Im Schatten der Vierviertelknechte – Mitch Mitchell
31.03.2021 | Moritz Zelkowicz
Mitch Mitchell hieß eigentlich John Mitchell, nicht dass der Vorwurf aufkommt, seine Eltern wären bei der Namensgebung unkreativ gewesen. Doch wer ist dieser John oder Mitch oder Mitchell? Nick Mason, Drummer von Pink Floyd, kann es ganz gut erklären. "Der Schlagzeuger von Jimi Hendrix. Nein, falsch. Jimi war der Gitarrist von Mitch Mitchell!“ Kühne These. Doch im Kern steckt in der Tat etwas Wahres.
Doch erstmal zum Anfang. Mitchell lernte sein Instrument bei keinem geringeren als Jim Marshall. Dessen Namen sieht man heute noch auf den nach ihm benannten Verstärkern. Mitchell jobbte neben seiner Schauspielerei in Marshalls Musikladen und bekam dort die Möglichkeit, seinem großen Vorbild nachzueifern: Elvin Jones. Jones war zu seiner Zeit Drummer für John Coltrane. Mitchells Talent für Rhythmus und Taktgefühl zeigte sich schon früh mit seinem hervorragenden Stepptanz. Also begann er mit dem Schlagzeugspiel und lernte es größtenteils wie sein Vorbild - autodidaktisch. Seine freizügige Art zu spielen hat früh Eindruck geschunden. In jeder sich bietenden Sekunde eines Songs improvisierte er ein wildes Solo. Das brachte den R’n’B-Musiker Georgie Fame auf den Plan, der Mitchell in seine Band Georgie Fame and the Blue Flames aufnahm. Nach deren Auflösung blieb Mitchell als Musiker für Fames Soloprojekte. Doch es kam das Jahr 1966 und Chas Chandler, ehemaliger The-Animals-Bassist, nahm Jimi Hendrix unter Vertrag, um eine Band um ihn zu gründen. Für die Position des Bassisten wurde Noel Redding gefunden, für den Drummer wurde ein umfangreiches Casting veranstaltet. Eigentlich waren die Rollen klar verteilt. Jeder, der nicht Aynsley Dunbar hieß, hatte schlechte Karten. Damals wie heute eine kleine Legende, unter anderem durch seine Arbeiten mit Jeff Beck, Rod Stewart, Frank Zappa, Journey und noch vielen mehr. Doch ein Münzwurf entschied am Ende für Mitchell.
Nun saßen also zwei Revoluzzer in einer Band: Hendrix an der Gitarre und Mitchell an den Drums. Bassist Noel Redding ging meistens unter, was auch der Grund war, warum er drei Jahre später kündigte.
Hendrix aber liebte Mitchell. Denn er verkörperte den selben musikalischen Geist wie er selbst: Mehr, mehr, mehr. Mitchell stilisierte sich und sein Spiel zu dem, was Redding gerne gewesen wäre, zu etwas wie dem zweiten Gitarristen. Wenn Hendrix‘ mit Soli gespicktes Spiel mal etwas abebbte, war Mitchell sofort da, um mit einem eigenen Solo die eventuell auftretende Stille zu nutzen. So gab es regelrechte Battles zwischen den beiden und sie liebten es. Mitchell machte sich sein grundsätzlich das schnelle, dynamische Spiel zu eigen, welches er sich aus dem Jazz abgeschaut hatte, verband es aber mit der neuen Härte, die die Rockmusik den Drummern erlaubte. Sein ehemaliger Bandkollege Georgie Flame brachte seinen ständigen Willen zur Individualität so auf den Punkt: „Er liebte es auf die Becken einzudreschen, so wie Ronnie Stephenson, aber eigentlich wollte ich mit der Band eher enge Arrangements spielen. Wenn er also wieder anfing drauflos zu donnern, hab ich nur gesagt, ‚Alter, spiel doch einfach die Hi-Hat.‘“ Mitchell war der Freigeist, den Hendrix in der Band gebraucht hatte. So wurde der Sound spektakulär und bis dahin einzigartig. Noel Redding hatte nicht die Ambition diese Rolle auszufüllen und verließ die Band 1969 kurz vor dem legendären Woodstock-Auftritt. Mitchell hingegen blieb, musste aber 1970 einen herben Schlag entgegennehmen, als er für die Platte „Band Of Gypsys“ durch Buddy Miles ersetzt wurde. Aber der Schock währte nicht lange, denn noch im selben Jahr wurde er wieder für die Tour von Hendrix engagiert. Doch dann kam auch schon das Ende. Mit Hendrix' Tod am 18. September 1970 endete gewissermaßen auch die Karriere von Mitch Mitchell. Er arbeitete an ein Paar Hendrix-Editionen mit, bot sich immer wieder als Gastdrummer für Erinnerungskonzerte an und schrieb ein rührendes Buch. Aber als eigenständiger Musiker trat er nicht mehr auf. Er arbeitete noch als Ersatzdrummer, unter anderem für Clapton, Lennon und Muddy Waters, allerdings ohne sein Genie ausleben zu können. Was für eine Verschwendung von Talent. Robert Wyatt, der mit der Band Soft Machine als Vorband für die Jimi Hendrix Experience unterwegs gewesen war, schwärmt bis heute für Mitchell: „Sein durch Elvin Jones beeinflusstes Jazz-Spiel, hat den ganzen Vierviertelknechten dieser Zeit die Ohren geöffnet. Das waren neue Dimensionen, die der Rockmusik da geöffnet wurden. Er war nicht das Marketingtool um weiße Teens zum schwarzen Hendrix zu locken, Mitchell war der kongeniale Partner, der perfekt zu Jimi gepasst hat."
Im Jahr 2008 spielte er sein letztes Konzert. Auf der Experience Hendrix Tour wurden 18 Gigs gespielt, fünf Tage nach dem letzten wird er tot in seinem Hotelzimmer aufgefunden. Er muss wohl im Schlaf gestorben sein, an den Folgen von schwerer Krankheit, bedingt durch jahrelangen Alkoholmissbrauch. Was er hinterlässt ist eine Karriere, die mehr zu bieten gehabt hätte, als sie tatsächlich bot. Er war der Partner des vielleicht größten Rockmusikers unserer Zeit. Doch es dauerte auch, bis Mitchell die Anerkennung bekam, die er verdiente. Die Billboard-Liste der größten Drummer aller Zeiten führt John Bonham, gefolgt von Keith Moon und Ginger Baker, Mitch Mitchell folgt auf Platz acht. Sein Partner und Freund Hendrix hingegen führt die Liste der größten Gitarristen an.
Immerhin, in der Szene wird Mitchell bis heute verehrt.
Moritz Zelkowicz
Moritz deckt als Franke den Süden Deutschlands ab. Er versucht beständig Teil der Lügenpresse zu sein, ist aber ansonsten im Marketing tätig. Musikalisch ist er überall dabei, ob Punk, Core oder Rap, erlaubt ist, was gefällt.