Melodische Härte mit Message - Being As An Ocean sind mit "Waiting For Morning To Come" zurück
08.09.2017 | Johannes Kley
2012 erschien „Dear G-d“ als Debütalbum der Kalifornier und bot erstklassigen Melodic Hardcore. Auf den letzten beiden Alben gab es stets starke Wandlungen im Stil und so waren wir gespannt, wie das neue Album nun klingen wird.
Los geht es mit „Pink & Red“, einem minimalistischen Instrumentaltrack. Man hört ein Piano und ein paar Geräusche im Hintergrund. Ein ruhiger und sanfter Einstieg ins Album. „Black & Blue“ wurde schon vor Release veröffentlicht und überzeugte da bereits. Tragisch und melodisch tragen Joels und Michaels Stimme durch den Track, über atmosphärische Drums, eingespielte Soundsamples, Bass und Gitarren. Die gewohnte Mischung aus Shouts und Klargesang, in Kombination mit den teils experimentellen Sounds, wirken distanziert und trotzdem warm. In „Floating Through Darkness, They Seemed To“ kehrt das Piano vom ersten Track zurück und spielt ruhig, leise und bedacht. „Glow“ beginnt sanft und steigert sich dann im Chrous in harte Töne. Joel singt auch hier teils clean, was vielen Fans sehr gefallen dürfte. Die Mischung aus Spoken Word und Gesang, Keys und Gitarren, Bass, Drums und den Lyrics erschafft ein tragisch schönes Lied. Piano und elektronische Beats, gepaart mit Hintergrundrauschen und -geräuschen dominieren in „And Fade Away When Morning Came“. Der Titel fühlt sich so an, wie er heißt und schafft Gänsehaut. Instrumentalstücke lagen Being As An Ocean schon immer - dies stellen sie hier erneut eindrucksvoll unter Beweis.
„OK“ wurde schon vor einer Weile ins Netz gestellt und auch hier wechseln sich melodische Hardcorepassagen und atmosphärische Momente fließend ab. Der Song klingt dank Effekten auf Stimme und Instrumenten sehr offen und weit. Man sieht die Band förmlich auf einer Klippe im Morgengrauen stehen und diesen Song spielen. Erneut kommen zur gewohnten Instrumentalbegleitung aus Gitarre, Bass und Drums auch wieder Keyboards zum Einsatz. Mit „As Though Each Of My Problems Would Slip Away“ gibt es den nächsten Instrumentaltrack. Wie schon davor gibt es hier auch Beats und Piano. „Dissolve“ irrt bereits seit langer Zeit durch’s Netz und machte Lust auf das neue Album. Michael zeigt hier auch sein volles Potential als Sänger und so entsteht ein intensiver, dramatischer Track. Nebenbei gibt es noch ein Gitarrensolo. Breakdowns sucht man hier vergebens.
Mit der Ankündigung, sich vom Label getrennt zu haben, veröffentlichten die Jungs auch „Thorns“. Eingespielte Samples, Spoken Word und eine düstere Instrumentalisierung schaffen eine ungemütliche und unruhige Atmosphäre, passend zum Titel. Alles klingt bedrohlich und dunkel. Die teils hämmernden Drums, der tiefe Bass und die ab und an verzerrten Stimmen lassen Gänsehaut über die Arme rasen. Der nächste Track heißt „eB tahT srewoP ehT“. Wie der Titel schon erahnen lässt, ist dieser nur rückwärts abgespielt wirklich angenehm hörbar. Dreht man die Spur um, erhält mein eine harte Abrechnung mit der Regierung. Vermutlich gezielt gegen Trump gerichtet, wenn auch nie namentlich erwähnt, stellt der Track die derzeitige Weltlage in Frage. Teils stark verzerrter Gesang macht das Ganze zu einem ungemütlichen, aber nicht unangenehmen Song. Umdrehen lohnt sich also. „Suddenly, I Was Alone“ beginnt mit Gitarren und lässt nach und nach andere Instrumente einsteigen. Der Song ist ruhig und tragend, beinahe schon hypnotisch und steigert sich zum Ende hin ein wenig, ohne jedoch die Grundatmosphäre zu stören.
Nun folgt „Blacktop“ und startet mit einem ruhigen Beat und Soundsamples, bis dann Joel einsetzt und Härte mitbringt. Synthie-Loops, Gitarren und abwechselnde Stimmen erzeugen einen bedächtig tragenden Song mit langsamen Tempo und tiefe Gefühle. Gefühlvoll geht es auch mit „I Saw Before Me, A Bright Red Light, And Silently I Stood“ weiter. Allein ein Piano trägt durch die kurze Unterbrechung, bevor es mit „Waiting For Morning To Come“ weitergeht.Der Namensgeber für das Album schlägt wieder mit voller Härte ein. Keyboard und Gesang werden von harten Drums, Bass und den Gitarren begleitet. Am Ende setzt plötzlich ein Saxophon ein und trägt den Hörer aus dem Album. Was für eine Reise.
Being As An Ocean waren stetig im Wandel und scheuten keine Experimente. Laut eigener Aussage fand ihr Label-Ausstieg auch deshalb statt, weil jenes dieses Album so nicht veröffentlichen wollte. „Waiting For Morning To Come“ ist ein Konzeptalbum und mit all seinen instrumentalen Zwischenstücken erzeugt es eine dichte Atmosphäre von der ersten bis zur letzten Note.cTextlich bleiben sich die Jungs auch treu. Es geht um Liebe, Schmerz, Weltgeschehen, aber vor allem immer um eines: Nach vorn sehen und nicht zurückschrecken. Auf Facebook postete die Band 2013 einmal „I’ve learned that hardcore music is not for happy kids with perfect lives.“ und so hört sich dieses Album auch an. Es ist ein Begleiter. Es will wecken und helfen. Dass die Band sich als christlich-weltoffen (offene Freude über die Ehe für Alle in den USA) identifiziert ist bekannt und macht daraus auch keinen Hehl, ohne jedoch bekehrend zu wirken, wie vielleicht andere Bands im Genre. Die Texte funktionieren auch für Atheisten wunderbar.
Musikalisch wurden auch alle Register gezogen. Von Piano, Saxophon, Samples, Synthies und den üblichen Hardcoreinstrumenten wurde hier alles eingebaut und funktioniert überraschend gut. Breakdowns gibt es nicht wirklich, aber da Joel auch in einem Interview gesagt hatte, dass er Sing-A-Longs mehr mögen würde, überrascht das wenig. Das Album ist auch in den harten Passagen eher ruhig und kein Double-Bass-Gewitter. Die Stimmen sind natürlich Geschmacksache, aber in den richtigen Momenten laut und leise. Der intensive Gesang von Michael, gepaart mit den Shouts von Joel hat schon auf den Vorgängern funktioniert. Die Produktion ist nahezu perfekt. Es klingt alles atmosphärisch und sauber abgemischt, ohne die Ecken und Kanten abzuschleifen.
Being As An Ocean haben mit ihrem vierten Album ein großartiges Post-Hardcore-Album geschaffen, auf dem sie kein Experiment gescheut haben und sich künstlerisch voll ausgetobt haben. Wer Bock auf atmosphärischen, intelligenten und musikalisch begeisternden Post-Hardcore mit Betonung auf „Post“ hat, sollte hier definitiv zuschlagen oder wenigstens den Stream anschmeißen.
Wertung
Nach „Dear G-d“ verlor ich beinahe das Interesse an der Band, aber mit „Waiting For Morning To Come“ haben Being As An Ocean mich wieder voll gepackt.
Johannes Kley
Kolumnist und Konzertmuffel Joe ist Gesundheits- und Krankenpfleger in Bochum, liebt seinen Hund, liest leidenschaftlich gern, gibt ungern Bewertungen für Alben ab, ist Musikliebhaber, irgendwo zwischen (emotional) Hardcore, Vaporwave, Goth-Pop und Nine Inch Nails und versorgt euch unregelmäßig mit geistigen Ergüssen aus seiner Gedanken- und Gefühlswelt.