Leoniden: "Wir sind eine Anti-Bauchgefühl-Band!"
20.04.2017 | Jakob Uhlig
Album der Woche: Eure Band gibt es ja nun doch schon eine ganze Weile. Wie kam es zu der Entscheidung, euer Debütalbum gerade jetzt aufzunehmen?
Lennart: Es war ganz einfach ein Gefühl, das jetzt mal machen zu müssen. Einen solchen Plan haben ja die meisten Bands, uns hat er aber lange irgendwie nicht so richtig überzeugt. Vor ungefähr drei Jahren haben wir dann den Entschluss gefasst, das endlich mal durchziehen zu wollen. Zu diesem Zeitpunkt waren wir aber noch nicht vollständig – wir brauchten einen Jakob. Dann haben wir uns auf die Suche begeben, und haben die ganze Sache auch davon abhängig gemacht. Hätten wir das fünfte Fünftel unserer Band nicht gefunden, wäre es zu der Platte auch nicht gekommen.
Jakob: Ich bin vor circa zwei Jahren eingestiegen. Am Anfang haben mir die Jungs noch nicht wirklich gesagt, was Sache war. Es hat dann aber nur so eineinhalb Proben gedauert, bis mir klar war, dass die Band auch meine Zukunft ist. Für das Album haben wir uns dann keinen Zeitdruck gemacht, die Qualität war uns immer am wichtigsten.
AdW: Ist das auch der Grund, aus dem ihr die Platte ohne Label und komplett unabhängig veröffentlicht habt?
Jakob: Wir hatten auf jeden Fall nicht unbedingt den Anspruch, das ganze independent zu veröffentlichen. Aber nach einigen Gesprächen mit verschiedenen Labels wurde uns schnell klar, dass da kein passendes Angebot für uns dabei ist. Letztendlich hätten wir von einer Plattenfirma nur Geld gewollt, die haben wir uns schließlich bei der Bank geholt. Insgesamt kommen wir auch alle eher aus dem DIY-Bereich, haben alle vorher in Hardcore-Bands gespielt.
Lennart: Wir sind tatsächlich ziemlich kompromisslos. Für uns hat das einfach etwas mit Selbstbestimmung zu tun. Da ist es schon schwierig, sich mit großen Firmen zu treffen, die bestimmte Ziele verfolgen. Erst recht nicht nach so langer Zeit. Für unsere Arbeit haben wir immer positives Feedback bekommen, das aber auch immer an Bedingungen geknüpft war. Das brauchen wir definitiv nicht.
AdW: Songs wie „1990“ habt ihr schon vor einigen Jahren auf Konzerten gespielt. Wie sieht das Songwriting bei einem Album aus, das über einen so langen Zeitraum entstanden ist? Wie lange sind die Songs schon fertig?
Jakob: Tatsächlich sind einige Songs schon älter als meine Zeit hier. Teilweise sind ja schon einige Tracks auf unserer Debüt-EP erschienen, „1990“ war eines der ersten Lieder, die wir nach meinem Zustoßen geschrieben haben. Damals war der Song aber noch deutlich roher, die Idee mit dem Frauenchor kam zum Beispiel erst später.
Lennart: Insgesamt war das alles sehr verteilt, wir haben 2015 schon die erste Hälfte der Songs aufgenommen, 2016 kam dann die zweite Rutsche. Wir haben einfach alles immer auf Niet und Nagel geprüft, und dazu gehört auch, neue Stücke live auszuprobieren.
Jakob: Das hat auch dazu geführt, dass manche Songs jetzt gar nicht auf dem Album sind, weil sie einfach nicht funktioniert haben. Wenn dich ein Track drei Monate lang abfuckt, ist das auf jeden Fall ein schlechtes Zeichen.
AdW: Würdet ihr euch für dieses Vorgehen als Perfektionisten bezeichnen?
Jakob: Absolut. Die Art, in dieser Gruppe zu arbeiten, ist ganz anders, als ich es bisher in anderen Projekten erlebt habe. Wir sind wirklich eine Anti-Bauchgefühl-Band. Erst wenn du etwas drei Wochen am Stück geil finden kannst, ist es das auch. Wir haben insgesamt bestimmt drei Alben geschrieben. Ich kann mir sogar vorstellen, dass wir für die nächste Platte irgendwas wieder aufgreifen, das wir eigentlich jetzt schon verworfen hatten.
Lennart: Wir haben jeden einzelnen Song in verschiedenen Tempi aufgenommen, jedes Hi-Hat-Sample wurde achtfach umgedreht und jede Textzeile wieder und wieder umgeschrieben – und das alles mit fünf Leuten.
Jakob: Der ganze Prozess war wirklich extrem anstrengend, zwischenzeitlich haben wir uns definitiv für verrückt erklärt. Wir haben für manche Songs zwischen 150 und 180 Spuren gehabt! Wir sind erst zufrieden, wenn jedes Bandmitglied zu tausend Prozent hinter einem Song steht.
AdW: Euer Sound ist sehr individuell. Könntet ihr benennen, wovon eure Songs beeinflusst sind, woher euer Stil kommt?
Jakob: Ich kann da vielleicht etwas Besonderes zu sagen, weil ich die Leoniden ja schon kannte, bevor ich dabei war. Was die Band für mich auszeichnet ist etwas extrem Rhythmisches, Tanzbares. Außerhalb davon konkrete Einflüsse zu benennen, ist kaum möglich. Jeder von uns steht auf so viele unterschiedliche Künstler, allein bei Lennart geht das wirklich von Michael Jackson bis The Mars Volta. Das Ergebnis ist der Rest von hunderten Streits über verschiedene Stile. Wir alle stehen auf schöne Melodien, kompakte Songs, die nicht langweilig werden, und einen Puls, der zur Bewegung anstiftet – das ist wohl die Quintessenz.
AdW: Ihr habt bestimmt gerade ein sehr aufregendes und stressiges Leben. Die erste Platte schlägt Wellen, ihr habt zahlreiche Interviews und beginnt bald eure Release-Tour. Beginnt jetzt eine neue Zeit für eure Band? Wie beeinflusst euch das?
Jakob: Das Gefühl, dass das Ganze jetzt langsam ernst wird, ist tatsächlich schon so seit mindestens einem Jahr da. Ich bin ja auch aus Hamburg ins kleine Kiel gezogen, um mit der Band zu arbeiten. Ändern tut sich nur, dass wir für unsere Produktivität nun auch endlich einmal ein wenig entlohnt werden. Es ist toll, dass wir so viel über unsere Musik sprechen dürfen, und das nicht nur mit uns selbst. Und das wir jetzt so superviele Konzerte spielen leitet auf jeden Fall eine neue Ära ein.
Lennart: Für dieses Projekt haben wir tatsächlich unglaublich viel Geld ausgegeben. Jetzt ist es für uns an der Zeit, diese ganzen Kredite abzubezahlen, und es ist toll zu sehen, dass das funktioniert. Es hätte ja auch sein können, das sich kein Mensch für die Platte interessiert.
AdW: Das „Two-Peace-Sign“ scheint sich durch eure komplette Bandgeschichte zu ziehen. Album- und EP-Cover werden von dem Symbol geziert, selbst euer eigenes Label trägt diesen Namen. Was hat es damit auf sich?
Jakob: Es ist eigentlich nur der Beweis, dass wir nicht besonders gut mit Namen sind. Meistens besinnt man sich bei der Benennung von irgendwas auf etwas, das einem vertraut ist. Djamin hat halt früher oft mit zwei Peace-Zeichen herumgealbert, irgendwann habe ich das dann mit einer Hand gemacht, weil ich in der anderen das Mikrofon hatte. So ist ein Insider entstanden, der immer wieder auftaucht. Man darf über solche Namen nicht zu lange nachdenken. Sonst beginnt man mit Sachen wie: „Lasst uns mal alle Buchstaben großschreiben!“ oder „Lasst uns die Vokale weglassen!“ In ein paar Jahren wäre das wahrscheinlich ziemlich albern.
AdW: Kam auf diese Art auch der Bandname zustande? „Leoniden“ sind ja eigentlich ein Meteorschauer.
Lennart: Vier von uns kennen sich ja schon lange und haben schon in der Schule zusammen Musik gemacht. Dieser Bandname war einfach irgendwann da, keiner weiß mehr so genau, woher er eigentlich kommt. Wir haben ihn einfach immer mehr liebgewonnen. Manchmal muss ein Name wohl einfach eine Weile existieren und gewinnt erst dadurch an Bedeutung.
Jakob Uhlig
Jakob kommt aus dem hohen Norden und studiert zur Zeit historische Musikwissenschaft. Bei Album der Woche ist er, neben seiner Tätigkeit als Schreiberling, auch für die Qualitätskontrolle zuständig. Musikalisch liebt er alles von Wiener Klassik bis Deathcore, seine musikalische Heimat wird aber immer die Rockmusik in all ihren Facetten bleiben.