Joes Nagelstudio: "The Slip" - kostenloser Garagerock
14.06.2022 | Johannes Kley
"The Slip" ist eine EP, die dann doch ein Album wurde und innerhalb eines Monats geschrieben wurde. Es gibt ruhige Instrumentals und etwas rauere elektronische Rocksongs, durch welche das Album gerne Mal als das Garagerock-Album der Band gilt, ohne so scheiße zu klingen, wie die ganzen Garagerock-Revival-Bands der 2000er.
Ein Jahr zuvor hatte Reznor bereits die ersten Tracks von "Ghosts I-IV" als freien Download zur Verfügung gestellt und bot so einen Einblick in das Album. Bei "The Slip" gab es 2008 einfach das komplette Album zum selbstgewählten Preis, ähnlich dem beliebten bandcamp-Modell. Vermutlich war der meistgewählte Preis 0 Dollar. Dazu gab es auch eine CD, welche auf 250.000 Stück weltweit limitiert und nummeriert ist. Interessanterweise ist diese immer noch recht leicht zu finden. So viele Sammler scheint es also nicht zu geben. Die Vinyl ist schwerer zu kriegen, allerdings ist seit Jahren eine Neuauflage im NINstore angekündigt. Mal sehen wann die endlich kommt.
Auch wenn der Link auf der Website der Band mittlerweile verschwunden ist, kann das Album nach wie vor, wie hier im Free Music Archive, kostenfrei heruntergeladen werden.
Zu diesem wundervollen Video muss dazugesagt werden, dass es von Meathead erstellt wurde. "The Meathead Perspective" war eine kleine Unterseite von theninhotline.com, auf welcher einer der großartigsten NINfans überhaupt jahrelang Flash-Videos (die aufgrund der Einstellung von Flash leider nicht mehr funktionieren, aber viele noch bei YouTube zu finden sind) zu Nine Inch Nails hochlud. Das nur nebenbei erwähnt.
Viele der Songs sind seit Jahren im Live-Repertoire enthalten und besonders "1,000,000" und "Letting You" sind live auch ein Erlebnis. Die ruhigeren Songs wie "Corona Radiata" (Ohhhh siehste! Weltweite Verschwörung!!11! Geplant seit 2008!...ach ne ist einfach Teil des Hirns) oder "999,999" sind atmosphärische Momente, die eher an "Ghosts I-IV" erinnern, aber das wundert auch nicht, lag zwischen beiden Alben doch auch nur ein Jahr.
Reznor hat das Album damals mit der Nachricht: "thank you for your continued and loyal support over the years - this one’s on me", veröffentlicht, worauf sich das Fanprojekt "This One Is On Us", welche aus 400GB-HD-Konzertaufnahmen eine DVD und BluyRay erstellten und auch zum Download bereitstellten, namentlich bezog. Es war als Geste gemeint und die Fans nahmen es dankend an. Ich finde es immer noch ein wenig krass, dass es von den 250.000 CDs immer noch welche im Laden zu kaufen gibt, aber das könnte natürlich auch daran liegen, dass der deutsche Markt gesättigt ist, die CDs damals aber eingekauft wurden und der arme Fan in Mexico vielleicht keine bekommt, während die hier bei Media Markt Staub ansetzen.
Ich persönlich mag das Album. Definitiv nicht mein Lieblingsalbum, aber es ist immer noch Nine Inch Nails - es kann gar nicht schlecht sein, oder? Ich habe mir nie die Mühe gemacht, eine Rangliste der Alben zu erstellen, aber wenn ich tun würde, wäre "The Slip" eher in der unteren Hälfte anzusiedeln. Es ist nicht wirklich schlecht, aber kommt eben auch nicht an die ganz großen Alben ran, aber das muss es auch gar nicht. Es war für die Band sicherlich schön, ein Album aus dem Boden zu stampfen und die Fans mal nicht ewig auf ein neues Album warten zu lassen. Ein Album innerhalb von zwei Monaten zu schreiben und aufzunehmen ist für die meisten Bands was besonderes und bei jemandem wie Reznor, der als Perfektionist gilt, ist dies wirklich beachtenswert.
Doch gerade dieser etwas rohere und weniger aufwendig produzierte Sound macht das Album eben auch besonders. Auch wenn ich mir das Album selten am Stück anhöre, habe ich einige Songs in meiner NINplaylist und skippe die Tracks auch nicht, wenn mein MP3-Player sie abspielen will. Und wie erwähnt, sind die gitarrenlastigeren Stücke vor Allem live eine echte Bereicherung.
Dieses komische Sprichwort besagt ja, dass einem geschenkten Gaul nicht ins Maul geschaut werden soll. Bei "The Slip" habe ich es getan und muss sagen, dass ich es auch nie bereut habe, auch Geld für Vinyl und CD ausgegeben zu haben. Doch euch kann ich nur anraten, das Album herunterzuladen und anzuhören (streamen ist natürlich auch okay). Vor Allem für die, die mit dem vielschichtigen Sound der Band auf den anderen Alben nicht so klarkamen, könnte "The Slip" ein Einsteig in die Band sein. Die Gitarrensongs sind gradlinig und, für Nine Inch Nails-Verhältnisse, simpel und die ruhigen elektronischen Songs überfordern auch keinesfalls, sind aber atmosphärisch großartig.
Wie gesagt, es ist nicht mein Lieblingsalbum, aber ein Album meiner Lieblingsband und von allen Alben, die das Label "Garagerock" bekommen haben (auch wenn das bei "The Slip" wirklich eher auf den raueren Sound als auf den Musikstil bezogen ist) ist es das mit Abstand beste Album! So und jetzt zückt euern leeren Geldbeutel und bezahlt nichts, für zehn gute Songs einer geilen Band.
Johannes Kley
Kolumnist und Konzertmuffel Joe ist Gesundheits- und Krankenpfleger in Bochum, liebt seinen Hund, liest leidenschaftlich gern, gibt ungern Bewertungen für Alben ab, ist Musikliebhaber, irgendwo zwischen (emotional) Hardcore, Vaporwave, Goth-Pop und Nine Inch Nails und versorgt euch unregelmäßig mit geistigen Ergüssen aus seiner Gedanken- und Gefühlswelt.