All diese Gewalt und „Andere“: Dann mit der Pumpgun
09.11.2020 | Felix ten Thoren
Doch man kennt Max Rieger. Vor allem natürlich als Frontmann der Stuttgarter Post-Punk-Band Die Nerven, als Produzent – etwa von Drangsal oder Mia Morgan – und eben auch von seinem Solo-Projekt All diese Gewalt. „Andere“ ist Riegers vierte Veröffentlichung unter diesem Namen und in der Tat anders als seine Vorgänger. Lebten „Welt in Klammern“ oder „Kein Punkt wird mehr fixiert“ noch zu großen Teilen von einem langsamen, atmosphärischen Aufbau, findet sich die Direktheit des Covers auch in den Songs von „Andere“ wieder. Das angesprochene „Erfolgreiche Life“ kommt mit drückendem Sub-Bass und kaputten Schweine-Synthies daher, Riegers Gesang setzt direkt ein, ungeduldig, stürmisch, die eigene Oberflächlichkeit parodierend. „Halte mich nicht auf“ verkündet auch der Opener, „Dein“ hat geradezu Pop-Appeal und „Gift“ stapft mit zielsicherem Groove vor sich hin. Auch die Texte sind weniger kryptisch, wenn auch nicht gleich selbsterklärend.
Geblieben ist die Atmosphäre, die All diese Gewalt stets ausgezeichnet hat, ein vielschichtiges Konstrukt aus sich überlagernden Tonspuren, verhallten Gitarren, säuselnden Synthies und dem Ostinato eines fernen Klaviers. „Grenzen“ und „Sich ergeben“ verorten sich diesbezüglich wohl am nächsten am gewohnten Sound, „Blind“ betritt als Solo-Stück für Gesang und Klavier dagegen Neuland und leitet über zum Titeltrack und Finale des Albums, „Andere“. Unzweifelhaft einer der stärksten Tracks der Platte, entfalten sich hier die neuen Ansätze zu voller Blüte, langsam – wie auf den Vorgängeralben – aber klar und bestimmt. Die „Anderen“ erstrahlen in vollem Glanz, „stolz und unüberwindbar“, wie Max Rieger lamentiert, die Musik schwillt an, immer und immer weiter – und dann ist Schluss. Eine Handystimme brabbelt noch vor sich hin, „ready to pair“ verkündet sie, doch scheinbar ist niemand anders kompatibel.
Wertung
„Andere“ ist bruchstückhaft. Weniger konzeptionell und unruhiger als „Welt in Klammern“ und dennoch die gelungene Weiterentwicklung ebenjener Musik, die kein anderer so hätte kreieren können.
Felix ten Thoren
Felix widmet sein Studium der historischen und systematischen Musikwissenschaft in Hamburg. Er wurde mit HipHop sozialisiert, findet aber auch Gefallen an diversen Stilrichtungen von Blues bis Hardcore.