Die Nerven und "WIR WAREN HIER": und das ist auch gut so!
14.09.2024 | Dave Mante
Die Nerven stehen als Bollwerk des deutschen Post-Punks für durchdachte Texte, drückende Sounds und immer wiederkehrende abstruse Kontraste. „WIR WAREN HIER“ ist erneut genau das, ein kreatives Bollwerk der Kontraste über das Leben, die Psyche und den Kopf.
Schon der Beginn vom Opener „ALS ICH DAVON LIEF“ bereitet Hörer*innen eindrücklich auf den Rest vor. Wie eine startende Achterbahn schiebt der Bass und die restliche Lautstärke jedem in das gewählte Sitzmöbelstück. Verzogene Gitarren und ein melodischer Refrain treffen auf eine raue und melancholische Stimme, welche über die eigene Flucht vor dem Realen singt. Die nächsten Songs, die folgen, lassen sich als komplette Gegensätzlichkeit beschreiben: „DAS GLAS ZERBRICHT UND ICH GLEICH MIT“, als schneller, fast waviger Song, „GROßE TATEN“ mit leiser Strophe und schallendem Refrain und dann der Titeltrack „WIR WAREN HIER“ als wohl klassischster Die Nerven-Song, was auch immer das bedeuten mag. Mit „ACHTZEHN“ stimmt das Trio aus Stuttgart eine waschechte Ballade an, welche zurückgefahrener und trauriger kaum sein könnte, mit einem Blick in die eigene Vergangenheit. Der letzte Teil des Albums ist dann erneut sehr laut. Keine Ruhe, keine halben Sachen, geballter Post-Punk in Reinform inklusive verzogener Gitarren, pompösem Aufbau und stimmgewaltiger Lyrik. Mit „DISRUPTION“ endet das Album auf einem Höhepunkt. Ganze fünf Minuten lang bauen Die Nerven hier nach und nach einen Epos zusammen, welcher sich im letzten Teil als Grande Finale mit allen Elementen des Albums schmückt, in eine Flamme der Emotionalität aufgeht und danach in die eindrückliche, emotionsgeladene Stille entlässt, welche das Album für knapp 35 Minuten nicht zugelassen hat.
„WIR WAREN HIER“ ist erneut eine perfektionsnahe Manifestierung der absoluten Genialität von Die Nerven. Die lauten Momente machen Platz für die Ruhe, machen Platz für das Chaos, machen Platz für alles zusammen. Es ist absolut jedes Mal überraschend, dass man von Die Nerven wohl nie erwarten kann, dass sie auch nur einen Funken an Qualität einbüßen und nicht mehr mit ihrem puren Dasein überraschen und die Erwartungen mit Leichtigkeit übertreffen.
Wertung
Die Nerven tun mal wieder das, was sie am besten können, trotz der Erwartung des Grandiosen noch zu überraschen, zu überzeugen und zu übertreffen. „WIR WAREN HIER“ erreicht wieder die absolute Genialität durch das Lyrische, die Lautstärke und das dröhnend in den Sitz Drückende. Die Nerven haben ihren Platz in der Musikwelt und ich bin mir sicher, dass dieser so schnell nicht besetzt werden wird.
Dave Mante
Aufgewachsen zwischen Rosenstolz und den Beatles hört sich Dave mittlerweile durch die halbe Musikwelt, egal ob brettharter Hardcore, rotziger Deutschpunk, emotionaler Indie oder ungewöhnlicher Hip Hop, irgendwas findet sich immer in seinen Playlisten. Nebenbei studiert er Kunstgeschichte, schlägt sich die Nächte als Barkeeper um die Ohren oder verflucht Lightroom, wenn er das gerade fotografierte Konzert aufarbeitet.