Interview mit Heisskalt zum Album "Vom Wissen und Wollen"
01.07.2016 | Jakob Uhlig
Eure Entwicklung von der ersten EP zu diesem Album ist bemerkenswert, "Vom Wissen und Wollen" ist ein echtes Kunstwerk geworden. Würdet ihr sagen, dass euch die aktuelle Veröffentlichung mehr repräsentiert als es "Hallo" damals tat?
Ich glaube, "Hallo" hat uns damals sehr gut repräsentiert und “Vom Wissen und Wollen” tut das jetzt. Es wäre sehr leicht, “Hallo” jetzt in Retroperspektive als irgend eine Art von geistiger Verwirrung zu betiteln, aber definitiv falsch. Die EP hat sich für uns allerdings sehr schnell abgenutzt. Das waren unsere ersten Gehversuche mit dem Vorhaben, irgendwie dieses Post-Hardcore-Gefühl in etwas Neues umzuwandeln. Vermutlich wussten wir damals noch gar nicht so genau, dass wir das vor hatten oder was wir da genau suchen. Das hat sich verändert. Auf “Vom Wissen und Wollen” und auch auf “Vom Stehen und Fallen” sind wir schon sehr viel bewusster, sicherer und freier umgegangen mit unseren Stilmitteln. Aber Hallo ist genau so ein Teil dieser Band, wie es das jetzige Album ist und jedes weitere Album sein wird.
Mit „Vom Wissen und Wollen“ schlagt ihr einen neuen Weg ein. Glaubt ihr, dass der neue Stil eurer Platte die Fangemeinde spalten wird? Viele sind schließlich schon seit der ersten EP dabei. Wie ist das erste Feedback dazu?
Das Feedback ist überwältigend. Freunde wie Fans äußern, dass sie die Platte berührt. Das ist natürlich toll, denn da steckt wirklich jede Menge Zeit, Erleben, Nachdenken und Proberaum-Schweiß drin. Ob deswegen die Leute abhauen… puh. Irgendwie will ich mir darüber keine Gedanken machen, denn ich will nicht, dass das unser Handeln bestimmt. Weder in die eine noch in die andere Richtung. Um aber nicht nur herumzueiern: Ich würde mir wünschen, dass auch unsere Fans sich mit der Zeit verändern und vielleicht einfach unsere unterschiedlichen Platten für unterschiedliche Dinge schätzen. So halte ich das bei meinen Lieblingsbands.
Ihr alle seid studierte Musiker. Ist euer Ansatz beim Songwriting eher handwerklich und technisch als bei andere Bands? Die Ärzte zum Beispiel haben ja auch erfolgreich viele Alben veröffentlicht, ohne überhaupt Noten lesen zu können.
Das stimmt nicht ganz: Ich habe als einziger mein Musikstudium abgeschlossen. Ich bin etwas älter als der Rest der Band und daher hab ich mich rechtzeitig durch die Zwischenprüfung gehechtet, bevor das aufgrund der vielen Tourerei mit Heisskalt nicht mehr gegangen wäre - wie es bei unserem Schlagzeuger Marius und Gitarrist Philipp der Fall war. Unser Bassist Lucas ist halb Musiker und halb Grafiker. Es geht für mich nicht darum, Noten lesen zu können sondern darum, ein Vokabular zu haben. Das Problem an so einem Studium ist allerdings, dass man leicht zu einem Fachidiot erzogen wird. Und dann bringt dieses Vokabular gar nichts, wenn man nicht weiß, was man überhaupt sagen will. Wir sind aber auf jeden Fall schon Nerds und Philipp und ich produzieren auch seit Jahren selbst. Da ist es oft wichtig, die “richtig/falsch” Gedanken mal bewusst auszuschalten und sich einfach vom Instinkt leiten zu lassen. Generell scheint mir das die schlüssigste Herangehensweise: Das Denken und Üben dem Musizieren vorausgehen zu lassen. Im Moment des Musizierens selbst will ich mich einfach darauf verlassen können, dass ich schon instinktiv das richtige will. Und wenn ich das hinterher blöd finde, muss ich vielleicht einfach anfangen, andere Musik zu hören oder mich mit anderen Leuten umgeben oder andere Bücher lesen. Und aushalten.
Hat sich der Entstehungsprozess von "Vom Wissen und Wollen" anders gestaltet als bei den bisherigen Veröffentlichungen?
Nicht wesentlich, nein. Von Platte zu Platte haben wir mehr gemeinsam im Proberaum gemacht und weniger alleine zuhause am Rechner. Aber wir sind da relativ Oldschool: In einem Raum stehen und spielen, bis aus einer gemeinsamen Idee oder der Idee eines einzelnen ein Song von Heisskalt geworden ist. Die Texte schreibe ich allerdings alleine, da muss ich das Tempo voll und ganz bestimmen können.
Das Cover zum neuen Album ist ja sehr speziell geworden, Könnt ihr uns erzählen, wie es zu diesem Motiv kam? Was genau soll es für euch ausdrücken?
Unser Bassist Lucas hat das gemacht! Lucas hat uns verschiedene Vorschläge gemacht und wir sind alle direkt an diesem Jungen kleben geblieben. Dieses verwundete, irgendwie greisenhafte Kind hat uns sofort in seinen Bann gezogen. Aber wenn du dem Jungen mal lange genug in die Augen siehst wirst du dort sicherlich selbst die Antwort auf deine beiden Fragen finden können!
Jakob Uhlig
Jakob kommt aus dem hohen Norden und studiert zur Zeit historische Musikwissenschaft. Bei Album der Woche ist er, neben seiner Tätigkeit als Schreiberling, auch für die Qualitätskontrolle zuständig. Musikalisch liebt er alles von Wiener Klassik bis Deathcore, seine musikalische Heimat wird aber immer die Rockmusik in all ihren Facetten bleiben.