Deitus und „Irreversible“: Kraft und Charisma
07.08.2023 | Marco Kampe
Obwohl für Tonträger vielerorts der marktbedingte Trend in Richtung kürzerer Spielzeiten/weniger Songs zeigt, gehen 6 Stücke in der Regel wohl eher als ordentlich bestückte EP durch. Für ein vollwertiges Album ist schon ein bisschen mehr Inhalt von Nöten, sehen wir mal von Extrembeispielen wie „The Forest Seasons“ (Wintersun) ab. Für manche Genres, vornehmlich bei den düsteren Spielarten im Metal-Kosmos, ist ein halbes Dutzend hingegen weniger verwunderlich und so lässt sich auch die Tracklist von „Irreversible“ fix überfliegen. Ein wenig klischeegetränkt wirkt diese schon, doch soll das die Suppe selbstredend nicht im Vorhinein versalzen.
Eine wohldosierte Menge Salz schadet der Suppe nicht, wie „Incursion“ als hybrides Konstrukt aus vollwertigem Song und einleitender, eindrücklicher Befeuerung unter Beweis stellt. Der Song ist progressiv angelegt und gibt einen stimmigen Eindruck für die nachfolgenden Tracks, welche sich auf angenehme Art und Weise nicht in verschwommenem Krach verlieren, sondern artverwandte Genres angemessen berücksichtigen und sich ihrer bedienen. Die Wahl des Titeltracks ist goldrichtig. Dessen hintergründige Melodieführung entfaltet ihre Wirkung erst in Kombination mit dem vordergründigen Krawall. Bei genauerem Lauschen sind zahlreiche Details erlebbar, die ab dem letzten Drittel von bockstarkem Gitarrenspiel eingebettet sind und letzten Endes ausgedehnt verklingen dürfen. Hier sind Enthusiasten am Werk. Vergleichbar überschwänglich dürften die Reaktionen auf „Voyeur“ ausfallen. Nicht nur, aber auch wegen des Viking-Hypes der letzten Jahre hat die nordisch-/historische Mythologie einen popkulturellen Aufschwung erfahren. Wardruna und Co. können diesen massenwirksam kanalisieren, doch auch hier an unerwarteter Stelle schimmern Anleihen jener sphärischer Gesänge hindurch, womit „Irreversible“ tatsächlich noch um Nuancen überboten wird.
„Straight For Your Throat“ dampft im reinsten Wortsinn jeden Grashalm nieder. Die Vocals sind zu leise abgemischt, sie werden ab der zweiten Halbzeit allerdings ohnehin von virtuosen Soli abgelöst, ehe gemäßigtere, teils verspielte Töne das Finale prägen. Ein gelungenes Wechselspiel, welches über lärmende Rohheit hinausgeht. „A Scar For Serenity“ entspricht in positiver Manier der Erwartungshaltung und borgt sich aus dem Thrash-Metal manche Stilmittel auf unbestimmte Zeit. „As Long As They Fear“ verlangsamt den Taktschlag, ist geprägt von tiefen, drückenden Klängen und geht ohne Aufsehens in die Gesamtwertung mit ein.
Ob sich das Album mit dem Tod bzw. dem Fortschreiten der Zeit als Unumkehrbarkeit beschäftigt, wie Cover und Titel vermuten lassen, bleibt Spekulation, denn: Die Lyrics waren zum Zeitpunkt der Plattenbesprechung noch nicht einsehbar und sind genretypisch auf das erste Hören kaum zu Verstehen. Davon abgesehen ist der Gesamteindruck rundherum positiv und schürt den Wunsch, den bisherigen Veröffentlichungen einen (weiteren) Durchlauf zuzugestehen.
Wertung
Wenn die Welle des Power Metal abgeklungen ist, könnten gerne wieder etwas deftigere Töne den Szenediskurs bestimmen. Deitus stehen in den Startlöchern.
Marco Kampe
Der vormalige Fokus auf verzerrte E-Gitarren ist bei Marco einem übergeordneten Interesse an der Musikwelt gewichen. Die Wurzeln bleiben bestehen, die Sprossen wachsen in (fast) sämtliche Richtungen. Darüber hinaus bedient er gerne die Herdplatten oder schnürt sich die Laufschuhe.