Interview mit Sanguine
12.12.2016 | Jakob Uhlig
Lasst uns mit der vielleicht grundlegendsten Sache beginnen, eurem Bandnamen. Da ich kein Muttersprachler in Englisch bin, musste ich nachschauen, was „Sanguine“ bedeutet, und habe zwei Bedeutungen gefunden: „Blutrot“ und „optimistisch“. Was bedeutet der Name für euch?
Die doppelte Bedeutung ist genau der Grund, aus dem wir uns für den Namen entschieden haben. „Blutrot“ macht für eine Metal-Band natürlich Sinn. „Optimismus“ stellt ein bisschen unsere freche Seite dar, denn wir uns selbst nicht zu ernst. Ich denke auch, dass es einfach eine positive Message ist.
Auch wenn wir harte Musik machen, möchten wir unseren Fans gerne Mut geben. Wenn dich das Leben immer und immer wieder fertig machen will, machen wir als Band daraus einfach einen Witz.
Als ihr die Band gestartet habt, habt ihr noch Progressive Rock gespielt. Auf eurer Facebook-Seite erwähnt ihr auch Bands wie Tool oder Pink Floyd als Einflüsse. Wie kam der Wandel zu kürzerer, härterer Musik zu Stande?
Nick war ursprünglich nicht der Gitarrist der Band, und damals war das Konzept auch noch ganz anders: Ich wollte nur singen, und unser alter Gitarrist hatte stilistisch einen deutlich progressiveren Einschlag. Während wir Musik machten merkten wir aber, dass uns das harte Zeug viel Spaß machte. Ich begann, auf manchen Tracks zu schreien. Es war ein ganz natürlicher Prozess. Man muss sich auch erst einmal selbst finden, wenn man eine Band startet. Manch einer beginnt zum Beispiel mit Punk-Musik und spielt am Ende doch etwas völlig anderes.
Während wir Shows gespielt haben, haben wir gemerkt, wie krass die Menge zu einem harten Beatdown abgeht, und wir dachten uns: „Vielleicht sollten wir einfach sowas spielen?“ Wir sind mit Bands wie Iron Maiden aufgewachsen, natürlich beeinflusst einen sowas. Von Elvis bis Cannibal Corpse sehe ich aber auch viele unserer Hörgewohnheiten in der Band vereint.
Wenn wir schon über Einflüsse reden: Ihr schreibt auch, dass eure Musik von „Leben, Kunst, Liebe, Musik und Philosophie“ inspiriert ist. Könntet ihr das etwas genauer erklären?
Die Leute fragen uns oft: „Worum geht es in diesem Song?“ Unsere Texte werden manchmal von mir und manchmal von Nick geschrieben, und entspringen aus unterschiedlichen Ebenen. Manchmal möchtest du über etwas schreiben was dich gerade persönlich beschäftigt, mal ein politisches Statement abgeben.
Als ein Mensch bist du halt nicht immer in der selben Stimmung. Wenn ich gerade sehr glücklich bin kann ich nicht einfach einen wütenden Song schreiben.
Und wenn man unsere beiden Alben anhört merkt man leicht, dass sie sich deutlich unterscheiden. Ich glaube, es würde uns einfach langweilen, immer das gleiche zu machen. Wir hören etwas oder haben eine Idee und sagen einfach: „Lass uns daraus einen Song machen!“
Ein guter Punkt: Viele Reviews zu eurer neusten Platte „Black Sheep“ erwähnen, dass eure Musik sehr variabel ist und sich kaum in eine Schublade stecken lässt. Gibt es für euch trotzdem ein Element, das alle Songs eint?
Ich denke, das ist eindeutig Tarins Gesang.
Und ich denke, deine Riffs sind es auch
Bei vielen Bands geht es um den Sound der gesamten Gruppe, ich denke aber, dass unser Aushängeschild vor allem diese einzigartige Stimme ist. Die Leute hören das und erkennen sie wieder.
Und es ist auf jeden Fall wichtig, dass unsere Musik stark auf Riffs basiert, wie in der Rockmusik der Neunziger. Wir waren nie eine technische Band, aber haben uns diesen musikalischen Einfluss zu eigen gemacht. Und ja, wahrscheinlich auch mein Gesang… diese beiden Elemente zusammen machen denke ich den Sound von Sanguine aus.
Wer ist bei euch denn für das Songwriting verantwortlich?
Das sind vor allem Nick und ich. Aber wir haben Ross [Anm.: Bassist der Band] letztes Jahr dazu geholt und er hat einiges beigesteuert. Das neue Material wird also ein eher dreigeteiltes Songwriting haben.
Wenn man das neue Zeug hört kann man definitiv sagen, dass sich etwas verändert hat. Wir möchten aber generell jedem Bandmitglied eine Plattform geben. Wir haben da auch überhaupt keine Grenzen. Manchmal schreiben wir ganze Songs alleine, mal zusammen. Und wenn jemand einen Song vorstellt, muss jeder ihn klasse finden, damit wir ihn machen. Wenn ein Bandmitglied den Song nur „OK“ findet, verläuft sich das Ganze meist im Sande. Wir wollen alle zu hundert Prozent hinter unserem Material stehen. Für „Black Sheep haben wir an die 25 Songs geschrieben und dann diejenigen übrig gelassen, die sich am besten anfühlten.
Vor vier Jahren habt ihr euer erstes Album selbst aufgenommen, eure zweite Platte ist professionell aufgenommen. Was hat sich für euch seitdem verändert?
Naja, wir haben jetzt Leute die uns Geld geben (lacht). Ernsthaft, als wir angefangen haben hatten wir absolut keinen Kontakt zu irgendwem in der Musikindustrie, Sanguine waren nur wir vier. Da stehen wir mittlerweile ganz anders da.
Wir kommen aus Südwestengland, und da gibt es keine großen Städte, nur Land so weit das Auge reicht. Es war wirklich schwer sich dort über die Jahre hinauszukämpfen, und dieser Prozess hat sehr lange gedauert. Der Unterschied zwischen den beiden Alben liegt vor allem in den Möglichkeiten, die wir durch das neue Studio hatten. Für unsere erste Platte konnten wir uns nicht einmal Mikrofonständer leisten, deshalb mussten wir immer total still stehen (lacht). Aber im Studio von Jesper Strömblad [Anm.: Ex-In Flames Gitarrist] aufzunehmen gab uns die Möglichkeit, uns voll entfalten zu können. Allein dass es drei Räume hatte, hat uns förmlich umgehauen.
Jesper hat nicht nur euer Album produziert, er hat auch zwei Songs auf „Black Sheep“ mitgeschrieben. Wie war die Zusammenarbeit mit ihm?
Ich bekam eines Tages einen Anruf von unserem Manager, der mir sagte, dass der Gitarrist von In Flames Songs mit uns schreiben wollte. Ich konnte es kaum glauben. Tarin und ich sind sofort in ein Flugzeug gestiegen und haben uns mit ihm getroffen, es war einfach der Wahnsinn.
Es war wirklich einfach, mit ihm Songs zu schreiben. Bis heute wissen wir nicht, wie genau unser erstes Album eigentlich in Jespers Hände geraten ist, aber wir sind sehr dankbar, dass es passiert ist. Deswegen ist mein Rat an jeden Musiker auch: Denkt nicht nach, tut es einfach und nehmt ein paar Songs auf, denn wie sollen die Leute sonst wissen, wer ihr eigentlich seid? Erst dann können sich auch solche Möglichkeiten ergeben.
Lasst uns über den Titel eures neuen Albums, „Black Sheep“, reden. Das „schwarze Schaf“ verbindet man mit der Metapher für einen Außenseiter, jemanden am Rande der Gesellschaft. Fühlt ihr euch so?
Irgendwie schon. Die britische Musiklandschaft unterscheidet sich stark vom restlichen Europa, wenn es um Metal-Bands mit Frontfrauen geht. Wir haben nichts gemein mit Bands wie Nightwish oder Lacuna Coil, zu uns gibt es kein Äquivalent. In der Szene wurden wir vielleicht auch deswegen mit viel Sexismus konfrontiert. Die Menschen glauben nicht, dass eine Frau so etwas kann.
Was uns da aber geholfen hat ist der unglaubliche Support von größeren Bands. Ohne die wären wir nie so weit gekommen. Wenn wir aus dieser Richtung keine Promotion bekommen hätten, würden wir wohl auch nicht die Akzeptanz erfahren, die wir mittlerweile Gott sei Dank auch spüren.
Der Name betrifft mich aber auch auf persönlicher Ebene. Ich habe mich wie immer wie ein schwarzes Schaf gefühlt, vor allem in meiner Familie. Ich war immer die, die nur schwarz getragen hat, die nicht normal war. Ich glaube, in irgendeinem Punkt im Leben fühlt sich jeder mal so.
Ich glaube, das selbe gilt auch für unsere Fans. Und an irgendeinem Punkt dachten wir uns: Warum eigentlich nicht? Dann sind wir halt das schwarze Schaf. Lass uns einfach einen Club der schwarzen Schafe gründen und stolz darauf sein!
Gab es bei der Gründung der Band ein bestimmtes Ziel, das ihr erreichen wolltet?
Ich denke, wir wollten einfach die Musik rauslassen. Musik ist wie eine Droge, wenn man es in sich trägt kann man nicht einfach damit aufhören. Ich kenne so viele Bands die Jahr für Jahr weitermachen ohne dafür auch nur einen Penny zu bekommen. Es ist die Seele der Musik, die in ihnen lebt.
Und zum Schluss die obligatorische Frage nach eurer Zukunft. Was sind eure nächsten Schritte als Band?
Wir nehmen gerade die Demos für unser nächstes Album auf, stehen in Kontakt mit verschiedenen Labels. Natürlich wollen wir auch wieder viele Shows spielen, Japan steht zum Beispiel auf unserer Liste. Generell versuchen wir Sanguine einfach von Jahr zu Jahr ein Stückchen größer zu machen.
Jakob Uhlig
Jakob kommt aus dem hohen Norden und studiert zur Zeit historische Musikwissenschaft. Bei Album der Woche ist er, neben seiner Tätigkeit als Schreiberling, auch für die Qualitätskontrolle zuständig. Musikalisch liebt er alles von Wiener Klassik bis Deathcore, seine musikalische Heimat wird aber immer die Rockmusik in all ihren Facetten bleiben.