Interview mit Shane Told von Silverstein
11.10.2017 | Johannes Kley
AdW: Wie war die Tour bisher?
Shane: Es war großartig! Richtig gut. Ich mein, jede Show ist ausverkauft und die Menschen sind richtig wild drauf. Das Motto der Tour lautet „For The Fans“, also versuchen wir ein paar Dinge zu ändern. Wir spielen Songs, die wir sonst nicht gespielt haben und ändern die Playlist von Gig zu Gig.
AdW: Klingt gut. Gibt es eigentlich einen spürbaren Unterschied zwischen deutschen und amerikanischen oder kanadischen Fans, den du bemerkt hast?
Shane: Ja! Als erstes: Die deutschen Fans interessieren sich wirklich sehr für die Musik, die Show und die Band. All das, was du so versuchst zu machen. Weißt du, die wollen eine gute Zeit haben und alles, ja. Spaß haben und so, aber deutsche Fans wollen alles analysieren, es auseinandernehmen und mit der vorherigen Show vergleichen. Die sind so: „Oh ihr habt den Song gespielt. Diese Mal habt ihr den Song gespielt.“ und sie sind so…Ich kenn das Wort dafür nicht…aber sie erleben es sehr bewusst anstatt einfach zu sagen: „Ich geh zum Konzert und hab `ne geile Zeit.“ Oder so.
AdW: Ja, wir sind da sehr „german“.
Shane: (lacht) Ja, vielleicht ist es das. Da ist auf jeden Fall ein Unterschied, aber wir mögen das Interesse, sie nehmen es sehr ernst und das tun wir ja auch. Und auch wir machen uns Gedanken über all diese Sachen.
AdW: Habt ihr, wenn ihr auf Tour seid, überhaupt Zeit euch die Städte anzugucken oder ist es eher so - rein, Gig spielen und wieder weg?
Shane: Wir haben nicht so viel Zeit. Aber da gibt es mehrere Faktoren. Erstens ist das Wetter echt schrecklich. So viel Regen jeden Tag. Echt mies. Das ist kein Wetter, bei dem du rausschaust und denkst: „Oh, ich werde mal etwas spazieren gehen und mir die Stadt angucken.“ Das ist das erste. Zweitens waren wir schon überall, wo wir jetzt spielen. Wir haben es uns angeschaut. Ich werde das öfter gefragt und wenn ich in Paris bin werde ich mir nicht zum zwölften Mal den Eiffelturm ansehen. Ich mach lieber andere Sachen. Eher so Sachen die Einwohner machen. Oder probiere bestimmtes Essen oder Kaffee. Also Sachen, die spezifisch für eine Stadt sind. Was Touristen-Sachen angeht hab ich alles gemacht oder kein Interesse mehr.
AdW: Du hast Essen erwähnt. Gibt es denn deutsches Essen, das du magst?
Shane: Speziell deutsch? Weiß ich gar nicht. Ich mein, ich mag Bretzeln und Bier. Aber immer wenn wir in Deutschland spielen, das gibt es nicht überall auf der Welt, kochen sie uns dieses echt gute Essen. Es gibt immer einen Koch der für die Bands Essen macht. In den USA bekommst du einfach 10$ und dann musst du dir was kaufen. Was zur Hölle gibt es denn schon für 10$? Also kaufst du am Ende immer ein schäbiges Kebap oder so.
AdW: Wendy‘s und so.
Shane: Oh ja, genau, oder sowas. Es ist wirklich angenehm, dieses leckere gekochte Essen jeden Tag zu bekommen. Das ist etwas, auf dass wir uns immer freuen, wenn wir herkommen. Ich hatte gerade erst dieses tolle vegane Seitansteak mit Kartoffeln und Salat, dort den Gang runter. Es war einfach ein richtig leckeres Essen und sie haben speziell für uns vegan und vegetarisch gekocht. Das ist wirklich toll.
AdW: Ok, jetzt hast du schon meine nächste Frage vorweggenommen.
Shane: Oh, sorry.
AdW: Ja, ich habe da ein altes Bild von Euch gefunden, auf dem ihr für PETA werbt und wollte eigentlich nach deinem Ernährungsstil fragen. Dann zur nächsten Frage. Was hält dich auf der Straße? Ihr macht seit 17 Jahren Musik mit Silverstein. Ist es immer noch der Traumjob oder gibt’s auch Tage, an denen du dir denkst: „Kein Bock mehr, ich kündige“, so wie in jedem anderen Beruf?
Shane: Nein, nie so schlimm. Natürlich gibt es mal bessere Tage und mal nicht. Manchmal hast du einen schlechten Tag, an dem nichts richtig läuft. Vielleicht wegen irgendwas zu Hause, was dich beschäftigt oder wenn du merkst, dass du jemanden wirklich vermisst. Die Freundin oder Familie zu vermissen oder eine Familienfeier zu verpassen ist eigentlich das, was am meisten an diesem Job nervt. Aber wir würden es nie ändern oder aufhören. Wir haben zu viel Spaß dabei. Musik machen, alles was wir machen, macht wirklich Spaß. Wir tun das schon so lange und wir haben nie aufgehört oder eine Pause eingelegt und wir genießen es einfach.
AdW: Ich habe ein Interview vom letzten Jahr mit dir gelesen, in welchem es um Trump ging. Jetzt hatten wir die Bundestagswahl und die rechte AfD hat es in den deutschen Bundestag geschafft. Merkt ihr etwas vom Rechtsruck in der Welt?
Shane: Ja, ich denke das ist echt verdammt schrecklich. Ich kann mir nicht erklären wo das herkam. Vor allem in Deutschland. Eure Geschichte ist weltweit recht bekannt und man denkt ihr hättet eher verstanden, nicht dahin zu gehen, wo es die USA hintreibt, wenn es verdammte Naziaufmärsche gibt. Das ist so verrückt. Ich habe Deutschland speziell, aber eigentlich die meisten europäischen Länder, als politisch sehr progressiv und vorwärtsdenkend empfunden. Ähnlich wie Kanada in vielen Bereichen. Jetzt sieht es so als aus als würde die USA sich rückwärts entwickeln. Und wenn das in Deutschland und in Europa passiert…ich fühl mich da unwohl. Ich dachte immer die schlechten Dinge würden vertrieben werden und wir würden auf etwas Gutes und Schönes hinarbeiten. Ich dachte, wir sind auf dem richtigen Weg und plötzlich sind wir es nicht. Das ist verstörend.
AdW: Absolut. Völlig andere Frage. Stört es Euch, wenn die Öffentlichkeit euch nach wie vor als „Emo“ bezeichnet?
Shane: Das ist uns egal. Als wir 2000 anfingen waren wir vermutlich eine Emo-Band oder nannten uns so. Unsere Musik hat sich über die Jahre weiterentwickelt und wir wissen nicht was wir sind. Wenn die Leute uns eine Emo-Band nennen wollen, okay. Wenn sie uns als Screamo-Band bezeichnen, auch okay. Wenn sie uns als Rockband sehen ist es auch egal. Wir haben Elemente verschiedener Musikstile. Da ist dieses Problem. Ich denke, dass Bands, die einen bestimmten Stil als „Label“ haben, neigen eher dazu, langweilig zu sein. Dass wir keinen festen Stil haben spricht also für uns. Es zeigt, dass unsere Musik hoffentlich etwas interessanter ist. „Yeah, wir sind `ne Punkband und wir probieren nichts neu oder anders zu machen“, während wir auf vielen Gleisen fahren. Das ist etwas, was wir immer genossen haben und worauf wir stolz sind. Auf einem Album haben wir eine breite Masse an Richtungen.
AdW: Mal was ganz anderes. Welches Buch, welchen Film und welches Album würdest du mitnehmen, wenn du auf einer einsamen Insel leben müsstest? (Fälschlicherweise sagte ich „lonely“ statt „deserted“)
Shane: Sagtest du Lonely Island? Wie die Band? (Stimmt „I just had sex“ an und lacht) Ich liebe The Lonely Island. Du meinst eine einsame Insel? Oh Gott, diese hypothetischen Fragen sind immer schwierig. Ich gebe jetzt wohl eine witzige langweilige Antwort, aber wir haben unsere Band nach Shel Silverstein, dem Autor, benannt. Er hat ein Buch geschrieben, was „The Giving Tree“ heißt. Würde jemand dieses Buch alle zehn Jahre lesen, würde er jedes Mal etwas anderes daraus mitnehmen. Es reift mit einem und das ist das Wunderbare an Kunst und das Lernen. Wenn jemand etwas als Kind genießen kann und es als Erwachsener immer noch genießt, aber auf einer andere Weise. Ich finde das ist etwas Wundervolles, wenn du so etwas als Autor, Filmemacher oder Musiker schaffst. Also ich würde dieses Buch mitnehmen. Bei Filmen denke ich, das „Forrest Gump“ auch sehr gut dafür wäre. Ich habe den Film gesehen als er rauskam. Ich war 13 oder so und hab all diese Verwicklungen und historischen Figuren und Ereignisse überhaupt nicht verstanden. Oder auch die Sache mit Jenny und dem Missbrauch. Ich wusste nicht was da los ist und konnte trotzdem etwas aus diesem Film mitnehmen. Ich habe ihn dann wieder gesehen, mit 18 oder so und jetzt mit 36 bedeutet er etwas ganz anderes für mich. Das wäre der Film, den ich mitnehmen würde. Bei der Musik ist es ähnlich. Es gibt Alben die mir so viel bedeutet haben als ich ein bestimmtes Alter hatte und jetzt bedeuten sie etwas anderes für mich, aber ich liebe sie immer noch und einer dieser Alben ist von Pedro The Lion und heißt „It’s Hard To Find Friends“. Ist das erste Album von Pedro. Das ist ein Album, das ich geliebt habe als ich es das erste Mal gehört habe, in meinem ersten Jahr auf dem College. Und jetzt als Erwachsener hat es seine Bedeutung irgendwie verändert.
AdW: Mit welchem Musiker oder welcher Band würdest du gern, nach all diesen Jahren, eine Kollaboration machen? Tod oder lebendig.
Shane: Das ist eine harte Frage. Ich denke man muss sich fragen, wer wirklich grandiose Songs schreiben kann. Ich denke, der beste Songwriter aller Zeiten ist Paul McCartney. Es wäre genial einfach in einem Raum mit Paul und Lennon zu sitzen und ihnen beim Arbeiten zuzusehen. Es gibt bestimmt Videos davon, aber so richtig dabei sein. Ich denke Paul McCartney ist der beste Songwriter aller Zeiten, also würde ich ihn wählen.
AdW: Okay, ich denke wir sind hier auch schon fast am Ende angekommen.
Shane: (greift nach meinem Zettel mit Fragen) Hast du nicht noch was Geiles? Zeig mal.
AdW: Ja, dein erstes Videospiel würde mich persönlich interessieren.
Shane: Oh, wirklich? Mann, wie alt war ich da? Meine Schwester wollte unbedingt eine Nintendo-Konsole, den Original-NES, haben. Ich bin nicht sicher wann die rauskam. 1985 oder so. Ich war noch recht jung und ich erinnere mich daran wie sie über die Konsole und die Spiele und so sprach, weil wir eine Freundin hatten, die ein NES besaß. Wir waren eine der ersten Familien, die eine hatten. Meine Schwester wollte sie so sehr, also haben wir eine bekommen. Ich erinnere mich, dass ich für so lange Zeit immer Luigi sein musste und jedes Mal wenn sie weg war konnte ich Mario sein. Das war so aufregend. Es ist witzig. Dieses Mario Spiel, „Mario Brothers“ oder ich glaube „Super Mario Brothers“, wie auch immer, das erste eben. Ich hab es gespielt seit ich Kind war und ich spiele es nicht ständig, aber wenn du es jetzt hier hin packen würdest, würde ich immer noch wissen wo jede einzelne Münze ist und jeder Pilz, wo die Warpzones sind und all das. Ich glaube ich werde dieses Spiel nie vergessen. Egal was passiert. Wenn ich es zehn Jahre lang nicht spiele, würde ich mich immer noch an alles erinnern. Komisch darüber nachzudenken wie dein Hirn diese sinnlosen Informationen abspeichert und ich würde dasitzen und sagen „Oh ja, ich mach die drei Blöcke kaputt und dann kommt da eine Münze.“ Wieso erinnert man sich an sowas nach all den Jahrzehnten?
AdW: Keine Ahnung. Gute Frage. Was ist deine Lieblingsserie? Ich habe die letzte Staffel von „Twin Peaks“ gesehen und es war eine verstörende, aber auch großartige Erfahrung.
Shane: „Twin Peaks“ ist verrückt. Ich glaub, die machen eine vierte Staffel. Ich habe die alten Staffeln gesehen, die aus den 90ern. So lange her. Zur Zeit gucke ich „Game Of Thrones“. Ich bin fast am Ende von Staffel 6 und liebe die Serie momentan. Nimmt viel Zeit meines Tages ein. Aber ich glaube meine absolute Lieblingsserie ist „The Wire“. Es ist nicht einfach nur eine gute Serie was Drehbuch und Produktion angeht, sondern auch sehr wichtig um die Verwicklungen in den USA und vor allem Baltimore zu verstehen. Die ist so aktuell wie schon damals. Mit all diesen Dingen und der Korruption in Amerika. Wenn jemand The Wire noch nicht gesehen hat - guckt es euch an! Das wäre meine Wahl.
AdW: Gute Wahl. Ich hab die ersten beiden Staffeln gesehen und dann irgendwie den Anschluss verpasst. Es war anfangs schwer reinzukommen.
Shane: Das ist schwierig. Am Anfang weißt du nicht, was passiert. Es gibt so viele Charaktere und du weißt nicht wer wer ist. Die zweite Staffel ist komplett anders mit beinahe anderen Charakteren. Die dritte Staffel ist dann wieder wie die erste. Es ist komisch. Alle Staffeln sind sehr unterschiedlich und hängen trotzdem zusammen. Sehr geile Serie.
AdW: Okay, letzte Frage. Was ist das erste Album, das dich geprägt hat?
Shane: Metallica, das schwarze Album.
AdW: Oh, okay. Ich denke dann haben wir’s.
Shane: Okay, danke.
AdW: Danke für das Interview, ich freu mich auf die Show.
Shane: Viel Spaß dabei.
Danach ging es rein um die Vorband Trash Boat zu sehen. Das ausverkaufte FZW war bis oben hin gefüllt und die kleine Halle stand bis zur Treppe voll. Die Stimmung bei der Vorband war schon recht gut, auch wenn das Publikum noch sehr zurückhaltend war. Nach einer Umbaupause kamen dann endlich Silverstein und legten mit „Bleeds No More“ direkt los. Der Sound war für das FZW echt gut und das Publikum hat richtig aufgedreht, inklusive Circle Pit. Die Setlist war eine gute Mischung alter und neuer Songs. „Smile In Your Sleep“, „Ghost“ und „The Ides Of March“ boten für fast jeden Fan etwas. Nach dreizehn weiteren Liedern ging die Band dann von der Bühne und ließ sich mit „Zugabe“-Rufen wieder aus dem Backstage locken. Dann tauschten die Jungs die Instrumente und alberten mit dem Publikum rum, was mit massig Applaus honoriert wurde.Als Abschluss gab es dann noch „My Heroine“, bei welchem das FZW kurz davor war zu explodieren. Dann war der Abend schon gelaufen und die Dortmunder Lokalität spuckte die Leute in die Nacht. Gerne wieder.
Johannes Kley
Kolumnist und Konzertmuffel Joe ist Gesundheits- und Krankenpfleger in Bochum, liebt seinen Hund, liest leidenschaftlich gern, gibt ungern Bewertungen für Alben ab, ist Musikliebhaber, irgendwo zwischen (emotional) Hardcore, Vaporwave, Goth-Pop und Nine Inch Nails und versorgt euch unregelmäßig mit geistigen Ergüssen aus seiner Gedanken- und Gefühlswelt.