„Jeder, der möchte, soll auf ein Konzert gehen können“ – Im Gespräch über barrierefreies Feiern
08.06.2021 | Steffen Schindler
Hansi Mühlbauer ist 41, blind und Sänger einer Rockband in Nürnberg. Er schildert seine Erfahrungen mit Konzertbesuchen so: „Die Barrieren beginnen schon beim Ticketing: Für Menschen mit Behindertenausweis gibt es eine Begleitpersonenregelung. Die ist aber von Veranstalter zu Veranstalter unterschiedlich. Bis du dann die Informationen und dein Ticket hast, ist schon mal eine Stunde oder anderthalb in irgendwelchen Telefonschlangen vergangen.“ Auch die Anreise und die Toilettensituation vor Ort müssen geplant werden: „Das hört sich jetzt erstmal banal an, aber es gibt Leute, die müssen sich kathetern, die brauchen einfach eine hygienische und gut beleuchtete Toilette, um sich da nicht zu verletzten oder zu infizieren.“ Zudem ist das Personal nicht immer vorbereitet: „Ich bin schon oft angesprochen worden, ob ich betrunken bin. Also manchmal bin ich das auch, aber in der Hauptsache bin ich blind.“
Um solche Hindernisse abzubauen, engagiert sich Hansi in der deutschlandweiten Initiative Barrierefrei Feiern (IBF). Daneben ist er Berater der Kampagne Pop für Alle des bayerischen Bezirks Mittelfranken. Andreas Jäger ist ebenfalls Musiker und als Popularmusikbeauftragter des Bezirks mitverantwortlich für die Kampagne, die es seit 2017 gibt. Organisiert werden Beratungs- und Fortbildungsangebote. Daneben erschien dieses Jahr zum zweiten Mal das „Pop für Alle“-Magazin, in dem sich verschiedene Akteur:innen und Initiativen vorstellen. Andreas sagt, das Ziel der Kampagne ist es, „dass wir es schaffen, dass jeder, der in Mittelfranken auf ein Konzert gehen möchte, das auch tun kann.“
Dazu sagt Hansi: „Für mich sind die Barrieren für die Teilhabe an Festivals und Konzerten ganz andere, als für jemand, der im Rollstuhl sitzt.“ Die Pop für Alle-Kampagne hat deshalb ein Iconsystem erarbeitet, das Veranstaltende nutzen können, um zum Beispiel zu erklären, dass eine Begleitperson freien Eintritt zum Konzert hat oder das Festival barrierefreies Camping anbietet. Aber auch familienfreundliche Veranstaltungen oder solche mit freiem Eintritt können sie so markieren. Denn die besten Angebote bringen nichts, wenn niemand davon erfährt. Dementsprechend ist das Wichtigste die Kommunikation nach außen, erklärt Andreas: „Dazu haben wir die Icons erstellt, dazu gibt es Webseiten, auf denen es auch prominiente Bereiche zum Thema Barrierefreiheit geben muss“.
Überhaupt ist die Webseite einer der wichtigsten Orte, die es barrierefrei zu gestalten gilt. Dazu gehört zum Beispiel, die Seite kompakt zu halten und Bilder mit einem Alternativtext zu versehen. Auch Social-Media-Kanäle sind wichtig: Hansi meint dazu: „Ich sage immer, ich lese Facebook wie die Zeitung. So erfahre ich, wenn eine Band eine Veranstaltung erstellt hat. Facebook ist da schon sehr barrierefrei.“ Natürlich kostet eine neue Homepage Geld, so wie viele andere wichtige Maßnahmen auch. Aber die Initiativen wollen den Veranstaltenden auch die Angst vor der Barrierefreiheit nehmen. Aus ihrer Erfahrung sind viele Häuser in diesem Gebiet schon weiter, als sie selbst denken. Und oft gibt es Fördertöpfe, wenn zur Umsetzung Geld gebraucht wird.
Wichtig ist vor allem eine sensible Atmosphäre. Das gilt auch für die aktuell häufigen Online-Veranstaltungen, erklärt Hansi: „Wenn ich eine Party mache, muss ich wissen, wer kommt da? Und genauso ist es auch im Web: Brauche ich Gebärdensprachdolmetscher:innen? Für blinde Menschen gibt es in Zoom Shortcuts, zum im Chat schreiben zum Beispiel. Muss ich da eine kurze Beratung geben? Es geht auch ums Thema leichte Sprache und dass ich einfach weiß: ist für die Gäste gesorgt?“
Immer öfter stellen sich Veranstaltende genau diese Fragen: Barrierefreiheit sei zu einer Art In-Thema geworden, findet Andreas. Beim Puls Open-Air auf Schloss Kaltenberg gibt es Awareness- und Inklusionsteams und auch Wacken als eines der größten deutschen Festivals hat viel in diese Richtung gemacht. „Es tut sich was, aber es ist noch nicht da, wo es sein sollte. Dass man die UN-Behindertenrechtskonvention endlich umsetzt und digitale und kulturelle Teilhabe ermöglicht, ist einfach ein Muss.“ Hansi ergänzt: „Wenn es richtig gut wäre, müsste es kein Pop für Alle geben, müsste es kein IBF geben, dann müsste es dieses Interview nicht geben. Aber so ist es halt noch nicht. Es gibt noch viel zu tun. Ich glaube der Fortschritt der letzten Jahre kann motivieren, weiter zu machen.“ Deshalb appelliert Andreas: „Wenn ihr Fragen habt, liebe Veranstalter:innen da draußen, kommt gerne auf uns zu.“
Mehr Infos zur Initiative Barrierefrei Feiern und die Kampagne Pop für Alle findet ihr auf deren Webseiten.
Steffen Schindler
Steffen dankt Nirvana dafür, dass sie die Jugend auf dem Dorf erträglich gemacht haben. Seitdem ist er dem Klang der elektrischen Gitarre verfallen. Mittlerweile studiert er in Berlin Geschichte und Kulturwissenschaft.