Fontaines D.C. und "Skinty Fia": Verlangen und Geben
07.05.2022 | Jan-Severin Irsch
Eröffnet wird das Album mit dem Song “In ár gCroíthe go deo” Der gälische Titel bedeutet übersetzt so viel wie “Für immer in unseren Herzen”. Geschrieben von Gitarrist Conor Curley und Bassist Conor Deegan handelt die Geschichte von einer Frau, die in England nicht „In ár gCroíthe go deo“ auf ihren Grabstein schreiben durfte, weil die Stadtverwaltung es als politische Sache ansah, die irische Sprache auf einen Grabstein zu schreiben (Quelle: Mojo Magazine). Der Song hat eine eigenartige Anziehungskraft durch seine Anfangsharmonien und verwandelt sich in seinem Höhepunkt zu einem sehr nachdenklichen Song. Man begibt sich in eine sehr eigene, immer treibendere Trance, aus der man aber irgendwie nicht aufzuwachen vermag. Dieser Song hat auf alle Fälle ein starkes Alleinstellungsmerkmal, vielleicht perfekt für einen grau-verregneten Tag in Dublin (oder der Song “Bloomsday”). Live ist dieser Song eines der Werke auf die man sich freuen darf.
Das gesamte Album strahlt einen eher nachdenklichen, ruhigen Ton aus. Sticky Fingers in Moll wenn man so will. Und so gut!
Erst ab dem vierten Track steigert sich die Dynamik des Album etwas, ohne ganz den Touch der vorherigen Songs zu verlieren. “Jackie Down The Line” wurde als Single bereits veröffentlicht. Sänger Grian Chatten singt eine schöne Melodie mit Ecken und Kanten, nicht perfekt aber genau das macht den Charme von Fontaines D. C. aus. Der starke irische Akzent ist ein weiteres Alleinstellungsmerkmal der Band, das selbst U2 nie hatten. Der Song beschreibt wie zwei Menschen auch mal nicht zusammen passen können oder eine mögliche Bekanntschaft gar nicht erst eingehen sollten. “I will hurt you, I’ll desert you,” heißt es im Refrain und damit ist schon alles gesagt.
Wie vorhin schon kurz erwähnt ist der Song “Bloomsday” sicherlich vom irischen Wetter beeinflusst. Sei es der Zeile “There’s always fuckin' rain and it’s always dark” geschuldet oder dem trägen, langsamen Rhythmus, gepaart mit schwerer Gitarre und traurigen Lyrics.
Die Mischung aus dieser Schwere, dem vermutlich sehr zehrenden Lebensstil einer tourenden Band und der (Distanz zur) irischen Heimat geben mit der melancholischen Musik und dem immer ganz leicht schiefen, traurigen Gesang von Chatten ein sehr hervorstechendes Klangerlebnis. Unterliegende Dringlichkeit und Schnelle mit großer Last versehen. Allerdings betrifft dies “nur” den Klang, den Erfolg hat die Band allemal.
Eine Welttour, das nun dritte Album veröffentlicht und kein Anzeichen von Aufhören sind die besten Voraussetzungen.
Das Albumcover selbst besticht genau so wie die Musik. Ein Reh in rotem Licht in einem Hausflur und der gleichnamigen irischen Beleidigung. Wildes, dünnes Reh heißt es grob übersetzt, doch ab hier muss jede:r selber weiter suchen. Vielleicht im Titeltrack, dieser ist immerhin einer der wenigen schnelleren Songs des Albums. Auch hier sorgt die monotone Stimme des Sängers für die nötige Trance über der treibenden Musik und hört auch bei “Nabokov” nicht auf. Anders als dieser Artikel.
Wertung
Ein grandioser Gegenklang zu all der gleichklingenden Popmusik und ein Album dass man auf jeden Fall gehört haben sollte. Es zieht einen in einen ganz eigenartigen Bann, eine Trance mit ganz versteckter Schönheit. Es verlangt und gibt zurück.
Wertung
Fontaines D.C. haben den rohen, treibenden Sound von „Dogrel“ endgültig hinter sich gelassen – jenen Sound, der mich immer noch häufig zu ihrem Debüt zurückkehren lässt. Mit „Skinty Fia“ werde ich deshalb nur schwerlich warm. Dennoch muss ich anerkennen, dass das Album in seiner atmosphärischen Dichte einen Sog entwickelt, dem man sich kaum entziehen kann.
Jan-Severin Irsch
Jan-Severin macht seit er denken kann Musik. Durch verschiedene Chöre, Bands und Lehrer ist er mittlerweile Lehramtsstudent für Musik mit Hauptfach Gesang, ist Sänger seiner eigenen Alternative/Punkrock-Band und Teil eines Barbershop-Chores in Köln. Von Klassik bis Jazz, von Chor- bis Punkrockmusik hört und spielt er alles gern. Ohne Musik geht nicht.