Destination Anywhere und "Mehr davon": Genug gewartet!
17.05.2023 | Mark Schneider
"Mehr davon!", eine Bitte, die Destination Anywhere wohl nach Bekanntgabe des Wunsches sich aus dem Musikerdasein vorerst zurückziehen zu wollen nicht nur einmal entgegen getragen wurde. Eine Bitte, die man vor allem nach dem letzten gespielten Ton im Siegener Vortex im Jahr 2019 in jedem Gesicht vor der Bühne flehend ablesen konnte. Tränen in den Augen, ein breites Grinsen auf allen Lippen. Und ein "Ihr könnt doch jetzt nicht wirklich einfach gehen!"-Gefühl im Raum, welches wie ein Schleier über der Situation lag. Es folgte die Veröffentlichung eines Mitschnitts des vorerst letzten Konzertes als Livealbum, um dieses Gefühl, wenn auch nur ansatzweise, konservieren zu können. Was anschließend im Hintergrund passierte, soll und darf Sache der Band bleiben. Die erlösende Nachricht folgte auf jeden Fall im Herbst 2022, als Destination Anywhere verkündeten: "WIR KOMMEN ZURÜCK!"
Mit der neuen Single "Erkennst du mich denn wieder?" im Gepäck und den noch besseren Nachrichten vom neuen Album sowie anstehenden Konzerten im Siegener Vortex im Mai 2023, mittlerweile waren dort drei Abende am Stück ausverkauft, bespielte die Band das Pell Mell-Festival im Jahr 2022 und sorgte dort für die gleichen strahlenden Gesichter, die eine oder andere Freudenträne und die Bekräftigung des Gefühls "Mehr davon!", dieses Mal ohne Wehmut und mit umso mehr Vorfreude auf alles, was da kommen wird. Da sind sie also wieder, und endlich halten wir "Mehr davon" in den Händen. Ein Album, welches eine neue Zeit für Destination Anywhere einleitet, riesige Vorfreude auf den Festivalsommer und die Tour im Herbst 2023 macht und jetzt endlich Thema dieses Textes werden soll!
"Mehr davon" läuft 32 Minuten und 29 Sekunden. Etwa eine halbe Stunde, die jedem seit 2019 sehnsüchtig wartenden Fan wie eine Ewigkeit vorkommen wird. Das Album umfasst zwölf Songs und ein "Episches Intro", es gibt abweichend zu den bereits bekannten Singles also noch acht Songs zu entdecken, die zum Release als wirkliche Unbekannte erscheinen werden. Das angesprochene Intro baut, wie man es von Destination Anyhwere gewohnt ist, mit ordentlichem Einsatz der Blasinstrumente die nötige Spannung auf. Das ist zum einen genau richtig, um dann wuchtig in "Erkennst du mich denn wieder?" zu starten und den Effekt des Übergangs nach Spannungsaufbau (vor allem live?) zu erzielen, strapaziert diejenigen, die mit Ungeduld zu kämpfen haben jedoch aufs äußerste. Dann hält man nach etwa fünf Jahren endlich wieder ein Album seiner Lieblingsband in der Hand, und dann muss man noch ÜBER EINE MINUTE Intro abwarten?! Haltet durch, es wird sich im Gesamtbild mehr als lohnen.
Die Reise durch "Mehr davon" startet nach dem Intro mit dem bereits bekannten Ohrwurm "Erkennst du mich denn wieder?" sowie den ebenfalls vorab veröffentlichten Titeln "Bassdrum" und "Loser-Hymne (Halb so gut wie du)". Textlich bleibt David bei diesen ersten Eindrücken wie im weiteren Verlauf auch überwiegend in der Ich-Form und gibt den Songs dadurch Persönlichkeit und die Möglichkeit, sich emotional noch mehr ins lyrische Ich hinein versetzen zu können. Ob es um schwierige Zeiten in der Schule oder die enttäuschten Erwartungen und die eigene Unsicherheit geht, hier ist unausweichlich Mitfühlen angesagt. Und wer weiß, vielleicht bewirkt die Band ja an der einen oder anderen richtigen Stelle sogar ein Umdenken im Umgang mit anderen. Musikalisch setzen Destination Anyhwere auf diesem Album nahezu dort an, wo sie auf "Bomben" aufgehört haben. "Einfach nur herrlich" wurde in diesem Fanzine im Jahr 2018 geschrieben. Im Jahr 2023 muss sogar der Gedanke erlaubt sein, dass Destination Anywhere vor allem mit dem Einsatz der Bläser noch ausgefuchster umgehen, um ihren Songs noch mehr persönliche Note zu verschaffen. Ein Tipp: Einfach mal bei "Es macht mich traurig diese Welt zu verstehen" beim Anhören alles außer die Bläser ausblenden und genießen. Die gleiche Herangehensweise funktioniert bei der Abschlussballade "Stark sein". Aber bloß nicht zu oft so machen, dafür sind die Titel im Ganzen zu facettenreich.
Begleitgesang, eine satte Produktion und eine überdurchschnittliche Quote an Melodien, die hängen bleiben: Destination Anyhwere wissen durch die Vielseitigkeit des Albums wirklich zu gefallen. Dass es an Ideen dabei nicht mangelt, zeigt zum einen "Es geht mir gut mit Bläsern", in dem verschiedene Künstler*innen, Bands und Sparten parodiert werden und der gleichzeitig als Hommage an den ein Blasinstrument spielenden Menschen an sich fungiert. Zum anderen ist es der Text zu "Sonne", zusammengeflickt aus Songtiteln, der im Gegensatz zu Adel Tawils "Lieder" dabei aber erträglich bleibt, auch weil der Song zwischenzeitlich mal etwas brachialer daherkommt. Ein weiteres Novum findet sich in Track zwölf ("Schlafen"), da hier sowohl Text als auch Gesang vom eigentlich am Saxophon aktiven Christian Jüngst beigesteuert werden. Es gibt also nicht nur neue Songs auf "Mehr davon" zu bestaunen, sondern auch wirkliche Neuerungen im Bezug auf die Rollenverteilung innerhalb der Band.
Wertung
Es gibt viel zu entdecken auf "Mehr davon"! Und es gelingt Destination Anywhere bereits seit der ersten Single, meine über Monate aufgebauten Erwartungen und Wünsche nicht nur zu erfüllen, sondern gänzlich zu übertreffen. Gebt dem Album die nötige Zeit und Lautstärke, um alle manchmal auf das erste Hören nicht zu erfahrenden Momente aufnehmen zu können. Anschließend geht das Warten dann wohl wieder los - auf den Festivalsommer und die Tour im Herbst. Wir sehen uns dann dort!
Mark Schneider
Mark kommt aus der wunderschönen, ländlichen Provinz zwischen Siegen und Marburg an der Lahn. Ob kleine Acts im Club oder Musikgiganten vor Tausenden: Besucht wird, was laut ist und Spaß macht! Dabei sind im Genre (fast) keine Grenzen gesetzt.