Adam Angst und „Neintology“: Kinnhaken gegen den beschränkten Horizont
24.09.2018 | Julius Krämer
Die harten Synthesizer im Ärzte-Stil wirken provokant, fast schon dazu auffordernd, hier die Augen zu verdrehen – und die Hater haben Recht behalten, denn gleich nach dem überzogen elektronischem Intro „Der Beginn von etwas ganz Großem“ erläutert die Punk-Polizei alle Straftaten der sogenannten „Punk“-Band: „Wenn ich Adam Angst schon höre, dann platzt mein Trommelfell/Ihr seid mir viel zu aufgesetzt und zu professionell/Schlaues Gelaber, die Schuhe blank poliert/Ihr habt scheinbar keine Ahnung, wie Punkrock funktioniert“. Denn tatsächlich kam der Erfolg ihres Debüts „Adam Angst“ vielen wohl etwas ungelegen: Zu sehr um die Ecke gedacht, zu wenige Parolen, zu viel Kunstfigur. Dabei ist Adam Angst wohl die einzige Band, die sich als besorgter Spießbürger darstellt.
Dieser Kunstgriff wird auch auf „Neintology“ bis zur Perfektion getrieben. Es gibt keinen Song ohne den Seitenhieb gegen eine konservative Denkweise, in den meisten Fällen entpuppt sich dieser gar als Kinnhaken gegen den beschränkten Horizont. „Alle sprechen deutsch“ führt mit Polka-Anleihen die Angewohnheit der Deutschen auf die Spitze, nur in völlig überlaufene Touri-Urlaubsländer zu fahren. Der Gegenentwurf zu Alligatoahs „Wie zuhause“ quasi. Wir wollen schließlich in unserer Blase bleiben. Die Komfortzone zu verlassen, würde ja bedeuten, auch unser Denken anzupassen und gegebenenfalls gar verstehen zu müssen, wie andere Menschen denken. Nicht mit uns, denken sich die fünf Musiker, und verbarrikadieren sich daher in ihrer „Blase aus Beton“. Der fiktive Adam Angst gibt uns hier eine kleine Führung durch seinen eigenen, beschränkten Gedankenpalast: „Hier ist nichts, was dich bedrückt/Keine Gewalt, kein Nahostkonflikt“.
Das Perfide dabei ist, dass Adam Angst die gesellschaftlichen Missstände nicht sofort für unhaltbar erklären. Viel mehr beschreiben sie diese, um der selbst denkenden Hörerschaft Raum für eigene Urteile zuzugestehen, ohne sich dabei jedoch spürbar zynische Kommentare zu verkneifen. Es wäre ja zu einfach gewesen, die nächste „Nazis raus“-Sprücheklopfer-Platte zu machen. Stattdessen konfrontiert „Neintology“ sich selbst und die Hörerschaft mit den Gedanken, die man als vernünftig denkender Mensch zwar verurteilt, bei denen man sich aber oft auch eingestehen muss, wie sehr sie zutreffen. Wie viel spüren wir denn vom Syrien-Krieg, wie sehr juckt es uns überhaupt, dass dort seit sieben Jahren die Menschlichkeit mit Füßen getreten wird? Hinterfragen wir moderne Technik wie „Alexa“ genug, um die Katastrophe, wie sie im Song heraufbeschworen wird, zu vermeiden? Die Antwort hat die Band natürlich selbst direkt parat: Das einzige „Kriegsgebiet“, das wir kennen, ist das des maßlosen, großstädtischen Konsums.
Musikalisch machen Adam Angst da weiter, wo sie 2015 aufgehört haben: brachialer Punkrock mit Hardrock-Einflüssen und Augenzwinkern, dabei oft tanzbar wie in den harten Passagen Kraftklubs. Ein Arrangement wie „Alle sprechen deutsch“, das sofort die Augenbrauen hochfahren lässt, ist dabei genauso ironisch zu nehmen wie das Thema selbst, gleiches gilt für den Schauspiel-Gesang von Felix Schönfuss. Musik und Text sind hier also wirklich eins. Eine angenehme Ausnahme von der permanenten dritten Person bietet „D.I.N.N.“, das obligatorisch, aber absolut zutreffend die Verstrickung von staatlicher Gewalt und Rechtsextremismus thematisiert: „Gleiche Scheiße, neue Namen/Eskortiert vom Streifenwagen/Egal, wie viele das nicht erkennen/Ich werde dich immer Nazi nennen“. Hans-Georg Maaßen lässt grüßen.
Wertung
Das Quintett um Felix Schönfuss bringt musikalisch und textlich vieles auf die Spitze, was in der westlichen Gesellschaft falsch läuft – ohne den erhobenen Zeigefinger, dafür mit einem kurzweiligen, relevanten und von der ersten Sekunde an unterhaltsamen Album, das zu den besten Deutschpunk-Platten des Jahres zählen dürfte.
Wertung
Dieses Album ist nicht nur starker Anwärter auf das beste Album des Jahres. An dieser Platte und ihrer lyrischen Gerissenheit im Umgang mit der (aktuellen) deutschen Idiotie muss sich ganz Punk-Rock-Deutschland noch die nächsten Jahre messen lassen.
Julius Krämer
Julius stammt aus dem hoffnungslos unterschätzten Wuppertal und studiert momentan Musikpädagogik und Politikwissenschaft in Münster. Neben seiner Tätigkeit als Gitarrist in verschiedenen Bands begeistert ihn alles von Prog über Alternative bis Hardcore, er unternimmt aber auch gerne Ausfüge in HipHop, Jazz oder elektronische Musik und mag dabei besonders die Verarbeitung übergeordneter Gedankengänge oder des Zeitgeschehens in der Musik.