiner Show“ und so. Es ist so eine Mischung aus Scham und zu überzeugt sein, um sich anzubiedern und Leute zu zwingen. Ich war wie Max einfach immer der Meinung: Ich mach jetzt erstmal was mir selber taugt und ich hoffe natürlich, dass irgendwann Leute drauf aufmerksam werden. Weil wenn keiner drauf aufmerksam werden soll, dann hätte ich’s auch nicht rausbringen müssen. Ich bin aber auch der Meinung, dass es gut für mich ist, und wenn es gut genug für andere ist, dann kommen die schon. Und so ist es dann auch passiert. Und ich bin überrascht, wie sehr dieses Networking so ein Thing ist – es wirkt fast für mich, als hätte jemand diesen ganzen Newcomer-Kursteilnehmern heute jemand gesagt „Ihr müsst unbedingt networken. Networking ist das Ding.“ Es haben sich heute erheblich mehr Leute vorgestellt als zum Beispiel letztes Jahr. „Hey, ich bin der und der, und das ist meine Band und ich mach so und so 'ne Mucke.“ Das ist schmeichelhaft, aber irgendwie auch weird.
Rieger: Ja.
Dem war tatsächlich so. In einem der Workshops und Vorträge, die für die Teilnehmer*innen des Nachwuchs-Programms gehalten wurden, stellte eine Talkerin die Aufgabe, fünf interessant erscheinenden und erfolgreichen Menschen auf dem Festival seine Visitenkarte zu geben oder auf den eigenen Instagram-Account hinzuweisen. Generell finden auf den Workshops eine mehr oder weniger ausgeglichene Mischung aus wirklicher Beschäftigung mit Musik, Know-How übers Musikbusiness und generellen Erfolgs-Tipps statt.
Drangsal: Dann wiederum find ich’s irgendwie nice, dass die Menschen hier den Kurs ernst nehmen und umsetzen. Und dann nicht rausgehen und denken: „Nee.“ Andererseits fände ich es auch cool, wenn man rausgeht und denkt „Nä. Scheiß drauf!“ Ich finde alles gut. Ich hab vorhin jemanden getroffen, dem ich gesagt hab „Ich glaub, ich hab dich letztes Jahr schon gesehen“. Er meinte, dass er letztes Mal schon beim Nachwuchs-Programm teilgenommen hat. Ich so „Was machst du?“, er meinte „Ich mach Techno“. Dann hab ich ihm meine Hand auf die Schulter gelegt und gesagt „Ich kann dir nicht helfen. Viel Erfolg.“ Vielleicht denkt der sich auch „Pff – was will der denn?" Was eigentlich das Beste ist, was man sich denken kann.
Rieger: Ja.
Anscheinend sind die beiden Musiker ja auch ohne Netzwerken zu dem Status gekommen, den sie gerade genießen. Wie das zustande kam?
Rieger: Wir hatten beide extremes Glück. Muss man ja auch sagen.
Drangsal: Das stimmt. Wir haben relativ unterschiedliche Arten und Weisen, wie wir dazu gekommen sind, was wir jetzt machen. Ihr habt euch das auf jeden Fall hart ertourt.
Rieger: Wir haben uns das hart ertourt. Einfach über Jahre hinweg, dass wir mit der Musik, die wir machen, in jede Scheiß-Stadt in Deutschland gehen können und mindestens 200 Leute kommen.
Drangsal: Bis man dann auch gechartet ist und Feuilleton-worthy war. Ich hatte halt von Anfang an das Glück, ein fettes Label mit Promo-Budget zu haben. Ist halt einfach Fakt. Ich wurde dadurch halt einfach gepusht. Und das soll nicht heißen, dass die Mucke scheiße ist – ich bin ja trotzdem überzeugt davon was ich mache und ich glaube, die hätten das auch nicht gefressen, wenn es nicht eine gewisse Qualität hätte. Ich hab zum Beispiel, bevor ich selbst eine Band gemacht habe, in der Promo für zwei große Labels gearbeitet: Domino Records und Mute, wo Franz Ferdinand und Depeche Mode sind. Ich habe für Blood Orange Promo gemacht, für Jon Hopkins und Austra und gesehen: Wie kommt eine Platte in ein Magazin? Und das hat mir so viel geholfen, später bei der Labelsuche, bei der Art und Weise, mich selber irgendwie zu promoten. Und dann halt: extrem viel Glück. Ich habe den Markus [Ganter, Anm. d. Red.] kennengelernt, ich hab mit meiner jetzigen Labelchefin damals Stuhl an Stuhl gearbeitet – das hat sicherlich auch viel geholfen. Ich hatte gute Leute um mich rum, die versucht haben, mir unter die Arme zu greifen. Ich hatte eine Band, die immer darauf erpicht war, die Sachen, die ich schreibe, auch umzusetzen. Aber ja – ich glaube, Glück ist schon der größte Faktor.
Rieger: Ja. Natürlich kann man seinem Glück auf die Sprünge helfen. Es gibt viele Wege, das zu tun. Ich bin mir sicher, dass Leute aus dem Nachwuchsprogramm rausgehen und es wird ihnen gar nichts gebracht haben.
Drangsal: Und von einigen wird man auch noch was hören.
Rieger: Und einige werden da Glück gehabt haben.
Drangsal: Vielleicht die richtige Person zur richtigen Zeit getroffen haben. Und dann ist es ja schon worthy, dass es passiert ist.
Hört man den beiden Musikern zu, klingt gleichzeitig eine nicht zu verachtende Kenntnis des Marktes mit, und eine Bewahrung der Ideale, wegen der sie mit Musik angefangen haben. Ist dem wirklich so? Geht es immer noch um die Musik? Erliegt man nicht früher oder später, je tiefer man in den Sumpf des Musikbusiness‘ reinrutscht, eine Desillusion ob der Mechanismen des Marktes?
Rieger (sofort): Überhaupt nicht. Es gehört halt dazu. Es gibt so ein großes Angebot an toller Musik. Ich freu mich darüber, wenn ich eine Platte finde, die etwas abwegig ist, die aber trotzdem den Weg zu mir geschafft hat, weil ich gar keine Zeit und erst Recht keine Lust mehr hab, mich durch irgendwelche Blogs zu klicken.
Drangsal: Was man früher aber gemacht hat.
Rieger: Ja, aber ich hab‘ wirklich keinen Nerv mehr dazu.
Drangsal (schüttelt mit dem Kopf): Und keine Zeit…
Rieger: Aber es gibt so viel tolle Musik! Und es ist halt so: Die Musik, die das größte Budget bekommt, die bekommt halt erst einmal die größte Aufmerksamkeit. Das hat jetzt trotzdem erstmal nicht so viel damit, zu tun, wie viel verkauft wird…
Drangsal: Ich erinnere mich an Zeiten, als ich bei Mute gearbeitet habe und wir versucht haben, eine Künstlerin zu pushen – ich lass jetzt den Namen mal raus hier – und wir haben alles reingebuttert was ging, und keiner hat es genommen. Es gibt natürlich auch Gegenbeispiele.
Rieger: So läuft halt das Geschäft. Man muss erst einmal extrem viel Geld reinstecken und dann hoffen, dass man viel Geld wieder rausbekommt.
Drangsal: Du hast ja gerade gesagt, dass es so viel tolle Musik gibt. Ich habe glaube ich heute erst zu dir den Satz gesagt: „Fuck Mann – Musik ist so geil.“
Rieger: Ja!
Drangsal: Er hat mir gestern ein Album empfohlen.
Rieger: Was auch eine fette Promo hat und international released wird: Blanck Mass.
Drangsal: Aber trotzdem geil.
Rieger: Halt ultra ab vom Schuss. Da gibt es keinen Grund, desillusioniert zu sein. Es ist halt heftige Musik und du merkst, da sind nicht nur krasse Musiker am Start, sondern auch Leute, die in der Promo an dieses weirde Stück Musik glauben. Und es ist geil.
Drangsal: Da hat es auch Leute gebraucht, die da langfristig dran geglaubt haben, und dann hast du gesehen: Auch so eine Musik kann eben charten. Und sich länger in den Charts halten als ein Album von mir. Das geht, wenn man dran glaubt und eben irgendwann die Mittel auch dazu hat, es zu positionieren. Aber it took fucking four or five records. Und ich denk dann: Desillusioniert? Hm. Manchmal ist man frustriert ob der Zyklen, die so ein Release mit sich bringt. Ob der Sachen, die man dann machen muss – ob Radio-Promo, manchmal hat man auch `nen Scheiß-Tag und denkt sich: Wofür mach ich das eigentlich? Ich glaube, solange man nicht vergisst, dass man Musik macht, weil man zueinander sagt wie geil Musik eigentlich ist und weil es einem Spaß macht, sollte man auch nicht desillusioniert werden. Ich sitze jetzt auch zu Hause und bin dabei, meine dritte Platte zu schreiben. Und ich besinne mich zurück auf das, was mir immer Spaß gemacht hat, nämlich einen geilen Song zu haben, an dem ich mich erfreue, und den ich anderen Leuten zeigen kann. Und dann sagen die: „Boah – der ist echt geil.“ Nicht mal um zu beeindrucken, sondern ein „Guck mal, dieses Stück Musik gefällt mir und macht mir Spaß. Macht es dir auch Spaß? Ja, mir macht es auch Spaß.“ That’s all it is. Und wenn du halt Promo machen musst und wenn Cents umgedreht werden müssen, dann gehört das irgendwie dazu und dann muss man sagen, dass es das notwendige Übel ist, was man eingeht. Es gibt keine Sache, die du in deinem Leben machen kannst, die nur positive Aspekte hat. Du kannst versuchen etwas zu finden, was mehr positive als negative Aspekte hat. Es ist auch ein harter Weg dahin, aber nichts ist halt immer nur geil. Aber desillusioniert würde ich es nicht nennen. Ich find‘s ganz okay.
Nach dieser versöhnlichen Ode an die Musik sind viele gute Vibes auf der nasskalten Treppe, auf der wir sitzen. Genau der perfekte Moment für mich, zu meinem letzten Schachzug auszuholen: Drangsal und Album der Woche verbindet, wie eingangs erwähnt, nämlich eine gewisse Geschichte. Im Anschluss an das Teilen des Review-Screenshots auf Instagram erhielt Jakob ein paar peinlich berührte Wut-Privatnachrichten aus der Drangsal-Fangemeinde. Ich weise auf die Geschichte hin: Stichwort „Graubrot“…
Drangsal: Ah. Funny. Ist es das gewesen? Ah ja, der Typ war das. Fand ich lustig. Aber wie gesagt, man kann nicht erwarten, dass jeder alles gut findet. Am Ende hat er dann ja doch eine nette Review geschrieben.
Ich weise abermals auf die privaten Instagram-Nachrichten in Jakobs Postfach hin.
Drangsal: Ja, zurecht, sag ich da nur. Völlig zurecht
Wir verabschieden uns mit einem Hoverhand-Selfie. Max und Drangsal machen unabgesprochen, wie auf Kommando, ominöse Gang-Zeichen. “Catch you on the flipside, homeboy” gibt mir Drangsal mit auf den Weg. Am nächsten Tag wird er sich die Show von der "Unter dem Radar"-Band Lyschko anschauen, die auf der Nachwuchs-Bühne spielen.
Julius Krämer
Julius stammt aus dem hoffnungslos unterschätzten Wuppertal und studiert momentan Musikpädagogik und Politikwissenschaft in Münster. Neben seiner Tätigkeit als Gitarrist in verschiedenen Bands begeistert ihn alles von Prog über Alternative bis Hardcore, er unternimmt aber auch gerne Ausfüge in HipHop, Jazz oder elektronische Musik und mag dabei besonders die Verarbeitung übergeordneter Gedankengänge oder des Zeitgeschehens in der Musik.