Any Given Day und "Overpower": Die Macht der Gewohnheit
15.03.2019 | Julius Krämer
Der Refrain von "Devil Inside" glänzt. Ein hymnischer Melodiebogen, etwas kitschig, aber das haben gute Pop-Melodien einfach an sich. Eine simple Akkordfolge, fett produziertes Halftime-Schlagzeug und eine Zeile wie "There is no second chance at all". Fertig ist ein nicht zu verachtendes Stück Musik, dem man eine gewisse Qualität nicht absprechen kann. Warum diese glorifizierende Schilderung? Weil Momente wie dieser wie kleine Inseln der Musikalität wirken in einem Album, das ansonsten nur mittelmäßig kopiert.
Fast alle Songs auf "Overpower" sind gleich. Ein High-Gain-Metalriff folgt auf den nächsten Breakdown, ermüdende Growls wechseln sich ab mit uninspiriertem Clean-Gesang. Kein Wunder, ist die posende Form des Metalcores doch zu einer Karikatur sowohl des Metals als auch des Hardcores verkommen - den Genres, denen es entstammt. Man hat es nicht anders erwartet, aber Any Given Day exerzieren ihr Double-Kick-Gekloppe konsequent weiter, da es sich unverkennbar großer Beliebtheit erfreut. Man kann ihnen dabei noch nicht einmal böse sein, sind sie doch selbst nur Symptom einer auf Oberflächlichkeit und Überproduktion gepolten Szene, nicht die Ursache. Hasse das Spiel, aber nicht den Spieler.
Umso tragischer, dass sie sich die paar Momente, die das Album zweifelsohne hat, in einem Meer aus Mittelmaß verspielen. Refrains wie aus "Devil Inside" können so leider nur als Ausrutscher nach oben gewertet werden, die nicht annähernd repräsentativ für das Album als Gesamtwerk stehen. Hätte nicht gerade eine nationale Szene-Größe wie Any Given Day das Standing, um musikalisch etwas über ihren Tellerrand zu schauen? Wieso gehen Bands eines ehemals so emotionalen Genres so gerne auf Nummer sicher und produzieren die nächste Platte nach Schema F?
Wertung
Wieso Any Given Day die besonderen Momente des Albums und somit ihr Potenzial derartig verspielen, wissen wohl nur sie selbst. So bleibt "Overpower" das nächste Metalcore-Album, dessen künstlerischer Inhalt gegen null tendiert.
Julius Krämer
Julius stammt aus dem hoffnungslos unterschätzten Wuppertal und studiert momentan Musikpädagogik und Politikwissenschaft in Münster. Neben seiner Tätigkeit als Gitarrist in verschiedenen Bands begeistert ihn alles von Prog über Alternative bis Hardcore, er unternimmt aber auch gerne Ausfüge in HipHop, Jazz oder elektronische Musik und mag dabei besonders die Verarbeitung übergeordneter Gedankengänge oder des Zeitgeschehens in der Musik.