Die Ärzte und "Planet Punk" - erste und ewige Liebe
28.10.2022 | Johannes Kley
Die Ärzte zählen jetzt nicht unbedingt zu den Undergroundbands, aber da viele Menschen eher die aktuellen Songs kennen, die ich um ehrlich zu sein nicht mehr so wirklich verfolge, will ich das Album von 1995 präsentieren. Die Band hat bis heute einen unanfechtbaren Stellenwert bei mir, einfach weil sie live eine Erfahrung ist, die es so von kaum jemand anderem gibt und weil sie in einer so langen Karriere stets angenehme Menschen geblieben sind, die politisch einfach nur liebenswert sind.
Mein Vater hat mir im Grundschulalter damals "Opium für's Volk" von Die Toten Hosen gezeigt (die ich immer noch mag, aber ihre Musik der letzten Jahre ist halt echt ein bisschen...Mallorca geworden) und eben "Planet Punk". Damit begann eine Liebe zur Punkmusik, die bis heute hält, auch wenn sich meine Vorlieben eher zum Härteren gewandt haben.
Davor hab ich halt Pur, die übrigens viel geiler als Pink Floyd sind, gehört und was so im Radio lief. Aber mit diesen CDs änderte sich alles. Ich weiß auch noch, dass auf Klassenfahrten bei der Disco immer "Zehn kleiner Jägermeister" von den Hosen gewünscht und gespielt wurde und die ganze Klassen dazu rumsprang, ohne zu wissen, was ein Jägermeister überhaupt ist.
Es dauerte noch ein paar Jahre, bis ich dann auf dem Gymnasium Torsten und Tobias kennenlernte, die beide die Liebe zu den Ärzten teilten und mit denen ich, in Begleitung meines Vaters, das erste richtige Konzert meine Lebens erlebte. Die Ärzte und die Village People in Berlin. Hatte damals auch das Girlie-T-Shirt gekauft, auf welchem Gwendoline im Village People-Design drauf war. Passte damals schon nicht, aber ich musste es haben. Mittlerweile habe ich das gespendet, weil ich garantiert nicht mehr reinpasste, aber die Erinnerung daran wird wohl nie verblassen.
Kommen wir mal zurück zum Album. "Planet Punk" ist jetzt nicht das jugendfreiste Album der Welt und ich bin meinem Vater unendlich dankbar dafür, dass er es mir mit sieben oder acht Jahren gezeigt hat. Meine Mutter war im Nachhinein weniger begeistert, als ich dann einen Irokesen haben wollte und in letzter Konsequenz natürlich auch mit zerrissenen Hosen und Springern rumlaufen wollte. Sie ist aber bis heute kein Fan meines Kleidungsstils und ich muss mir für ihren Geburtstag nächstes Jahr extra neue Klamotten kaufen, weil ich ja sonst so "liederlich" aussehen würde, wobei sie dann aber witzigerweise "Junge" von den Ärzten zitiert. Mein Vater war da deutlich entspannter und auch mein erstes Konzert der Toten Hosen fand in seiner (und Torstens) Begleitung statt.
Das Album selbst ist, neben "Runter mit den Spendierhosen, Unsichtbarer!", welches mir mein Vater als erstes eigenes Ärzte-Album schenkte, mein Lieblingsalbum der Band. Klar, da spielt auch die Nostalgie mit rein und als ich es vor ein paar Tagen bei einem erschütternden Besuch bei Media Markt als Vinyl rumliegen sah, musste ich es kaufen.
Gerne hätte ich meinem Vater davon erzählt, war er es doch, der mir diese wunderbare Welt der Musik erst näherbrachte. Leider verstarb er unerwartet letztes Jahr und nun müsst ihr mein Geschwafel ertragen.
Die Songs auf dem Album sind seit ich MP3-Player besitze auf diesen drauf. Mitsinghymnen wie "Hurra" waren damals schon in der Schule etwas, was Torsten, Tobias und ich gerne Mal durch das Schulgebäude grölten und auch der "Schunder-Song" oder "Super Drei" wurde oft zitiert. Doch auch Songs wie "Langweilig" oder "Vermissen, Baby" sind typische Ärzte-Ohrwürmer. Klar gibt es auch ein paar schwächere Songs, wie beispielsweise "Die Banane" oder "Mein Freund Michael", über die Monotonie von Michael Schuhmacher und der Formel 1, den sie heute wohl auch so nicht mehr schreiben würden (so wie sie es letztens auch öffentlich über "Elke" gesagt haben) - schon allein, weil sie da über eine Lebensversicherung singen. Aber ich vermute mal, dass der live eh nie oder kaum gespielt wurde und eben eine Ärzte-typische Blödelei war. Dafür lieben wir sie ja.
Aber Songs wie "Trick 17 m.S." zitiere ich bis heute gerne auf Arbeit.
"Ich habe nur noch einen Wunsch:
Ich will sterben, ich will sterben – so kann es nicht weitergehen
Ich will sterben, ich will sterben – jetzt im Grab, das wäre schön
Die Welt ist schlecht, alle hassen mich."
Aber auch Spaßnummern (also noch spaßiger als die meisten anderen Tracks) wie "B.S.L." über (viel zu) laute Musik oder "Nazareth" über das Essen von Popeln, haben einen immensen Unterhaltungswert. Und vergessen wir bitte nicht "Meine Ex(plodierte Freundin)", welchen immer ein Freund meines Onkels bei Feiern in dessen Studentenwohnung auf der mitgebrachten Akustikgitarre spielte. Wunderschöne Erinnerungen.
Immer wieder werden auch ernsthafte Themen angesprochen. Im "Schunder-Song" geht es ja offensichtlich um Mobbing. In "Die Traurige Ballade von Susi Spakowski" geht es um eine misshandelte Jugendliche, die sich in letzter Konsequenz umbringt, weil die Gesellschaft sie damit allein lässt. Ja, kann mitgegröhlt werden, aber es ist eben ein Thema, was sonst kaum angerührt wird und es ist gut, dass die drei Jungs aus Berlin (auuuus Berliiin) es getan haben. Auch in "Der Misanthrop" geht es ein wenig ernsthaft zu und das bereits erwähnte "Hurra" spiegelt ja letztlich die Aufbruchstimmung und Hoffnung der 90er wieder, die in dem Song eine fiktive schöne Welt malt. Hat leider nicht geklappt.
"Red mit mir", den ich echt gerne höre, ist eventuell ein Song über gute Freundschaften, in welchen ewig, auch über die unzufriedenstellende Beziehung einer Person, geredet werden kann, wofür Freundschaften auch da sind. Oder aber der Song ist eine frühe Nice Guy/Incel-Hymne, in welcher der Zuhörer eigentlich voll der nette Typ ist, den die Frau aber nicht will (er sie schon) und lieber ihren Arschlochfreund behält. Das muss selbst entschieden werden. Aber ich könnte mir vorstellen, dass es in deutschsprachigen Incelforen schon ab und zu gepostet wird. Aber gut. Nazis hören auch "Deine Schuld", ohne zu checken, dass sie das Problem sind.
Der Song "Opfer" gibt unverblümte Kapitalismuskritik, in welchem sich die Menschen, die an Elend verdienen, rechtfertigen. Schon allein deshalb darf das Album "Planet Punk" heißen, obwohl den Ärzten ja von Gatekeepern seit Ewigkeiten vorgeworfen wird, dass sie nicht Punk seien, einfach weil sie mehr als drei Akkorde beherrschen und Erfolg haben (den sie sinnvoll einsetzen) und es sich in Subkulturen ja nicht gegönnt wird. Aber ich schweife ab.
Ist es das beste Ärzte-Album? Für viele Menschen wahrscheinlich nicht. Für mich schon. Gut, ich hab auch nach "Geräusch" nur noch sporadisch in die neuen Sachen reingehört und hab sie live das letzte Mal 2013 gesehen. Aber allein die Erinnerung, mit meinem Vater im Wohnzimmer auf dem Fußboden zu sitzen und diese, für mich damals, heftige und schnelle Musik zu hören, ist unerreichbar. Auch sind über 50% der Songs absolut geile Songs und seit Jahren stete Begleiter auf meinen tragbaren Musikabspielgeräten. So einen Schnitt haben die wenigsten Alben, ob jetzt Ärzte oder nicht.
Außerdem ist der Humor so schön pointiert und bei "Rod Loves You" ist für mich die erste bekannte Erwähnung von (Natur-)Sekt und Kaviar, welche sich mir erst viele Jahre später erschließen sollten. Nicht unbedingt appetitlich, aber verdammt witzig. Zumindest in meiner Welt. Aber ich arbeite auch in der Pflege und neben Peniswitzen sind Pipi- und Kackahumor bei uns auf Station (und vermutlich allgemein im Berufsstand) sehr beliebt.
Wer bis jetzt noch nicht Bock hat, sich das Album zu kaufen oder es beim Streaminganbieter eurer Wahl reinzuhören, ist vermutlich einer der Menschen, die Die Ärzte einfach doof finden. Dir entgeht was, vertrau mir! Für die, die es schon kannten, konnte ich hoffentlich die Liebe wieder einfachen und allen anderen ein tolles Album zeigen.
Für mich bleibt es auf ewig mit meinem Vater verbunden und ist eben der Grund, warum ich jetzt Nine Inch Nails, Counterparts oder Underoath höre. Ohne den Weg über Punk wäre ich nie zu Gothrock und dann zum Emo- und Hardcore gekommen. Mir wäre so viel gute Musik entgangen und allein dafür danke ich den Ärzten (und den Hosen, wie bereits erwähnt) und eben meinem Vater.
So, ich senke jetzt den Wert meiner Vinyl (die übrigens nicht die Nummerierung der Seiten in A, B, C und D sondern F, C, K, W hat, was heute auch nicht mehr alle verstehen) von Mint auf Near Mint oder Very Good Plus, weil ich sie nämlich auspacke (was ich übrigens mit allen Vinyls mache, die ich erwerbe, weil die sind nämlich zum Hören und keine hässlichen Porzellanpuppen zum Sammeln), Ich will die Song endlich nicht mehr als ewig alte 128 kbit-MP3-Dateien haben, sondern in guter Qualität genießen, ohne erst meinen 12 Jahre alten Laptop zu starten, der nur noch existiert, weil er ein CD-Laufwerk hat (und er halt immer noch lebt, auch wenn der Akku tot ist und es mir leid täte das Teil wegzuwerfen und so lebt er als übergroßes Laufwerk weiter), was die modernen ja nicht mehr brauchen, weil ja anscheinend keiner mehr CDs rippt. Jetzt genieße ich das Album, während ich endlich mal die Biographie der Band lese.
Bis zur nächsten Joelumne.
Bleibt gesund.
Johannes Kley
Kolumnist und Konzertmuffel Joe ist Gesundheits- und Krankenpfleger in Bochum, liebt seinen Hund, liest leidenschaftlich gern, gibt ungern Bewertungen für Alben ab, ist Musikliebhaber, irgendwo zwischen (emotional) Hardcore, Vaporwave, Goth-Pop und Nine Inch Nails und versorgt euch unregelmäßig mit geistigen Ergüssen aus seiner Gedanken- und Gefühlswelt.